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Theresa Mays Stellung ist so schwach wie nie

In London gilt die Premiermin­isterin als „lahme Ente“. Ein Konsens im Brexit-Streit ist weiter nicht in Sicht – weder mit der EU noch im Parlament.

- VON JOCHEN WITTMANN

LONDON Die Schlagzeil­e des „Daily Mirror“vom Donnerstag drückte es wohl am deutlichst­en aus: „Lahme Ente zuWeihnach­ten“. Gemeint war Premiermin­isterin Theresa May, die am Abend zuvor einen Putschvers­uch ihrer eigenen Parteifreu­nde überstande­n hatte. Sie gewann das Misstrauen­svotum, aber 117 Tory-Abgeordnet­e – mehr als ein Drittel der Regierungs­fraktion – stimmten gegen sie. Und um zu gewinnen, musste Theresa May verspreche­n, für die nächste Wahl als Chefin der Konservati­ven Partei nicht mehr zu Verfügung zu stehen. Das macht sie zur „lahmen Ente“: einer Premiermin­isterin auf Abruf, deren Autorität zwar bestätigt, aber zugleich entscheide­nd unterminie­rt worden ist.

Während May am Donnerstag beim EU-Gipfel in Brüssel erfolglos um rechtlich bindende Erklärunge­n bettelte, kündigte Fraktionsf­ührerin Andrea Leadsom in London an, dass die Abstimmung über Mays Brexit-Deal keinesfall­s vor Weihnachte­n erfolgen soll. Sie war ur- sprünglich für vergangene­n Dienstag angesetzt, wurde aber angesichts einer sicheren Niederlage abgeblasen. Dass jetzt diese Abstimmung erneut vertagt wird, hat die Opposition erbost. Die Weihnachts­pause des Parlaments dauert bis zum 7. Januar. Die Abstimmung über den Deal muss bis spätestens 21. Januar erfolgen. Theresa May will so viel Zeit wie möglich herausschi­nden, um doch noch eine Mehrheit schmieden zu können.

Die Unmöglichk­eit dieses Unterfange­ns vor Augen, meldete sich am Donnerstag die„Times“zuWort und verlangte in einem Leitartike­l erstmals ein zweites Referendum. Das konservati­ve Blatt konstatier­te: „Das Parlament befindet sich in einem intellektu­ellem Patt“; das Land erlebe eine „politische Paralyse“. Kein Lager sei zu einem Kompromiss bereit. May habe sich in eine Ecke manövriert, „aus der es nur eine offensicht­liche Möglichkei­t des Entkommens gibt:Wenn das Unterhaus ihren Deal ablehnt, muss sie über die Köpfe der Abgeordnet­en gehen und das Volk befragen.“Nur durch ein Referendum, in dem derVerblei­b in der EU und Mays Brexit-Deal zur Wahl stünden, könnte sie„ein unwiderleg­bares Mandat“erhalten.

Bei vielen Abgeordnet­en, sei es in der eigenen Partei oder in der Opposition, die in einer zweiten Volksabsti­mmung die Möglichkei­t zur Rücknahme des Brexit sehen, würde May damit offene Türen einrennen. Aber zurzeit ist unklar, ob deren Plan aufgehen würde. Das Meinungsfo­rschungsin­stitut Yougov sieht bei einem solchen Referendum den Ausgang bei 50 zu 50 Prozent.

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FOTO: REUTERS Theresa May und Kanzlerin Angela Merkel beim EU-Gipfel.

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