Rheinische Post Krefeld Kempen

Fatih Akins neuer Film ist der Horror

Eine Begegnung mit dem Regisseur, der ein kaum zu ertragende­s Werk bei der Berlinale präsentier­t: „Der goldene Handschuh“erzählt die Geschichte eines Serienmörd­ers. Als Nächstes plant Akin einen Film über Marlene Dietrich.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Am linken Mittelfing­er trägt er einen silbernen Totenkopf-Ring. Seine Stimme ist heiser. Er kreuzt die Arme vor der Brust, als wolle er sich schützen. Jetzt erstmal Kaffee. Ist aber auch noch relativ früh an diesem Morgen im Regent-Hotel am Gendarmenm­arkt. Man würde gerne über etwas Schönes mit dem 45-Jährigen sprechen. Aber das geht nicht. Denn Fatih Akin hat einen Film in denWettbew­erb der Berlinale geschickt, der widerlich ist, brutal, voller Körperflüs­sigkeit und verwestem Fleisch. Einen stinkenden Film. Deshalb gleich mal diese Frage: Die kaum auszuhalte­nde Szene, in der eine Frau in Echtzeit vollfronta­l erdrosselt wird, musste die wirklich sein? „Ich wollte zeigen, was es bedeutet zu sterben“, sagt Akin. „Diese Frau ist eine Prostituie­rte und Alkoholike­rin, und sie hat den Willen zu leben. Sie hat das KZ überlebt, die stirbt nicht so einfach. Das wollte ich visuell umsetzen. Mit Drastik. Es soll den Zuschauer erschütter­n.“

Fatih Akin: in Hamburg-Altona aufgewachs­ener Deutschtür­ke. Einziger deutscher Berlinale-Sieger in den vergangene­n 33 Jahren. Sein Meisterwer­k „Gegen dieWand“war eine Sensation. Ein Film mit Flow, ein Gossen-Poem, ein Faustschla­g. Unbändig und brutal. Aber eben auch: romantisch und leidenscha­ftlich. Akin gilt als Hochbegabt­er, einer, dem man zutraut, das Neue in die Welt zu bringen. Er drehte „Im Juli“, „Solino“, „The Cut“, „Tschick“und zuletzt mit Diane Kruger „Aus dem Nichts“. Die Produktion brachte ihm den Golden Globe ein.

Jetzt also der neue Film:„Der goldene Handschuh“. Er basiert auf dem gleichnami­gen Roman von Heinz Strunk und erzählt die wahre Geschichte des Mörders Fritz Honka, der Anfang der 1970er Jahre in Hamburg vier Frauen umbrachte. Er lernte sie im „Goldenen Handschuh“auf dem Kiez kennen, einer Absturzkne­ipe, ein „Laufsteg der Entstellte­n“, wie Strunk schreibt. Der Umgangston ist derb. Wer mit dem Kopf auf dem Tresen liegt, wird alle paar Stunden mit Eiswürfeln beworfen, um zu prüfen, ob er noch lebt. Honka brachte seine Opfer in seine verwahrlos­te Mansarde, manchmal hatte er Sex mit den Frauen. Als er mordete, hatte er bisweilen vier Promille. Die Leichen zersägte er und bewahrte sie in seiner Wohnung auf. Den Verwesungs­geruch versuchte er mit Duftbäumch­en und Klosteinen zu bekämpfen. St. Pauli noir.

Warum hat Akin ausgerechn­et dieses Buch verfilmt? „Ich bin ein großer Fan von Charles Bukowski“, antwortet er. „Mein ganzes Leben lang wollte ich eigentlich immer Bukowski verfilmen, weil er mich sehr geprägt hat. Sein Rhythmus und der Kram. Und als ich den Roman von Strunk gelesen habe, war das ein Bukowski-Echo. Und es war mehr als das: die Geschichte eines Serienmörd­ers in meiner Nachbarsch­aft. Die persönlich­en Verbindung­en waren so eng. Echt, es gab keinen Weg daran vorbei.“

Fatih Akin hat ein Elendsdram­a gedreht, das als Horrorfilm daherkommt. Es geht darum, was Menschen einander antun. Die Personen, die auftreten, haben den Krieg erlebt, manche sind körperlich, alle geistig versehrt. Fritz Honka, der von Jonas Dassler gespielt wird, wuchs im Kinderheim auf, während sein Vater im KZ

war. Eines seiner Opfer war Prostituie­rte in einem KZ. Alle Opfer waren einsam, keine Frau wurde je als vermisst gemeldet. „Die Aufgabe war, die Würde zu bewahren“, sagt Akin, „die Würde der Opfer, aber auch Honkas Würde.“

Der Mörder Honka flog nur durch einen Zufall auf. Das Haus, in dem er seineWohnu­ng hatte, brannte, als er nicht da war. Die Nachbarn hatten den Herd angelassen. Ein Feuerwehrm­ann fand Leichentei­le in Honkas Wohnung. Honka wurde zu 15 Jahren verurteilt, lebte nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis unter falschem Namen bis 1998 in einem Altenheim. Am Set sei auch eine Psychologi­n gewesen, erzählt Akin. Die Produzenti­n habe das vorgeschla­gen, damit die Schauspiel­er bei all den drastische­n Szenen das Gefühl haben, dass jemand für sie da sei.

Fatih Akin sitzt inzwischen mit durchgedrü­cktem Rücken da. Seine Hände zeichnen parallel zum Gesagten Bilder in die Luft. Wenn er etwas besonders wichtig findet, lässt er eine Hand in der Luft stehen und reißt die Augen auf. Ein breites weißes Pflaster klebt am Ringfinger seiner rechten Hand. Das hat etwas von Michael Jackson. Was insofern stimmig ist, als Akins Oberkörper zu grooven scheint. Den Rhythmus gibt seine Stimme vor: Er spricht ein warmes Deutsch, das er manchmal mit Kumpelrund­en-Sprech anreichert. Und wenn er kurz nachdenkt, sagt er nicht „äh“, sondern „ah“. Er sagt oft „ah“, das lässt seine Suada bisweilen wie einen Rap wirken.

„Der goldene Handschuh“ist auch ein Porträt der deutschen Nachkriegs­zeit. Akin hat sich von Fassbinder inspiriere­n lassen: „Seine Filme sind der beste Schlüssel zu dieser Zeit, vor allem ,Händler der vier Jahreszeit­en‘“. Der Honka in Akins Film trinkt Fanta mit Korn, dann Korn mit Fanta, schließlic­h nur noch Korn, und während er mordet, laufen Schlager: „Es geht eine Träne auf Reisen“von Adamo.„Ekel darzustell­en, ist eine genauso große Herausford­erung wie Eleganz darzustell­en“, sagt Akin.

„Der goldene Handschuh“sei der schnellste Film, den er je gemacht habe. „Als das mit der Oscar-Nominierun­g für ,Aus dem Nichts‘ im Januar 2018 nicht geklappt hat, habe ich die Produzenti­n angerufen und gesagt: Zieh den Dreh von Herbst auf Sommer vor.“Warum das Tempo? „Ich habe den Film von Julian Schnabel über van Gogh gesehen. Und Willem Dafoe sagt da als van Gogh, man muss ein Bild schnell malen, in einem Strich. Ich hab gedacht: Ja, man muss das Zeug schnell machen! Und so würde ich gerne weiterarbe­iten.“

Vielleicht als Gegengift zum Serienmörd­er-Thema plant er als Nächstes einen Film über Marlene Dietrich. Hauptrolle: Diane Kruger. „Das war Dianes Idee“, sagt Akin. „Ich hab zuerst gedacht, was hab ich denn damit zu tun? Und dann lag Diane mir in den Ohren und meinte: ,Doch, das wird toll, du kannst das.’ Und jetzt schreiben wir das.“

Akin spricht nun über die Schönheit, über Marlenes Kleider und Kostüme, und wie man sie richtig ausleuchte­t: „Armani und so“. Und man hört zu und denkt: Danke, Diane Kruger!

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FOTO: GORDON TIMPEN/DPA Szene aus Fatih Akins „Der goldene Handschuh“– Jonas Dassler spielt den Mörder Fritz Honka.
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Regisseur Fatih Akin.

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