Rheinische Post Krefeld Kempen
Das große Schweigen in den Familien
Das Problem der Trennung von Eltern und Kindern ist ein großes Tabuthema. In ihrem neuen Buch „Das war’s“versucht die Tönisberger Autorin Dorothee Döring beiden Seiten gerecht zu werden - ein hoffnungsvoller Ansatz.
TÖNISBERG Das Cover ihres neues Buches ist schon ein wenig irreführend: Es zeigt eine junge Frau, die abwehrend ihr Hand dem Betrachter abwehrend entgegenhält. In der oberen Ecke ein älteres Paar, eine grauhaarige Frau lehnt sich an die Schulter ihres Mann. Beide schauen ernst und traurig. Auch der Titel „Das war’s“hilft wenig weiter. Es geht weder um „Metoo“noch um eine Eheberatung. Der Untertitel „Wenn erwachsene Kinder den Kontakt zu ihren Eltern abbrechen“führt dafür direkt ins Thema ein. Nur die simple Annahme, die bösen Kinder sind der Täter, die lieben Eltern sind das Opfer, wäre falsch. In den Zitaten von ( erwachsenen) Kindern, die den Kontakt zu den Eltern abgebrochen haben, zeigt sich sehr schnell, dass sich eine einseitige Schuldzuweisung nicht halten lässt. Eltern müssen erfahren, dass sie - immer gutmeinend - ihren Kindern einiges zumuten können.
Das Problem der Trennung von Eltern und Kindern - und damit auch von Enkelkindern - ist ein großes Tabuthema. Es gibt keine genauen Zahlen über solche Fälle. Die Beraterin und Buchautorin Dorothee Döring aus Tönisberg ist sich sicher, nur die Spitze des Eisberges zu beschreiben. Während ihrer Vortragsreisen und Gesprächskreise haben sich viele Männer und Frauen in allen Altersgruppen mit ihren Trennungen und Krisen an sie gewandt - verlassene Eltern und Kinder, die den Kontakt abgebrochen haben. Fast alle, egal auf welcher Seite, leiden unter dieser Situation.
Dorothee Döring ist in ihren Beratungsbüchern immer wichtig, nicht nur eine Seite darzustellen, sondern auch die zweite Seite zu berücksichtigen und zu reflektieren, was die Handlungen auslöst. „Man sollte jeden Konflikt von zwei Seiten anschauen“, sagt die Autorin. Was Eltern als Fürsorge sehen, empfinden Kinder oft als Bevormundung. In vielen Familien scheint es schwierig zu sein, die Kinder loszulassen und ihnen einen eigenenWeg zu ermöglichen oder diesen zu akzeptieren. Was als Ratschlag gemeint ist, kommt als ständige Nörgelei rüber. Es gibt viele Themen, bei denen sich Eltern und ihre Kinder nicht richtig verstehen. Dorothee Döring hat, nicht nur bei diesem Thema, die Erfahrung gemacht, dass in Familien oft der Mut fehlt, sich unbequemen Fragen zu stellen. In ganz vielen Fa- milien machen Kinder mit ihren Eltern „kurzen Prozess“, weil es in der Familie keine Gesprächskultur gab.
Das Thema lag der Autorin aber besonders am Herzen, weil sie es auch aus eigener Anschauung kennt. Zwischen ihrer Mutter und deren drei Töchtern gab es ebenfalls verschiedene Phasen der Trennung. Aus heutiger Sicht hat sie viel mehr Verständnis für ihre Eltern, die als Jahrgänge 1916/18 zur Kriegsgeneration gehörten. Diese Generation kannte nur ein Schwarz-WeißDenken und stramme Autorität. Sie bemühte sich nicht um einen offenen Dialog mit den Kindern, oder etwa auch mit den Nachbarn, sondern übten Macht aus, die sie nicht in Frage stellen ließen. Diese Eltern-Generation war auch von Johanna Harers Erziehungsbuch „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“geprägt. Dieses Buch von 1934, das durchaus Gedanken aus Hitlers „Mein Kampf“übernahm, war auch nach 1945 noch weit verbreitet..Geraten wurde, schreienden Säuglingen nicht nachzugeben, und Kinder „hart wie Kruppstahl“zu machen. Die Kinder der 68er-Generaion haben dagegen aufbegehrt.
Aber auch abgesehen von Ideologien fällt es auch heute noch vielen Eltern schwer, Kinder ihren eigenen Weg machen zu lassen. Für viele ist
es eine Vertrauensfrage, eine Frage von Macht und Kontrolle. Nach dem Krieg kam es auch durch die höhere Bildung der Kinder zu starken Entfremdungen zwischen den Generationen. Und gerade da gibt es auch Eltern, die den Kontakt mit ihren Kindern abbrechen, weil sie einen ihrer Meinung nach einen falschen Partner heiraten oder beruflich einen falschen Weg einschlügen.
Trennungen können lange dauern, müssen aber nicht für immer sein. Ein Neuanfang, auch das zeigt das Buch auf, ist möglich. Grundsätzlich gilt für die verlassene Seite, nicht in Trauer zu verharren, sondern neue Lebensinhalte zu suchen. Selbsthilfegruppen können da am Anfang helfen, aber sie können auch dazu beitragen, die Situation weiter zu zementieren, wenn sich dort alle immer nur als Opfer sehen. Wer chronisch verbittert ist, kann darüber krank werden. Der beste Weg zu einem Neuanfang ist die Bereitschaft, die andere Seite mit in den Blick zu nehmen. Dieses Buch hilft dabei.