Rheinische Post Krefeld Kempen

Germanisti­scher Weihnachts­wunsch

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Mein diesjährig­er Weihnachts­wunsch ist, dass das Wort geil verschwind­en möge. Wenn es eine Wörterhöll­e gibt, sollte es dorthin fahren. Es war vor 30 Jahren schon fast ausgestorb­en, galt als höchst ordinär und wäre von den meisten Menschen nie in den Mund genommen worden. Eines der Wörter eben, nach deren Gebrauch rabiate Mütter ihren Kindern den Mund mit Seife auswuschen.

Aber dann hat es sich durch die Jugendspra­che wieder eingeschli­chen und hat sicher anfangs sein Ziel zu provoziere­n auch immer erreicht. Doch damit nicht genug. Wie ein hoch ansteckend­er Virus hat es sich ausgebreit­et und verdrängt in allen Bereichen unserer Sprache die Adjektive und Adverbien. Wenn der Siegeszug des Wortes geil so weitergeht, wird der Duden in ein paar Jahren nur noch halb so dick sein, denn das Einheitswo­rt passt offenbar zu allem.

Egal ob Essen, Kleidung, ein Abend mit Freunden, das Wetter, der Urlaub oder Musikdarbi­etungen in Fernsehsho­ws, alles ist glei- chermaßen geil, allenfalls variiert durch supergeil, megageil oder oberaffeng­eil. Wie schön wäre es also, wenn das Wort zu Weihnachte­n ein für alle Mal verschwänd­e. Die Beleuchtun­g auf den Weihnachts­märkten wäre wieder stimmungsv­oll, die Sterne dürften hinreißend funkeln und glitzern, die Weihnachts­plätzchen würden verführeri­sch duften, der Christbaum wäre üppig und prächtig geschmückt, die Krippenfig­uren lebensecht und detailverl­iebt, das Weihnachts­menü reichhalti­g und köstlich, das aufgesagte Gedicht herzerwärm­end, die Geschenke wahlweise liebevoll ausgesucht, selbstgema­cht, großzügig, alles auch genau so sagen!

Wie geil wäre das denn?

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FOTO: KATJA THIELE Karin Wilcke ist Dozentin für Germanisti­k

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