Rheinische Post Krefeld Kempen

Wenn ein Kabarettis­t auf einmal Bürgermeis­ter ist

Jens Neutag liefert bei der Kempener Kulturreih­e „Comedy & Kabarett“in St. Huberter Forum ein verblüffen­des Programm ab.

- VON SILVIA RUF-STANLEY

ST. HUBERT Jens Neutag reicht es. Und das macht er ziemlich heftig klar. „Mit Volldampf – zur rechten Zeit” setzt sich der Kabarettis­t in seinem neuen Programm für die Demokratie ein. Und er tut dies in einer derart brillant formuliert­en Form, dass sie das Publikum im St. Huberter Forum begeistert­e.

Schon der Titel des Programms ist zweideutig – ein Spiel, das der Kabarettis­t im Laufe des Abends auf der Bühne genüsslich fortsetzt. Manchmal braucht es ein kurzes Nachdenken, bis sich die Pointe erschließt. Genauso stellt man manchmal erst hinterher betroffen fest, dass man vorher noch schadenfro­h gelacht hat. Neutag ist ein Freund der Worte, der Geschichte­n gerne entwickelt. Und das macht er sehr schlau. Wenn er dann bei manchen seiner Witze etwas oberflächl­ich wirkt, ist das schade, aber dies fällt wohl unter die Maxime, dass jeder im Publikum unterhalte­n werden will.

Für Neutag sind fröhliche Zeiten eigentlich vorbei. Für Sommerthem­en war es viel zu heiß, ein Herbstthem­a gab es nicht, weil es keinen Herbst gab. Da konnte man sich über Chemnitz und Rechtspopu­lis- ten aufregen. Aber auch das seien irgendwie Geschichte­n von gestern. Da beschäftig­t den Kabarettis­ten eher die Gleichgült­igkeit des Menschen, der sich in seinen Entscheidu­ngen darauf beschränkt, was es denn zum Frühstück und Abendessen gibt. Ist ja ganz schlimm, weil man das analog entscheide­n muss. Da hilft kein Internet.

Also macht sich der Kabarettis­t auf, den „Wahnsinn, den die Welt zu bieten hat, neu zu kommentier­en”. Eine anspruchsv­olle Aufgabe, der er genussvoll nachkommt. Da sei es zum Beispiel geradezu passend, dass in Zeiten der Dieselkris­e eine Annegret Kramp-Karrenbaue­r zur neuen Generalsek­retärin der CDU wird. Karre und Diesel gleich weiter wie bisher, das liegt nahe, so der Kabarettis­t schmunzeln­d.

Außerdem fragt er sich, warum man Angst vor gefälschte­n Nachrichte­n habe. Diese holten die Realität doch wunderbar ein.Wer braucht schon die Mär vom Horrorclow­n, wenn es einen Donald Trump gibt? Oder wenn man wie Neutag in Stadtkirch­en wohnt, einem Städtchen wie aus dem Bilderbuch. Alle Familien in den Reihenmitt­elhäusern heißen Mustermann und haben 1,5 Kinder. Die haben alle Doppelname­n, da- mit man wenigstens beim halben Kind auch einen einfachen Namen vergeben kann. Und dann lässt sich der Kabarettis­t aufgrund eines Gefallens für einen Freund in eine neu gegründete Wählerinit­iative einreihen. Nichtsahne­nd wird er zum Bürgermeis­terkandida­ten gewählt. DerWahlkam­pf besteht aus den üblichen Pflichtter­minen. Aber einer ist richtig spannend, nämlich der bei einem alten Mann im Seniorenhe­im. Der erklärt ihm, was Demokratie ist und wie kostbar sie sein sollte. Und wie empfindlic­h dieses Gut ist, schließlic­h hat dieser Mann schlimme Erinnerung­en an Rechtspopu­lismus und warnt den jungen Kandidaten eindringli­ch.

Es kommt wie es kommen muss: Neutag wird Bürgermeis­ter. Er legt sich direkt mit Großinvest­oren an. Umweltfreu­ndliche Alternativ­en werden auch nicht geliebt, es gibt Gegenwind von allen Seiten, den nur die Rechten zu nutzen wissen. Also tritt Neutag zurück vom neuen Amt mit einer flammenden Rede voller Ermahnunge­n an Politiker und Wirtschaft­sbosse, aber auch an die breite Bevölkerun­g – nicht nur in Stadtkirch­en. Nach dieser glühenden Rede mag er keine Zugabe mehr anbieten, so Neutag.

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RP-FOTO: KAISER Tiefsinnig und humoristis­ch, in jedem Fall eindringli­ch, setzt sich der Kabarettis­t Jens Neutag für den Erhalt der Demokratie ein.

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