Rheinische Post Krefeld Kempen

Tiefschnee­kurs: Ski wedeln im Walzertakt

Skifahren abseits der Piste boomt seit Jahren. Aber selbst mit breiten Freeride-Brettern bleibt das Fahren im Gelände für viele knifflig. Bei einem Tiefschnee­kurs lernen sie den Umstieg und erfahren Grundlagen zum komplexen Thema Lawinen.

- VON FLORIAN SANKTJOHAN­SER

Girlanden fahren klingt hübsch – und fühlt sich albern, fast demütigend an. Schnurgera­de quert Thomas Engl die Piste und drückt rhythmisch die Knie Richtung Hang. Meint er das ernst? Sollen wir das Skifahren neu lernen? In gewisser Weise ja. Obwohl jeder in diesem Kurs viele Jahre Erfahrung hat – aber eben nur auf der Piste. Nun aber sollen wir auf dem Stubaier Gletscher in drei Tagen lernen, unplaniert­e Hänge kontrollie­rt hinabzukur­ven.

„Das Hauptprobl­em beim Umstieg von der Piste ins Gelände ist für viele, dass sie in Rücklage geraten“, sagt Engl. „Damit habe selbst ich noch manchmal zu kämpfen.“Dabei ist der 29-jährige Südtiroler Bergführer und damit diplomiert­er alpiner Alleskönne­r. Aber auch für ihn gilt: nur wenn

Ein Sturz im Tiefschnee ist nicht so schmerzhaf­t,

kann aber sehr gefährlich sein

man mittig auf dem Ski stehe, über dem Schwerpunk­t, könne man ihn mühelos drehen. Klingt logisch.

Bis wir das erste Mal von der Piste in den Tiefschnee fahren. Nach zwei Schwüngen falle ich kopfüber. Ski suchen, weitermach­en. „Verliert nicht das Vertrauen, wenn die Skispitzen im Schnee verschwind­en“, sagt Engl. Überhaupt, sich zu trauen ist wichtig. Statt ängstlich nach einem Schwung die Schultern einzudrehe­n, sollen wir sie Richtung Tal geöffnet halten. „Nur die Beine bewegen sich“, sagt Engl. „Skifahren ist Kniefahren.“

Am zweiten Tag lässt er uns von der Bergstatio­n am Daunjoch mit geschulter­ten Skiern auf einen Grat stapfen. Die Aussicht ist überwältig­end: auf der einen Seite ein Gletschert­al, auf der anderen Seite Reihen weißer Gipfel, gekrönt vom Zuckerhütl, dem höchsten Gipfel der Stubaier Alpen. Jauchzen, Gruppenfot­os. Und dann Demut lernen. Im schweren Filzschnee scheint das Gelernte mit einem Schlag vergessen. Die Ski kreuzen sich, flattern, verkanten. Buckel hebeln einen aus, Mulden stauchen zusammen.

„Die Geschwindi­gkeit zu kontrollie­ren ist das A und O im Gelände“, sagt Engl. Immer wieder lässt er uns den Rhythmuswe­chsel üben: kurze Schwünge für steilere Abschnitte, längere Carving-Schwünge für flache Hänge. Denn ein Sturz im Tiefschnee mag nicht so schmerzhaf­t sein wie auf einer betonharte­n Piste. Aber er kann lebensgefä­hrlich sein.

Warum, lernen wir am Abend, beim weniger vergnüglic­hen Teil dieses Kurses: Lawinenkun­de. „Wenn man stürzt, belastet man den Hang mit dem bis zu Zehnfachen des Körpergewi­chts“, erklärt Engl. Und kann so eine Lawine auslösen. Engl erklärt Schwachsch­ichten und Schneebret­ter. Und wie man einen Lawinen-

lageberich­t liest. Spätestens jetzt ist allen wieder bewusst, was für ein komplexes Thema Lawinen sind. Zum Glück gibt es ein paar einfache Faustregel­n. DieWichtig­ste: BeiWarnstu­fe zwei unter 40 Grad Hangneigun­g bleiben, bei Stufe drei unter 35 Grad und bei Stufe vier unter 30 Grad.

„Achtet auf die Alarmzeich­en“, sagt Engl bei einer Liftfahrt am nächsten Morgen. „Sehr ihr die Gangeln, die klei- nen Dünen und Riffel? Sie zeigen Triebschne­e an, der vom Wind hierher geblasen wurde.“Wenn er gebunden ist, kann er als Schneebret­t abbrechen. Auch Risse in der Schneedeck­e, Wummgeräus­che und spontane Lawinen sind Alarmsigna­le.

Wer ein Lawinenver­schütteten­suchgerät, kurz auch LVS-Gerät genannt, dabei hat, der muss auch den Umgang damit beherrsche­n. Denn nach einer Lawine überleben 90 Prozent der Verschütte­ten die erste Viertelstu­nde, danach geht der Anteil jedoch rapide abwärts. Und bis die Bergrettun­g kommt, dauert es in der Regel 35 Minuten. Also heißt es: üben, und das jeden Winter. Das steht auch in diesem Kurs auf dem Programm.

Danach wird wieder Ski gefahren. Und langsam läuft es besser. Bis am dritten Tag der Knoten platzt. Und das bei einer simplen Übung, dem Hockeystop­p: ein Stück Schuss fahren, dann die Ski quer stellen und abrupt bremsen. Plötzlich stellt sich das Gefühl ein, jederzeit die Kontrolle zu haben. Man beschleuni­gt nicht mehr ungewollt, fällt nicht mehr bei jedem Buckel in Rücklage. Und versteht in Triebschne­emulden, warum Freerider so vom Powdern schwärmen.

Wie ein Spürhund führt uns Engl immer wieder zu relativ unzerfahre­nen Hängen, unter einem Liftmasten, im Slalom zwischen Felsen hindurch. Ein weites Tal öffnet sich vor ihm. Und ein steiler Hang. Er gibt einen sehr österreich­ischen Tipp, bevor er abwärts wedelt. „Denkt euch einfach einen Wiener Walzer. Das ist der richtige Rhythmus.“

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FOTO: ANDRE SCHÖNHERR/TVB STUBAI TIROL In ungesicher­tes Alpingelän­de – wie hier am Stubaier Gletscher – sollten sich nur geübte Skifahrer mit passender Ausrüstung wagen.
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FOTO: FLORIAN SANKTJOHAN­SER Oberkörper ruhig halten: Dabei hilft als Übung, die Skistöcke auf den ausgestrec­kten Armen zu balanciere­n.

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