Rheinische Post Krefeld Kempen
Iberogast im Visier der Justiz
Nach einem Todesfall muss Bayer seit 2018 darauf hinweisen, dass Schwangere, Stillende und Leberkranke das pflanzliche Arzneimittel nicht nehmen dürfen. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft Köln.
LEVERKUSEN Der Bayer-Konzern hat neuen Ärger. Dieses Mal geht es um Iberogast. „Mit der Kraft der Natur gegen Magen- und Darm-Beschwerden“lautet die Werbung zu dem Arzneimittel. Doch so harmlos, wie der Slogan anmutet, ist der braune Saft womöglich nicht. Nun ermittelt die Staatsanwaltschaft Köln im Umfeld des Konzerns, bestätigten Branchenkreise einen Bericht des„Handelsblatts“. Demnach seien die Ermittlungen in einem frühen Stadium, die Staatsanwaltschaft habe ein Gutachten in Auftrag gegeben, das den kausalen Zusammenhang zwischen dem Mittel und (tödlichen) Nebenwirkungen klären soll. „Dazu können wir uns zum jetzigen Zeitpunkt nicht äußern“, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft auf Anfrage.
Iberogast ist ein pflanzliches Mittel. Doch von den neun Arzneipflanzen, die in ihm enthalten sind, kann das Schöllkraut zu schweren Nebenwirkungen führen. Das ist seit längerem bekannt. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat daher Jahre lang darauf gedrängt, dass Bayer bei Iberogast Warnhinweise für Schwangere, Stillende und Leberkranke anbringt. Andere Hersteller von Schöllkraut-haltigen Mitteln hatten das getan. Dann habe es „vier ausreichend dokumentierte Nebenwirkungsmeldungen und eine wissenschaftliche Veröffentlichung im American Journal of Gastroenterology hinsichtlich lebertoxischer Nebenwirkungen zu Iberogast“gegeben, erklärte das Bundesinstitut. Im Juli 2018 wurde der Fall eines Leberversagens mit Lebertransplantation bekannt, „der letztlich tödlich endete“, wie die Behörde mitteilte.
Im September 2018 fügte Bayer sich dann. Der Konzern muss seither in den Beipackzettel schreiben: „Iberogast darf von Schwangeren und Stillenden nicht eingenommen werden. Iberogast darf nicht eingenommen werden, wenn Sie an Lebererkrankungen leiden oder in der Vorgeschichte litten.“Auch der Hinweis auf die gravierenden Folgen musste aufgenommen werden: „Bei der Anwendung von Schöllkraut-haltigen Arzneimitteln sind Fälle von Leberschädigungen (Anstieg der Leberenzymwerte bis hin zu arzneimittelbedingter Gelbsucht sowie Fälle von Leberversagen) aufgetreten.“
Nun geht die Staatsanwaltschaft Köln laut Branchenkreisen der Frage nach, ob sie wegen Körperverletzung oder fahrlässiger Tötung gegen Verantwortliche vorgehen muss. Die Justiz kommentierte das nicht.
Bayer erklärte dazu, man habe aus der Presse erfahren, „dass in Bezug auf einen Todesfall in 2018 ermittelt wird, bei dem eine Patientin eine Leberschädigung erlitt und an den Komplikationen einer nachfolgenden Lebertransplantation verstarb“. Der Konzern betonte: „Das Ermittlungsverfahren richtet sich ,gegen unbekannt’. Einzelheiten des Ermittlungsverfahrens sind Bayer nicht bekannt.“
Bayer hält Iberogast auch weiterhin für ein sicheres Medikament:„DieWirksamkeit und Sicherheit von Iberogast wurde bei über 7000 erwachsenen Teilnehmern in prospektiven klinischen Studien nachgewiesen und bei der Behandlung von mehr als 82 Millionen Patienten seit der Markteinführung im Jahr 1960 bestätigt.“
Einzelne Gastroenterologen raten mittlerweile davon ab, Iberogast zu verordnen. Doch aus Sicht von Bayer ist das Mittel selbst für Kinder geeignet. „Iberogast ist zur Anwendung bei Kindern und Jugendlichen ab drei Jahren zugelassen“, so der Konzern. Wirksamkeit und Verträglichkeit bei Verdauungsstörungen (funktionelle Dyspepsie) und Reizdarmsyndrom seien „auch bei diesen jungen Patienten wissenschaftlich belegt“. Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen bei Kindern unter zwölf Jahren sogar die Kosten, manche Kassen zahlen im Rahmen freiwilliger Leistungen auch für Erwachsene.
Bayer hatte die Firma Steigerwald, die Iberogast seit den 1950er Jahren herstellte, im Jahr 2013 übernommen. Die 180 Steigerwald-Beschäftigten sorgten damals für einen Umsatz von 61 Millionen Euro. Heute soll der Umsatz doppelt so hoch liegen. Bayer nennt keine Umsatzzahlen für das Mittel. Iberogast ist eine der bekanntesten rezeptfreien Arzneien von Bayer.
Die neuen Schlagzeilen kommen für Bayer zur Unzeit. Der Konzern sieht sich in den USA 13.400 Glyphosat-Klagen gegenüber. Zwei Mal haben zwar Richter die Urteile von Geschworenen-Jurys korrigiert, sie reduzierten massiv die Höhe des Schadenersatzes. In der Sache aber bestätigten die Richter die Kläger, die den glyphosathaltigen Unkrautvernichter Roundup für ihre Krebserkrankung verantwortlich machen. Die Debatte um milliardenschwere Vergleiche hat bereits begonnen.
Und so schloss die Bayer-Aktie, die mal 140 Euro wert war, auch am Montag unter 60 Euro, obwohl der Konzern beim Aufräumen der Sparte für rezeptfreie Arzneien vorangekommen ist. Die Sparte war zum Sorgenkind geworden, nachdem Bayer 2014 das entsprechende Geschäft vom US-Konzern Merck übernommen hatte. Nun hat Bayer einen Käufer für die Fußpflege-Marke Dr. Scholl‘s gefunden. Diese geht für 585 Millionen Dollar an den US-Finanzinvestor Yellow Wood. Der erwerbe die Markenrechte an Dr. Scholl‘s in Amerika und übernehme rund 30 Mitarbeiter in den USA und Kanada, teilte Bayer mit. Dr. Scholl‘s machte zuletzt einen Jahresumsatz von 234 Millionen Dollar. Mercks frühere Sonnenschutz-Marke Coppertone hatte Bayer schon im Mai an den Nivea-Hersteller Beiersdorf verkauft.