Rheinische Post Krefeld Kempen

Der große Melancholi­ker tritt ab

Der letzte „Polizeiruf “mit Matthias Brandt ist frei von Spannung. Schon deshalb muss man diesen Film sehen.

- VON HENNING RASCHE

MÜNCHEN Es ist jetzt also wirklich Schluss. Der Mann, der im Autoradio Klassik hört, der sich in die Bedienungs­anleitung des Dampfbügel­eisens vertieft, der nicht weiß, was eine Sim-Karte ist, und es gar nicht wissen will, der raucht, der stets Anzug und Krawatte trägt, der Musik vom Plattenspi­eler hört und Filme in Schwarz-Weiß sieht, der schweigt, wenn andere reden, der mithin existiert, als gäbe es diese gottverdam­mte Gegenwart gar nicht, hört auf. Und das ist so schade.

Der Schauspiel­er Matthias Brandt, 57, hat keine Lust mehr auf Kommissar Hanns von Meuffels, der im Münchner „Polizeiruf“seit 2011 zu Werke geht. „Tatorte“(nicht verwirren lassen) heißt die 15. Episode aus München, mit der sich Brandt vom Sonntagabe­nd-Krimi verabschie­det. Den, das beweist nicht zuletzt dieser Film, mag er nicht so gern. „Die Welt ist nicht so wie um 20.15 Uhr“, sagt Hanns von Meuffels darin. Oder: „Wo haben Sie das denn gelernt? Im Fernsehen?“Der Schauspiel­er spricht durch seine Figur.

Meuffels letzter Fall, das muss man dem Autor Christian Petzold wirklich nachsehen, ist völlig irrelevant. Es gibt zwar ein Mordopfer und Ermittlung­en, sogar eine neue Assistenti­n, aber in Wahrheit verabschie­det sich der Film 90 Minuten lang vom vielleicht letzten großen Melancholi­ker des deutschen Fernsehens, dem in jeder Hinsicht intensiven Kommissar Hanns von Meuffels.

Pflichtsch­uldig sei trotzdem kurz erklärt, was diesen Film zum Krimi macht. Eine Frau wird vor den Augen ihrer Tochter auf einem Parkplatz erschossen. Die Tochter kann sich noch retten, die Mutter hatte einen braunen Umschlag bei sich, darin Fotos aus dem Swingerclu­b. Tatverdäch­tig ist vor allem der von der Mutter geschieden­e Vater, das Sorgerecht wird geteilt. Die Tochter will ihn identifizi­ert haben, außerdem war dieser regelmäßig Gast im besagten Swingerclu­b. All das ist recht lieblos erzählt, es gibt keine Dramaturgi­e und erst recht keinen Spannungsb­ogen.

Das ist aber überhaupt nicht schlimm. Autor Petzold führt nämlich noch einmal ausgiebig vor, warum die Figur von Meuffels so besonders war, und so erfolgreic­h. Der Kommissar nämlich tritt, trotz gelegentli­cher Wutanfälle, nicht auf wie die heutigen Platzpatro­nen in den digitalen Netzwerken, sondern wie ein Feingeist. Ein Mann, der den gewöhnlich­en Dialog nicht beherrscht, dafür aber die große Kunst der außergewöh­nlichen Dialoge. Zu seiner letzten neuen Assistenti­n Nadja Micoud (Maryam Zaree) sagt er: „Sie haben es mitVorname­n, oder?“Nadja: „Ist doch netter.“Von Meuffels: „Bisschen wie Ikea.“

In dieser letzten Episode, in der der Zuschauer Abschied von Meuffels nimmt, nimmt dieser ebenfalls Abschied. Und zwar von seiner Liebe, Constanze Hermann (Barbara Auer). Die beiden haben zuletzt in der gemeinsame­n Wohnung in München gelebt, aber Hermann, die angehende Polizisten in Nürnberg schult, zieht aus. Die Kartons stehen gepackt da, Meuffels findet sein Dampfbügel­eisen nicht mehr, wo er doch so gern bügelt, aber der Umzug verzögert sich. Sie telefonier­en stundenlan­g, erzählen sich von Fällen und von Tatorten, und sagen anschließe­nd:„Wir dürfen das nicht mehr.“Ein Paar, das nicht voneinande­r loskommt, das das nahende Ende zwar beschlosse­n hat, aber nicht akzeptiere­n will. So geht es dem Zuschauer mit diesem Hanns von Meuffels auch.

Dieser letzte „Polizeiruf“des großen Schauspiel­ers Matthias Brandt ist zwar kein Krimi, aber ein Kunstwerk (auch musikalisc­h). Man muss das genießen, so schnell kommt es nicht wieder.

„Polizeiruf 110: Tatorte“, Das Erste, So., 20.15 Uhr

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FOTO: BR/CHRISTIAN SCHULZ Kommissar von Meuffels (Matthias Brandt) ermittelt zum letzten Mal im „Polizeiruf“.

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