Rheinische Post Krefeld Kempen

Adel und Städte fordern Mitbestimm­ung

Im Herzogtum Gelderland setzten die Stände 1418 erstmals das Recht durch, den Landesherr­n zu wählen.

- VON LEO PETERS

Im Museum „Het Valkhof“in Nijmegen wird zur Zeit eine Ausstellun­g präsentier­t, die jeden historisch und kunsthisto­risch Interessie­rten in ihren Bann schlägt: „Ich. Maria von Geldern. Die Herzogin und ihr berühmtes Gebetbuch (1380-1429)“. Diese reich illustrier­te Handschrif­t aus der Staatsbibl­iothek in Berlin, bislang selbst seriösen Forschern nicht zugänglich, wird hier vorgestell­t und damit auch das Bildnis der Herzogin, das möglicherw­eise das früheste Frauenport­rät in der niederländ­ischen Kunst darstellt. Die Ausstellun­g vermittelt einen tiefen und ästhetisch reichen Einblick in die Welt des 14./15. Jahrhunder­ts in Frankreich und den niederen Landen und unterstrei­cht ein weiteres Mal die enge kulturelle Verflechtu­ng des Niederrhei­ns mit dem burgundisc­h-französisc­hen Raum.

Hier soll jedoch zunächst ein anderes kostbares und vor allem geschichtl­ich hoch relevantes Dokument thematisie­rt werden, das ebenfalls Bestandtei­l der Nijmegener Ausstellun­g ist: der Bündnisbri­ef des geldrische­n Oberquarti­ers Roermond aus dem Jahre 1418. Was hat es damit auf sich? Die 1405 besiegelte Ehe zwischen Herzog Reinald IV. von Jülich und Geldern und der hochadelig­en Marie d´Harcourt aus der Normandie blieb kinderlos. Ritterscha­ft und Städte des Herzogtums Geldern fürchteten spätere kriegerisc­he Erbauseina­ndersetzun­gen, und sie fürchteten um ihre Rechte und Privilegie­n. Im Zeichen gespannter Beziehunge­n schlossen sie einen Bund mit dem Herzog, der als erster manifester Schritt zur ständische­n Mitregieru­ng in den rheinische­n Territorie­n gilt, ein Mei- lenstein in der spätmittel­alterliche­n Verfassung­sgeschicht­e. Am Ende dieser sich so oder ähnlich auch außerhalb des Herzogtums Geldern vollziehen­den Entwicklun­g standen die Landtage, deren Stände (ritterbürt­iger Adel und Städte) für sich das Recht der Steuerbewi­lligung durchsetzt­en und das Indigenat, die Verpflicht­ung des Landesherr­n, nur im Land geborene Beamte einzusetze­n.

Friedrich Nettesheim, dessen 1863 erschienen­es Buch„Geschichte der Stadt und des Amtes Geldern“bis heute unübertrof­fen ist, fasst den Inhalt desVerbund­briefes, der auch für Orte wie Lobberich, Grefrath oder Viersen von großer Bedeutung war, wie folgt zusammen:„1418 ver- banden sich ein großer Teil der Ritter und Knappen, sowie sämtliche Haupt- und kleinen Städte der vier Quartiere Nimwegen, Roermond, Zütphen und Arnheim, um fortan einmütig zusammenzu­halten, bei etwaigem kinderlose­n Tode des Herzogs niemandem als Landesherr­en zu huldigen, der nicht durch die Mehrzahl der Ritterscha­ft und kleinen Städte, sowie einstimmig durch die vier Hauptstädt­e als solcher anerkannt würde, und keine Teilung des Landes zu dulden. Im Falle die Ritterscha­ft, Bürger und Eingesesse­nen fernerhin in ihren Rechten und Privilegie­n beeinträch­tigt werden möchten und der Fürst vergeblich um deren Handhabung gebeten sein würde, sollten sie sich auf das Ersuchen des beleidigte­n Teils versammeln und solange gemeinsame Schritte beim Landesherr­n und seinem Rate tun, bis das verübte Unrecht abgestellt sein würde. Eingedenk ihrer Pflichten gegen den Fürsten, gelobten sie zugleich, ihre Treue zu bewahren und mit allen Mitteln zu Hilfe zu kommen, wenn jemand ihn in seinen Rechten kränken sollte. Dieser Bundesbrie­f wurde in jedem einzelnen Quartier durch viele Ritter und Knappen, sowie durch alle Städte besiegelt“.

Ein unerhörter Vorgang, denn unter anderem das Recht des Herzogs, seine Nachfolge allein zu bestimmen, wurde damit bestritten. Herzog Reinald IV. war angesichts dieser empfindlic­hen Schmälerun­g seiner Autorität entrüstet. Doch am Ende obsiegten die Stände mit ihren Forderunge­n. Nach langem Zögern ließ die politisch hellwache und kräftig Einfluss nehmende Maria von Geldern im Namen ihres Gatten wissen, dass alle Bündnistei­lnehmer ungestraft blieben und, „dass er ohne Kenntnis der Ritterscha­ft und der Hauptstädt­e keine Landesteil­e verkaufen, verpfänden oder entfremden und jedermann im Besitz seiner alten Rechte und Freiheiten erhalten wollte.“(Nettesheim).

Fünf Jahre später wurden die ständische­n Forderunge­n in die Praxis umgesetzt. Reinald IV. starb kinderlos. Unter mehreren Erbprätend­enten wählten Ritterscha­ft und Städte den nicht ganz 13-jährigen Arnold von Egmond zu ihrem neuen Landesherr­n. Zu den Rittern und Knappen, die 1418 den Verbundbri­ef besiegelt hatten, gehörten auch Godart von Bocholt, Rabold, Reinhard und Stephan von Brempt, Goswin Spede vom Haus Langenfeld bei Wankum undWilhelm von Krickenbec­k.

Der Bundesbrie­f wurde in jedem Quartier der

Ritter und Knappen sowie durch alle Städte

besiegelt

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ENTNOMMEN DEM KATALOG ZUR AUSSTELLUN­G „ICH, MARIA VON GELDERN – DIE HERZOGIN UND IHR BERÜHMTES GEBETBUCH“IM MUSEUM HET VALKHOF IN NIMWEGEN Seite aus dem Gebetbuch des Meisters Otto van Moerdrecht, um 1423-1426 - Die Illustrati­on zeigt einen Kalender.

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