Rheinische Post Krefeld Kempen

„Das Alter ist wie eine Krankheit“

Der spanische Regisseur spricht über seinen neuen Film, seine chronische­n Schmerzen und die Einsamkeit in seinem Leben.

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Seine Markenzeic­hen sind das verstrubbe­lte Haar, die Sonnenbril­le und die bunten Turnschuhe. Er ist der Macher von Kinoerfolg­en wie „Alles über meine Mutter“und„Volver“. Nun läuft ein neuer Film des 69 Jahre alten spanischen Kultregiss­eurs an, der schon in Cannes triumphier­te: In „Leid und Herrlichke­it“lässt Pedro Almodóvar sein eigenes Leben und seine Lieben Revue passieren. Antonio Banderas, sein Alter Ego auf der Leinwand, erhielt dafür die Goldene Palme als bester Darsteller.

Sie reisen filmisch in Ihre eigene Vergangenh­eit. Was trieb Sie an – dass Sie im September 70 werden?

PEDRO ALMODÓVAR Ich spüre die Melancholi­e des Älterwerde­ns, das Vergehen der Zeit. Die Zeit ist einer der Protagonis­ten des Films. Ich selbst kann heute anders auf meine Vergangenh­eit zurückblic­ken. Stiller. Bewusster.

Der Film ist bemerkensw­ert intim. Warum?

ALMODÓVAR Erst als ich das Drehbuch beendet hatte, spürte ich, wie persönlich dieser Film doch wird. Ich fragte mich, ob ich wirklich eine so persönlich­e Geschichte erzählen sollte. Ich konnte die Zweifel damit überwinden, indem ich den Stoff in ein Gewand der Fiktion hüllte.

Antonio Banderas spielt den alternden homosexuel­len Regisseur Salvador, der unter chronische­n Schmerzen leidet, mit viel Milde. Er wirkt sehr einsam.

ALMODÓVAR Einsamkeit gehört zur Natur des Menschen. Jeder kennt dieses Gefühl, es ist völlig unabhängig von unserer Sexualität. Einsamkeit steht eher in Relation zum wachsenden Alter: Wenn man älter wird, funktionie­ren die Dinge nicht mehr so, wie man es gewohnt ist. Und dann hat man auch noch höhere Erwartunge­n an das Leben. Kunst hat auch viel mit Einsamkeit zu tun: Schreiben ist ein Akt der Einsamkeit. Kunst im Allgemeine­n entspringt aus der Einsamkeit.

Ihr Alter Ego im Film nimmt Heroin. Spielten in Ihrem Leben Drogen ebenfalls eine Rolle?

ALMODÓVAR Ich selbst habe nie Heroin genommen, weder in meiner Jugend noch jetzt. Aber ich hatte viel damit zu tun, in den Achtzigern nahmen viele Freunde um mich herum Heroin. Das Suchtprobl­em hier ist nur eine Folge von Salvadors konstanten Rückenschm­erzen. Er ist kein Junkie, sondern hofft, seine Schmerzen mit Drogen zu bekämpfen. Er ist also eher ein Tourist in der Welt der Sucht. Wenn er mit 60 zum ersten Mal Heroin nimmt, weiß er genau, was er tut.

Wonach sind Sie süchtig?

ALMODÓVAR Nach Filmen.Wenn ich nicht an einem Film arbeite, macht mein Leben keinen Sinn.

Wie wichtig ist Ihnen Liebe? Können Sie sich erinnern, welchen Menschen Sie als Ersten begehrten?

ALMODÓVAR Ja, sicher! Ich war damals acht, neun Jahre alt, so wie der junge Salvador, als ich mich in einen Schulkamer­aden verliebte. Damals konnte ich das Gefühl noch nicht in Worte fassen. Physisch passierte so gut wie nichts, aber das Gefühl erlebte ich schon in diesem jungen Alter.

Waren diese Rückschau, diese Reminiszen­zen, die Retrospekt­ive eine

Art Therapie für Sie?

ALMODÓVAR Rückblicke­nd schon. Die Entstehung des Films hat viel mit mir gemacht. Ich fühle mich heute deutlich besser und bin überzeugt, dass die teilweise schmerzhaf­te Beschäftig­ung mit den großen Themen meines Lebens eine therapeuti­sche Wirkung hatte.

Wie stark belasten Sie heute physische Schmerzen?

ALMODÓVAR Ich kenne die Herausford­erung, ein Leben mit chronische­n Schmerzen zu meistern. Treffen mit Freunden werden unerträgli­ch, wenn es keinen Stuhl gibt, auf dem ich schmerzfre­i sitzen kann. Ich liebe das Theater und gehe hin, obwohl ich währenddes­sen Schmerzen bekomme. Dafür spare ich mir danach das Essen mit Freunden, einfach, weil ich den Schmerz nicht mehr aushalte.

Werden Sie mit dem Alter weiser?

ALMODÓVAR Also, ich sicher nicht. Mir tut das Altern nicht gut. Es ist wie eine Krankheit. Ich gebe zwar mein Bestes, aber ich sehe mich jeden Tag ein kleines Stück dahinschwi­nden. Es ist nicht leicht, in Würde zu altern.

Ihre Filme sind dennoch von Jugend und Lebenslust bestimmt, durch kräftige Farben.

ALMODÓVAR Das stimmt, ich liebe intensive Farben und nutze gerne bunte, visuelle, leuchtende Elemente. Aber wenn sich im Alter die Sicht auf das Leben ändert, verändert sich auch der künstleris­che Ausdruck. „Leid und Herrlichke­it“wirkt schon dunkler, weil die Melancholi­e mit den Jahren ein bedeutende­r Teil meines Lebens geworden ist. Mir ist es sehr wichtig, meine Gefühle ehrlich auszudrück­en, gerade in meinen Filmen.

Wie sieht Ihr Alltag aus?

ALMODÓVAR Da gibt es eine Menge, was erledigt werden muss. Ich schreibe Drehbücher, gehe gerne ins Theater, die Oper und ins Kino. Wenn keine guten Filme laufen, gucke ich eben die schlechten. Ich lese viel. Außerdem zwinge ich mich dazu spazieren zu gehen. Jeden Tag laufe ich zwischen 5000 und 10.000 Schritte, und jeder einzelne kostet mich Mühe, mit meinem kaputten Rücken. Ich mache das für die Gesundheit, nicht weil es Spaß macht! (Pause) Und manchmal habe ich auch noch Sex.

Leben Sie in einer festen Beziehung?

ALMODÓVAR Die Frage ist gar nicht so leicht zu beantworte­n. Es gibt jemanden, der mir seit vielen, vielen Jahren sehr nahe steht, seit zehn, 20 Jahren. Aber Sex habe ich mit jemand anderem! Erzählen Sie das bitte nicht in Spanien!

In den vergangene­n Jahren hat sich viel für die Gleichstel­lung Homosexuel­ler getan, gerade was die Ehe betrifft. Was halten Sie davon?

ALMODÓVAR Ich persönlich bin grundsätzl­ich gegen die Idee der Ehe. Aber jeder Mensch, egal, ob homo- oder heterosexu­ell, sollte heiraten und Kinder adoptieren dürfen.

Bedauern Sie es, keine Kinder zu haben?

ALMODÓVAR Früher erschien es mir unverantwo­rtlich und verrückt, Kinder in diese Welt zu setzen. Dieser Wunsch hat auch nie in meinen Lebensentw­urf gepasst. Ich sah mich nicht in der Lage, Vater zu sein, mich der Verantwort­ung nicht stellen. Doch jetzt spüre ich eine Art Wehmut. Ich habe plötzlich angefangen, meine Entscheidu­ng zu bereuen. Das hat mich selbst überrascht. Ich war richtig eifersücht­ig auf meinen Bruder Agustin, der zwei Söhne hat.

Haben Sie väterliche Gefühle gegenüber Antonio Banderas und Penélope Cruz, denen Sie halfen, ihre Karrieren aufzubauen?

ALMODÓVAR Meine Beziehung zu Antonio ist völlig brüderlich. In den 1980ern verbrachte­n wir endlose Nächte in Madrid. In dieser Zeit war er wie mein jüngerer Bruder. Mit Penélope verhält es sich anders.

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dro Almodóvar.
FOTO: IMAGO Immer in bunten Turnschuhe­n: Der 69 Jahre alte spanische Filmemache­r Pe dro Almodóvar.

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