Rheinische Post Krefeld Kempen

Merkels Appell an die Welt

Die Bundeskanz­lerin kämpft in Marrakesch nicht nur für den Migrations­pakt der UN – sondern auch um diese selbst.

- VON KRISTINA DUNZ

Wenn Altbewährt­es Stürme überstehen soll, muss es neu begründet werden. Angela Merkel hat das mit ihrem leidenscha­ftlichen Plädoyer für den UN-Migrations­pakt am Montag in Marrakesch getan. Es war nicht weniger als ein Kampf um den Zusammenha­lt der Weltgemein­schaft mehr als 70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg. Deutschlan­d mit seiner Nazi-Vergangenh­eit trägt in ihren Augen besonders große Verantwort­ung.

Die Bundeskanz­lerin will diesen von Nationalis­ten und AfD-Politikern als großes Übel beschimpft­en „Globalen Pakt für sichere, geordnete reguläre Migration“unbedingt. Jetzt erst recht. Die Rechten sollen sie nicht vor sich hertreiben. Sie provoziert auf ihre Weise: „Ich habe ein Interesse an legaler Migration.“

Bei dem Pakt gehe es nicht nur um Migranten, sagt sie vor den Vertretern von rund 150 Staaten. Es gehe um die Grundlage der internatio­nalen Zusammenar­beit. Viele Menschen könnten ein besseres Leben bekommen und Staaten wie Deutschlan­d durch mehr Fachkräfte einen gefestigte­n Binnenmark­t und Wohlstand. Aber Merkel ist noch etwas wichtig, was noch schwerer wiegt: das „klare Bekenntnis zum Multilater­alismus“. Sie mahnt: „Nur durch den werden wir unseren Planeten besser machen können.“Sie dreht jetzt das ganz große Rad. Als währenddes­sen im angrenzend­en Pressesaal eine Durchsage für einen organisato­rischen Hinweis gemacht wird, rufen Dutzende Journalist­en„Ruhe“. In der Tagungshal­le wird Merkel Beifall geklatscht.

Sie hält den Pakt für eine große Chance für Deutschlan­d in harten Zeiten des Wandels und der Ängste – Überalteru­ng der Gesellscha­ft und Fachkräfte­mangel in reichen Staaten, hohe Jugendarbe­itslosigke­it und Perspektiv­losigkeit in armen Ländern, menschenun­würdiger Umgang mit billigen ausländisc­hen Arbeitskrä­ften. Auch aus bitterer Erfahrung ihrer zeitweisen Isolierung in der Flüchtling­spolitik pocht Merkel auf Solidaritä­t und Steuerung auf internatio­naler Ebene.

Der Pakt für Migranten hat 23 Ziele, mit denen Schlepper bekämpft werden und Menschen legal einreisen können, wenn sie dieVorauss­etzungen etwa für den Arbeitsmar­kt mitbringen. Zugleich sollen Lebensbedi­ngungen in den Heimatländ­ern verbessert werden, damit sich viele erst gar nicht auf den Weg machen müssen. Es geht aber auch um Menschlich­keit, dass Migranten nicht wie beim Bau der Fußball- stadien im steinreich­en Katar brutal ausgebeute­t werden oder in anderen Ländern im Vergleich zu den Einheimisc­hen benachteil­igt werden.

Merkel ist einer der wenigen Staats- und Regierungs­chefs, die persönlich nach Marrakesch gereist sind. Für kaum 20 Stunden. Die neue CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbaue­r hält ihr jetzt in Berlin den Rücken frei. Arbeitstei­lung des neuen mächtigen Frauen-Duos.

In Belgien ist unterdesse­n die Regierung an dem Migrations­pakt zerbrochen. Premiermin­ister Charles Michel ist trotzdem nach Marrakesch gekommen. Auch er will ein Zeichen setzen. Insgesamt sind es nur 14 Staaten, die durch Präsidente­n oder Regierungs­chefs vertreten werden. Neben Deutschlan­d und Belgien noch Spanien, Portugal, Griechenla­nd, Dänemark, Albanien, Andorra, Estland, Togo, Sierra Leone, das Königreich Swasiland, die Komoren und Panama.

Gar nicht gekommen sind die europäisch­en Partner Ungarn, Polen, Tschechien, Slowakei, Bulgarien, Italien und Österreich. Merkels Widersache­r in der Flüchtling­spolitik. Sie setzen mehr auf Abschottun­g und lehnen den Pakt ab. Vor allem die Verärgerun­g in der EU über Österreich ist groß, weil Wien den Pakt in seiner EU-Ratspräsid­entschaft mitverhand­elt hatte und dann ohne große Vorwarnung an die Mitgliedst­aaten ausgestieg­en sei. Das hallte auch in Belgien nach. Die USA un- ter Präsident Donald Trump hatten von Anfang an nicht mitverhand­elt. Noch so ein scharfer Bruch mit dem Vorgänger Barack Obama. Die Vereinten Nationen ohne die Vereinigte­n Staaten von Amerika. Von Solidaritä­t keine Spur.

Merkel sagt in ihrer Rede, es sei ein gutes Zeichen, dass sich die UN erstmals mit dem Schicksal der Millionen Migranten beschäftig­en. Es gehe auch darum, dass die universell­en Menschenre­chte in jedem Land gelten. Und: „Wir können doch nicht akzeptiere­n, dass Schlepper entscheide­n, wer in ein Land kommt.“Armen Menschen werde Geld abgepresst, das wiederum in Waffen investiert werde und den Frieden gefährde.

„Es muss unser Anspruch sein, dass wir das regeln“, sagt die Bundeskanz­lerin. Das gehe nur durch multilater­ale Kooperatio­n. „Zum Schutz unserer Bürger.“Die Konferenz nimmt den Pakt an, die UN-Vollversam­mlung will es dann noch in diesem Jahr tun. Merkel spricht von einem „bedeutende­n Tag“.

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 ?? FOTO: DPA ?? Freut sich über Datteln: Bundeskanz­lerin Angela Merkel bedient sich nach der Ankunft am Flughafen Marrakesch-Menara.
FOTO: DPA Freut sich über Datteln: Bundeskanz­lerin Angela Merkel bedient sich nach der Ankunft am Flughafen Marrakesch-Menara.

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