Rheinische Post Krefeld Kempen
Geschichte eines Schmetterlings
Ein Mädchen lässt sich ein Tattoo stechen und sagt: Das ist nur eine Motte. Frank Saternus sagt: Nein, das ist nur die andere Seite eines Schmetterlings. Wir erzählen seine Geschichte.
nissen“kommen.
Wenn Saternus von diesen Jugendlichen und jungen Erwachsenen berichtet, werden seine Züge hochkonzentriert. Es geht für ihn um Begegnungen mit Menschen, die, so jung sie sind, gestrauchelt, gequält, verlassen und am Boden sind. Sie haben psychische Probleme, traumatische Gewalterfahrungen aller Art zu Hause, es geht um Sucht und Kriminalität. Saternus versucht, einen Zugang zu ihnen aufzubauen, das Wort „Vertrauen“fällt immer wieder.
Eine seiner Formulierungen ist besonders erhellend: „Ich versuche, jeden in seinem ‚Ich-bin-alleinFilm’ zu treffen.“Will sagen: Diese jungen Leute sind so mit ihrer Si- tuation beschäftigt, dass sie kaum den Blick nach außen finden. Unglück, das lernt man hier, macht einsam. Unglück sperrt dich in einen Spiegelsaal ein, in dem du nur dich und dein Elend siehst. Saternus, so könnte man sein Anliegen verstehen, will eine Tür ins Freie öffnen.
Es ist wichtig, sich dieses Lebensgefühl klarzumachen: in einem Ich-Gefängnis zu sitzen. Nach und nach wird einem bewusst: Es ist einen Gnade, hinausgehen, sich der Welt und anderen zuwenden zu können. Das setzt viele gute Erfahrungen voraus, Vertrauen in diese Welt und darauf, dass man beim Schritt hinaus nicht gleich wieder einem Dementoren begegnet, der einem Lebensmut aussaugt. Für Nicht-Harry-Potter-Kenner: Dementoren sind eben solche Wesen – Gefängniswärter, die dir Lebensfreude nehmen.
Vor diesem Hintergrund versteht man auch, warum es außergewöhnlich war, solche Jugendliche für ein Projekt wie das Mahnmal ToterWinkel zu gewinnen. Saternus hat die jungen Leute dazu in dem „Projekt lebensnah“des Sozialwerks Krefelder Christen kennengelernt. Sein Ziel war es, ein Projekt zu erarbeiten, mit dem die jungen Leute die Erfahrung machen können: „Wir ganz unten können mit einer guten Idee etwas nach oben bewirken.“Es glückte. Das Mahnmal kann er nun von einem Fenster des Sozialwerks aus sehen. Der Verein residiert an der Ispelstraße, unweit der Ecke, an der die kleine Fiona von einem Lkw überrollt wurde.
Saternus hat sich, als die Idee mit dem Mahnmal entstand, Partner geholt: die Polizei, den ADFC, Bezirkspolitiker. Es ging zwischen den Zeilen immer auch um Wertschätzung der Jugendlichen, die mit dem Projekt befasst waren. Es gelang schließlich: Das Mahnmal ist konzipiert, realisiert, es wurde mit einer Zeremonie eingeweiht; es wurde öffentlich wahrgenommen. Es gab für seine Jugendlichen auch Aha-Erlebnisse, berichtet Saternus schmunzelnd: Ein junge Mann zum Beispiel, der die Polizei bislang eher als Gegner erlebt hat, saß plötzlich einem jungen Polizisten gegenüber und stellte überrascht fest: Das sind auch Menschen.
Saternus ist 51 Jahre alt und hat sein Leben lang auf der Grenze zwischen Kunst und Handwerk gelebt. Er hat früh künstlerisch gearbeitet. Malerei, Zeichnungen, Plastiken. Im Brotberuf war er Grafiker, erst angestellt, dann selbstständig. Das Können dafür hat er sich autodidaktisch angeeignet. Über seine Frau hat er dann das Sozialwerk Krefelder Christen kennengelernt und dort Projekte übernommen.
Es passt. Saternus ist katholisch; „ich werde es auch bleiben“, sagt er fest, „ich begreife mich als christlichen Menschen, auch wenn ich nicht täglich den Gottesdienst brauche.“Am Christentum überzeuge ihn eine„humanistische Grundausrichtung“, dort seien „viele von unseren Werten angelegt“.
Saternus ist den Menschen zugewandt. Als er erwähnt, dass er Vater von vier Kindern ist, strahlt er das erste und einzige Mal in dem Gespräch, und man sieht, das Augen wirklich leuchten können. Das ist auch der Punkt, an dem man ahnt, wie schwer es für einen Familienmenschen sein muss, jungen Leuten zu begegnen, die früh mehr Chaos und Schmerz erlebt haben als manchen in einem ganzen Leben.
Nach Leitsternen gefragt, nennt Saternus auch den griechischen Philosophen Diogenes, der bekanntlich bewusst in Armut in einer Tonne lebte, um sich auf Wesentliches konzentrieren zu können. Auch Saternus ist nicht reich, nicht materiell jedenfalls. Reichtum, den er meint, wohnt zwischen Menschen, da, wo sie die Chance haben, sich anderen zuzuwenden.