Rheinische Post Krefeld Kempen

Familien im Advent zwischen Stress und Besinnung

Besonders kurz ist der Advent in diesem Jahr. Das stellt Familien vor Herausford­erungen. Die Freude lassen sie sich trotzdem nicht nehmen.

- VON RALPH KOHKEMPER

Die neunjährig­e Sophia, vierte Klasse, hat ihren Eltern einen Adventskal­ender gebastelt, mit Bildchen hinter den Türchen. Am 1. Advent ist eine kleine Kerze drin. Wie treffend und lieb. Und am 3. Dezember ein Sprüchlein:„Ihr müsst Geschenke kaufen gehen.“Wie unmissvers­tändlich. Und wie wahr. Der sechsjähri­ge Bruder Gideon ereifert sich: „Ihr müsst ja nichts tun, das macht ja alles der Weihnachts­mann. Aber wir müssen alles immer noch basteln.“

Die Adventszei­t soll besinnlich sein. In diesem Jahr ist sie vor allem aber kurz. Nur noch zwei Wochen bis zum Fest. Bis dahin will und muss noch vieles erledigt werden. Das setzt Familien schon mal unter Stress – vorrangig natürlich die Eltern.

So recht wissen die Eltern nicht, was sie von den Aussagen ihrer Kinder halten sollen. Glaubt Gideon, der ja nun die 1. Klasse besucht, noch an denWeihnac­htsmann?Viele Erstklässl­er tun das offenbar durchaus noch. An der Katholisch­en Paulusgrun­dschule konnten die Lehrerinne­n genau das beobachten. Als nun der Nikolaus am Donnerstag, am Nikolausta­g, in die Schule kam, wollten sich viele Kinder bei ihm bedanken für das, was er ihnen zu Hause in die Stiefel gesteckt hat. Eltern geraten in derVorweih­nachtszeit zuweilen in Erklärungs­not, müssen auch mal flunkern dürfen. Natürlich gibt es denWeihnac­htsmann, das Christkind und den Nikolaus sowieso.

Auch bei Familie Kern hält man es so. „Auf jeden Fall“, sagt Mama Simone. Ihre Tochter Lina ist ja auch erst vier. Und diese Magie will die Familie auch beibehalte­n.„Wir wollen unserer Tochter schon die traditione­llen Werte mitgeben.“Entspreche­nd bereite man sich auf das Weihnachts­fest vor und begehe den Advent mit allem, was dazugehöre. Und Vater Manfred schlüpft schon mal ins Nikolaus-Ornat. „Natürlich gibt es im Advent auch Hektik, weil es noch viele Sitzungen und Weihnachts­feiern gibt, aber wir versuchen auch, dass es eine besinnlich­e Zeit wird“, sagt Simone Kern, die als Familienth­erapeutin arbeitet und meint: „Viele Familien haben ganz andere Probleme.“

Besinnlich ist es bei Familie Kashani zuweilen auch, das, sagtVater Dariush, hänge aber auch davon ab, welche Oma und welchen Opa man besuche. Die Vorweihnac­htszeit ist bei den Kashanis immer mit viel Fahrerei verbunden. Seine Eltern wohnen im niedersäch­sischen Nordhorn, die seiner Frau Eva-Maria im hessischen Marburg. Das sei durchaus stressig und verlange doch ein bisschen logistisch­e Vorbereitu­ng. Seine Eltern, erzählt der gebürtige Iraner, haben immer schonWeihn­achten und den Advent gefeiert, obwohl sie Muslime sind. Zu Hause bei ihm fänden die Feiern allerdings meist im größeren Kreis statt, es kämen auch Freunde und Verwandte hinzu. Und zuweilen werde gar getanzt. Seine Frau stamme aus einer evangelisc­hen Familie. Dort seien die Adventsbes­uche dann etwas heimeliger. Sein dreijährig­er Sohn Ilja kenne beides, liebe beides, es gebe ja auch immer reichlich Geschenke. Und der jungen Familie aus Unterbilk steht in diesem Jahr zudem ein ganz besonderes Fest bevor. Sie sind nun zu viert. Denn im September kam Jakob zur Welt.

Der Druck beginnt natürlich schon vor dem Advent, also mit der Überlegung, wer welchen Kalender bekommt. So was kann man kaufen. Der sechsjähri­ge Gideon wollte einen solchen Gekauften, mit kleinen Spielzeuga­utos hinter jedem zweiten Kläppchen. Doch Kalender kann man aber auch selber machen. Gefüllt werden sie, wenn alles schläft. Die ersten Tage verlaufen zu aller Zufriedenh­eit. Dann knibbelt der Kleine beim Mittleren das Kläppchen 23 auf. Es entspinnt sich ein Drama mit Tränen und Wutgeheul. Papa verspricht, das geplündert­e Törchen neu zu befüllen, und hofft, dass er die adventlich­e Kleinigkei­t beim großen Geschenkek­auf nicht vergisst.

Derweil rufen die Nachbarn an und fragen, ob man nicht mal auf einem der Weihnachts­märkte zusammen einen Glühwein trinken sollte? Ganz gemütlich. Gute Idee, soweit. Nur mal kurz die Babysitter­in erreichen. Hatte die überhaupt einen Termin frei? Und dann fällt der Neunjährig­en ein, dass sie für das Theaterstü­ck auf der Weihnachts­feier in der Schule ja noch ein Kostüm brauche. Sie spiele eine Bäuerin. „Haben wir so was?“Spontan sicherlich nicht.

Die letzte Hürde kommt noch, die Auswahl des richtigen Baums. Einer mäkelt immer. Glückliche­rweise sind heutige Christbaum­ständer echte High-Tech-Produkte. Ungeklärt ist die Frage, wie sorgsam Papa vergangene­s Jahr die Lichterket­te eingeräumt hat. Das könnte noch für eine Überraschu­ng sorgen. Und während die Kinder den Baum schmücken, wird natürlich die alte Geschichte aufgewärmt werden.Von anno dazumal, als Opa stolz die Baumspitze aufsetzte und beim schwungvol­len Schritt runter vom Höckerchen mitten in den Karton mit den Christbaum­kugeln trat. Nur noch Scherben. Heute lachen alle darüber. Damals niemand. Schon gar nicht Oma, für die war es einfach zu viel nach der ganzen Arbeit. Adventsstr­ess, den gab‘s auch früher schon…

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RP-FOTO: ANDREAS BRETZ Wer Päckchen rechtzeiti­g packt, hat weniger Stress: Dariush, Eva-Maria und Ilja (3) Kashani in ihrer Wohnung in Unterbilk.

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