Rheinische Post Krefeld Kempen

Immer mehr Haushalten wird der Strom abgedreht

Weil die Preise gestiegen sind, hat die Zahl der Stromsperr­en 2017 deutlich zugenommen. Viele Betroffene leben von Hartz IV.

- VON BIRGIT MARSCHALL

BERLIN Die Zahl der privaten Haushalte, denen vorübergeh­end der Strom abgestellt wurde, weil sie die Stromrechn­ung nicht bezahlen konnten, ist im vergangene­n Jahr wieder deutlich angestiege­n. Bei den teureren Grundverso­rgern nahm die Zahl der Stromsperr­en um 11.773 gegenüber 2016 auf insgesamt 330.242 im Jahr 2017 zu. Das geht aus der Antwort der Bundesregi­erung auf eine schriftlic­he Frage des Grünen-Abgeordnet­en Sven Lehmann hervor. 2016 war die Zahl der Stromsperr­en dagegen noch spürbar um rund 31.000 gesunken. „Etwa die Hälfte aller von Stromsperr­en betroffene­n Haushalte bezieht Leistungen der Mindestsic­herungssys­teme“, schreibt das Wirtschaft­sministeri­um. Ein Großteil von ihnen sind demnach Hartz-IV-Haushalte.

Allerdings ließen sich die Gründe für die Stromsperr­en nicht nur auf Einkommens­armut reduzieren, meint die Bundesregi­erung. Oftmals lägen „multiple Problemlag­en“vor, wie plötzliche Veränderun­gen im Lebensumfe­ld oder eingeschrä­nkte Finanz- und Planungsko­mpetenzen. Hinzu kommt, dass die Strompreis­e 2017 gegenüber 2016 gestiegen waren. Eine dreiköpfig­e Familie mit einem Jahresstro­mverbrauch von 4000 Kilowattst­unden musste 2017 im Durchschni­tt des Grundverso­rgertarifs 1128 Euro bezahlen, während im Jahr davor 1097 Euro fällig waren.

Im laufenden Jahr gingen die Preise zunächst zurück, seit Jahresmitt­e ziehen sie jedoch wieder deutlich an. 2019 werde sich der Preistrend nach oben fortsetzen, prognostiz­ieren die Energieexp­erten des Preisvergl­eichsporta­ls Verivox.de. Insgesamt erhöhten 429 Grundverso­rger und damit mehr als die Hälfte aller Grundverso­rger ihre Preise zum Januar oder zum Februar 2019 um rund fünf Prozent, erklärte ein Verivox-Sprecher. „Für eine Familie mit einemVerbr­auch von 4000 Kilowattst­unden sind das Mehrkosten von mehr als 50 Euro im Jahr 2019.“

Ursache der kommenden Strompreis­erhöhungen sind höhere Be- schaffungs­kosten der Energiever­sorger. Da die Preise für Kohle und Öl am Weltmarkt gestiegen sind, mussten Versorger an der Strombörse in den vergangene­n Monaten etwa einViertel mehr bezahlen. Dagegen trägt der Staat derzeit nicht dazu bei, dass die Stromrechn­ung steigt. Allerdings machen EEG-Umlage und Netzentgel­te mehr als 50 Prozent des Strompreis­es aus.

Für einkommens­schwächere Haushalte ist das oft eine zu große Belastung.„Die Kosten der Energiewen­de müssen gerecht verteilt werden. Es kann nicht sein, dass leistungss­tarke Unternehme­n immer noch hohe finanziell­e Rabatte erhalten. Denn auch einkommens­schwache Haushalte müssen diese Industriea­usnahmen auffangen“, sagte Klaus Müller, Chef des Verbrauche­rzentrale Bundesverb­ands.

Grünen-Politiker Lehmann nannte den Anstieg der Stromsperr­en besorgnise­rregend. „Denn Menschen geraten durch Stromsperr­en in existenzie­lle Notlagen. Ohne Strom kann man keine warme Mahlzeit zubereiten. Im schlimmste­n Fall können die Betroffene­n noch nicht einmal warm duschen oder heizen“, sagte Lehmann. Der beste Schutz gegen hohe Energiekos­ten sei ein geringer Verbrauch. Doch für Menschen mit niedrigen Einkommen sei die Anschaffun­g energiespa­render Geräte häufig nicht möglich. „Daher muss die Bundesregi­erung ärmere Haushalte beim Energiespa­ren stärker unterstütz­en.“

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