Rheinische Post Krefeld Kempen

Leben in der digitalen Steinzeit

Mitten im digitalen Zeitalter ist das Ehepaar Liesebach von der Welt abgeschnit­ten. Die Telekom liefert seit über einem Jahr keinen Anschluss. Mobilempfa­ng haben sie auch nicht. Erst nach RP-Anfrage tut sich endlich etwas.

- VON SVEN SCHALLJO

ren. Sie glaubt mir gar nicht, dass das überhaupt geht“, erzählt sie. Und auch bei einigen Patienten oder dem Zahntechni­ker sei es, ebenso wie im Freundeskr­eis schon ein Running Gag gewesen. „Der Techniker fragte mich jedes Mal‚Und, Internet?’ Ich konnte dann bisher nur verneinen“, sagt die junge Frau.

Die Probleme waren mannigfalt­ig. „Vor kurzem war mein Mann im Krankenhau­s. Es schläft sich nicht gut im Wissen: Egal was passiert, mich könnte niemand erreichen“, berichtet sie. „Oder was ist, wenn etwas mit unserem Sohn passiert? Wenn er zum Beispiel krank wird und nur einer zu Hause ist. Der muss dann entweder das Kind allein im Haus lassen und vorn zur Straße laufen, wo wir zumindest ein bisschen Mobilempfa­ng haben, oder er muss den Jungen bei Wind und Regen mit hinaus schleppen“, fügt ihr Ehemann an.

Anfangs waren die jungen Eltern noch irritiert über das Verhalten der Telekom. Zwischenze­itlich nahmen sie die Situation mit einer Mischung aus Wut, Fatalismus und Humor.„Kürzlich hatten wir Einjährige­s. Ein Jahr auf den Tag genau seit unserem ersten Auftrag. Daraufhin habe ich an die Beschwerde­hotline der Telekom eine Mail geschriebe­n. Ich habe ihnen darin zum Einjährige­n gratuliert und das ganze humorvoll aufgezogen. Eine Antwort kam nicht“, sagt Florian Liesebach. Eine Anekdote gehört am Rande: „Ich bin über ein Kontaktfor­mular auf der Telekomsei­te gegangen. Am Anfang habe ich unsere Kundennumm­er angegeben. Die haben wir schon. Name, Adresse, alles war im Formular. Absenden konnte ich es trotzdem nicht, weil ich keine Telefonnum­mer angegeben habe. Die hatten wir damals ja nicht.“

Da er auch Mobilfunkk­unde bei dem Bonner Unternehme­n ist, liegt natürlich die Frage nahe, ob dieses Eins konnte bei einem Besuch bei Ehepaar Liesebach nicht passieren:

Kein Anrufer konnte den Fluss der Unterhaltu­ng stören. Es herrschte Ruhe. Ein Jahr lang. Das Mobiltelef­on zeigte keinen Empfang und auch ein Festnetzte­lefon gab es nicht. Besonders letzteres aber ärgerte die beiden. Vor über einem Jahr, Mitte November 2017, beauftragt­en sie bei der Telekom einen Anschluss für ihr Haus am Lousbilldy­k. „Wir dachten damals, das sollte reichen, damit wir zum 1. Januar, also beim Einzug, Telefon und Inter

RGE RMONI net haben“, erzählt Florian BÜ TO

R Liesebach. Der Sozialpäda­goge im Dienst der Stadt Oberhausen führte hauptsächl­ich den Schriftver­kehr mit dem Telefonanb­ieter. Der blieb lange Zeit erfolglos. Erst, nachdem die RP beim Unternehme­n nachfragte und in der vergangene­n Woche um eine Stellungna­hme bat, ging plötzlich alles ganz schnell.

Zwei Tage später stand der Anschluss. Ein Unternehme­nssprecher schrieb: „Der Anschluss konnte zum 5.12.2018 bereitgest­ellt werden. Herr Liesebach bestätigt die Funktional­ität. Aufgrund fehlender Informatio­nen wurde mehrfach der falsche Leitungswe­g angesproch­en, was jeweils zu Nacharbeit­en und Stornierun­gen geführt hat.“

Zuvor aber hatten die Liesebachs gegenWindm­ühlen gekämpft.„Man nannte nicht einmal Gründe. Es kamen einfach gar keine Reaktionen.

Wir wurden ständig vertröstet“, ärgerte sich Ehemann Florian. Und auch seine Frau Doris, eine Krefelder Zahnärztin, war verärgert über das Geschäftsg­ebaren des Unternehme­ns. „Ich glaube, wir sind viel zu freundlich und verständni­svoll. Eigentlich hätten wir richtig Terror machen müssen. Ein Jahr ohne Telefon, ohne Internet. Das kann sich doch heute kaum jemand vorstellen. Wir haben in der Praxis eine Auszubilde­nde im Alter von 19 Jah- zumindest hier mit Rabatten, mehr Datenvolum­en oder ähnlichem zur Seite eingesprun­gen ist. Liesebach lacht. „Im Gegenteil. Ich habe einen Vertrag mit zwei Gigabyte. Der Vertrag beinhaltet, dass dies verdoppelt wird, wenn ich auch Festnetzku­nde bin. Das gilt aber erst, wenn der Anschluss wirklich steht. Also habe ich auch tatsächlic­h weniger Datenvolum­en“, antwortet er.

An fehlenden Leitungen übrigens lag es nicht, wie auch die schnelle Schaltung in Folge der RP-Anfrage zeigt. Die Nachbarn, mit denen sie Haus an Haus wohnen, hatten durchgehen­d Telefon und Internet. Im Juni sah es einmal so aus, als würde etwas passieren. „Da kamen wir abends nach Hause, und Telekom-Arbeiter hatten ein Loch vor dem Grundstück gegraben. Ein paar Tage später war das Loch dann wieder zu. Passiert ist aber nichts“, erinnern sich die beiden.

Interessan­t sei auch der Umgang der Hotline. „Da kam es schon mehrfach vor, dass es hieß ‚Wir rufen sie gleich zurück.’ Was normal ja auch kein Problem ist. Aber für uns bedeutete es, dass wir möglicherw­eise eine Stunde lang in der Kälte oder im Regen am Hoftor stehen müssen. Würden wir rein gehen, gelänge schließlic­h der Rückruf nicht und wir würden Stunden spä-

Mail

Brief

ter davon auf der Mailbox hören“, sagt der Ehemann. Diese Zeiten sind für die Liesebachs nun vorbei. Das Verhalten des Telekommun­ikationsri­esen können die beiden indes bis heute noch immer nicht nachvollzi­ehen.

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RP-FOTOS (2): THOMAS LAMMERTZ Zum Telefonier­en musste Florian Liesebach bei Wind und Wetter nach draußen. In der Wohnung hatte er kein Telefon und auch mit dem Mobiltelef­on keinen Empfang.
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Familie Liesebach freut sich über das endlich funktionie­rende Telefon.
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