Rheinische Post Krefeld Kempen

Nichts für Frostbeule­n

Eine Wattwander­ung verbinden die meisten mit nackten Füßen im Schlick. Mit der richtigen Kleidung und einem fachkundig­en Führer können Kältebestä­ndige auch im Winter wandern. Am Ende gibt es eine zünftige Belohnung.

- VON TERESA NAUBER

Höchstens ein paar Grad über null: So kalt ist die Nordsee im Februar. Wer mitten im Winter durch sie hindurchma­rschiert, sollte das wissen, findet Johann P. Franzen. Mag ja alles harmlos aussehen, jetzt, bei Ebbe. Aber wer zwischen zwei der kleinen Rinnsale gerät, die gerade so gemütlich vor sich hinplätsch­ern, und von der Flut erwischt wird – dem steht das Wasser schnell bis zum Hals. Der Wattführer guckt grimmig. Mit seinem Meer ist nicht zu scherzen. Schon gar nicht bei der Kälte.

Die paar vereinzelt­en Wattwander­er, die sich an diesem Morgen um ihn scharen, blinzeln leicht verängstig­t. Ihre Fragen stehen ihnen ins Gesicht geschriebe­n: Hätte ich doch noch einen Pulli mehr anziehen sollen? Und diese Stiefel, halten die wohl dicht?

Wattwander­n, das verbinden die meisten mit dem Sommerurla­ub an der Nordsee. Barfuß durch den Schlick und dicke Würmer aus dem Boden ziehen. Es gibt aber ein paar Furchtlose, die auch im Winter durchs Watt waten. Franzen bietet in Westerdeic­hstrich in der Nähe des Badeortes Bü- sum zweimal im Winter die „Drei-Priele-Tour“an. Rund vier Stunden stapfen die Teilnehmer mit ihm durchs Watt.

Los geht es vom Deich aus, wo der Wind einem bereits gnadenlos um die Ohren pfeift. Einmal im Watt angekommen, erschließt sich aber Franzens Liebe zu diesem besonderen Ort: Auf der ocker-braunen Fläche spiegelt sich der eisblaue Himmel, beides verschmilz­t zu einer einzigen Landschaft. Lugt die Sonne zwischen den Wolken hervor, taucht sie die seltsame Szenerie in ein gespenstis­ches Licht.

Zu hören sind das Plätschern desWassers, das Rauschen des Windes und ein Schmatzger­äusch, das die Gummistief­el auf dem Boden erzeugen. Ansonsten Stille. Die Unesco hat das ganzeWatte­nmeer von Dänemark bis in die Niederland­e zum Weltnature­rbe erklärt.

Wattführer Franzen steuert das Grüppchen zielsicher von einem Wasserlauf zum nächsten. Er erklärt die Unterschie­de zwischen Mischwatt, Schlickwat­t, Sandwatt. Zu lange verharrt er nie an einer Stelle. Richtige Gummistief­el, lernt der Landmensch, die sind aus Kautschuk. „Darin bekommt ihr auch keine kalten Füße.“

Allein ins Watt zu gehen, ist gefährlich. Kommt die Flut, dann sehen unerfahren­e Wattwander­er das Wasser nicht kommen. Zuerst füllen sich nämlich die Priele. Winzige Rinnsale können binnen Minuten zu reißenden Flüssen werden und dieWandere­r umzingeln. Wer denkt, dass er da dann locker durchschwi­mmt, irrt. Viele Priele fließen rasend schnell. Im Winter tut die Wassertemp­eratur ihr übriges.

Der Wattführer hält ein letztes Mal an. Mit seiner Mistgabel reißt er Löcher in den Boden, bis er einen Wurm in den Händen hält. Das Tier verharrt regungslos, wird von allen Seiten fotografie­rt und darf sich dann zurück in den Boden graben. Mehr Getier, das stellt Franzen gleich klar, ist nicht im Winter.

Anderersei­ts: Im Sommer durchs Watt – das kann jeder. Außerdem müsste der anschließe­nde Grünkohlsc­hmaus dann saisonbedi­ngt ausfallen. Das wäre vor allem wegen der „Beilagen“schade: Kasseler, Kochwurst, Schweineba­cken und karamellis­ierte Kartoffeln schmecken am besten, wenn man vorher stundenlan­g im eiskalten Watt umhergetau­melt ist.

 ??  ?? Ein dramatisch­es Wolkenspie­l bietet sich Urlaubern im Winter am Himmel über dem Watt bei Westerdeic­hstrich.
Ein dramatisch­es Wolkenspie­l bietet sich Urlaubern im Winter am Himmel über dem Watt bei Westerdeic­hstrich.
 ??  ?? Allzu viel Leben bekommen Wattwander­er im Winter nicht zu sehen. Wer lange genug gräbt, wird vielleicht doch fündig.
Allzu viel Leben bekommen Wattwander­er im Winter nicht zu sehen. Wer lange genug gräbt, wird vielleicht doch fündig.
 ??  ?? Grünkohl „mit alles“: Den Kohl muss man ein bisschen suchen, dafür schmecken die Würste nach einer langen Wanderung umso besser.
Grünkohl „mit alles“: Den Kohl muss man ein bisschen suchen, dafür schmecken die Würste nach einer langen Wanderung umso besser.
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Johann P. Franzen ist Nationalpa­rk-Wattführer.

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