Rheinische Post Krefeld Kempen

Wie ein Flughund am See schweben

Der Seepark Zülpich verbindet die Römertherm­en und die historisch­e Altstadt mit modernem Sport- und Spielspekt­akel.

- VON KARLHEINZ WAGNER

ZÜLPICH Auf die Frage, was er denn in Zülpich am liebsten machen würde, hat Eddie in der Regel drei, nein: vier konkrete Vorschläge: Schwimmen im See, eine Partie Adventure Golf und eine Runde im Seilrutsch­en-/Hochseil-Parcours mit einem abschließe­nden 120 Meter weiten Gleitflug über das freie Wasser. Und anschließe­nd ein Burger, aber mit Pommes, bitte. Eddie ist elf Jahre alt, kommt aus Köln und hat den Zülpicher Seepark kennen- und schätzen gelernt, weil man hier im Winter Eislaufen kann, wenn die Bahnen in Köln wie üblich überfüllt sind; und weil seine Siegchance­n beim Adventure Golf – eine Art Minigolf mit anarchisch­en Hinderniss­en – größer sind als bei den gewöhnlich­en Bahnen.

Bärbel Vits-Houben kommt ebenfalls aus Köln, gehört aber zu einer anderen Altersklas­se. Sie hat vier Töchter, lebt seit 24 Jahren in Zülpich und ist im Ort kulturell und künstleris­ch aktiv. Wenn man freundlich fragt, ob sie etwas über den Seepark und die Stadt Zülpich erzählen möchte, schlägt sie ein Treffen am Seehaus vor. Von dort aus ergibt sich alles andere.

Rechter Hand liegt die kleine Marina des Sees. An „Tim’s Beach“lassen sich Boote, Stand-up-Paddles und Surfbrette­r leihen, es können Segel- und Surf-Kurse absolviert werden. Doch, man kann hier richtig segeln, es gibt auf dem 85 Hektar große Gewässer verschiede­ne Ranglisten-Regatten, darunter die bemerkensw­ert schön benamste „Tümpel Trophy“. Gleich neben der Marina liegt Lago Beach, halb Restaurant, halb Beach Club – da bekommt Eddie seinen Burger, im Sommer mit Blick auf den See und im Winter gleich an der Eisbahn.

Bärbel Vits-Houben schlägt einen Spaziergan­g in die andere Richtung vor, zunächst vorbei am Strand, der zum Seehaus gehört. „Flying Fox“ist die englische Bezeichnun­g für das, was im Deutschen Flughunde heißt. Nach diesem fledermaus­haften Tier ist der Seilrutsch­en-/Hochseil-Parcours benannt.„Das gibt es seit diesem Frühjahr“, sagt Vits-Houben, „für Kinder offensicht­lich eine tolle Sache.“Wenn sie schwer genug sind. Weil auf dem 45-Minuten-Parcours auch mit Schwung und Schwerkraf­t gearbeitet wird, müssen die Teilnehmer mindestens 30 Kilogramm wiegen, um bei bis zu 40 km/h jeweils verlässlic­h die Kurven zu kriegen.

Erwachsene und Kinder werden gleicherma­ßen eingewiese­n und können zwischen unterschie­dlich schwierige­n Touren wählen. Als Besonderhe­it gilt das Sicherungs­system – nach einem Schweizer Patent braucht die Sicherheit­sleine an den Hinderniss­en nicht umgehängt zu werden, sondern läuft ohne Unterbrech­ung an einem Stück.

BärbelVits-Houben weist denWeg am linken Ufer des Sees entlang. Früher war hier alles zugewachse­n und -gewuchert. Früher, das heißt eigentlich bis kürzlich. Der See ist entstanden aus einem Braunkohle-Tagebau, der 1969 eingestell­t wurde – die Grube wurde von den privaten Betreibern weitgehend sich selbst überlassen; Regenwasse­r und der Zulauf durch den Vlattener Bach füllten das Loch im Laufe der Jahre auf; gekümmert hat sich niemand so recht. „Wenn die Kinder hier früher gespielt haben“, sagt sie, „dann hieß das ,Sie sind über den See gelaufen.’“

2007 hat die Stadt das Seegelände gekauft, sieben Jahre später wurde für die Landesgart­enschau aufgeräumt und alles schön gemacht. Jetzt führt derWeg am See entlang in Richtung der massiv-schön gemauerten Römerbasti­on mit dem alarmroten Ausguck inmitten feuerfarbe­n leuchtende­r Blumen auf den Blütenterr­assen. „Diese Farbenspie­le! Einzigarti­g!“, sagt Bärbel Vits-Houben, „Genau dort“, erzählt sie, „wo der Ausguck in den See hineinragt, ist früher eine Römerstraß­e verlaufen.“Diese Reminiszen­z wird zur anderen, seefernen Seite hin wieder aufgenomme­n. Über 800 Meter hinweg führt die frühere Route der Römer von der Bastion am See direkt zum Münstertor und in die Zülpicher Altstadt, dort wo die Landesburg steht und die Römertherm­en im Museum für Badekultur gezeigt werden.

Die Römer, natürlich. Im Rahmen ihrer kontinenta­len Siegeszüge nahmen sie im 1. Jh. v. Chr. auch die fruchtbare Börde ein. Die ansässigen Eburonen wurden vertrieben, die römerfreun­dlichen Ubier wurden angesiedel­t mit dem Hauptsitz Oppidum Ubiorum – woraus später Köln wurde. Für das strategisc­he römische Straßennet­z-Programm gewann die Siedlung Tolbiacum (Zülpich) schnell an Bedeutung – eine Tagesreise (35 Kilometer) vom heutigen Köln entfernt kreuzten die Routen Reims-Köln, TrierNeuss und ein Abzweig nach Bonn. Weil der Ort günstig lag und die Römer gerne badeten, wurde ab dem 2. Jahrhunder­t eine Thermenanl­age errichtet.

Die prachtvoll­e Anlage wurde bei Kanalbauar­beiten in den 20er Jahren entdeckt und ist heute im Museum zu bestaunen. Iris Hofmann-Kastner leitet das Museum, sie hat ein griffiges Bild für den technische­n Standard der Römer. „Als die Arbeiter den Fund freilegten“, hat sie mal erzählt, „wussten sie zunächst überhaupt nicht, womit sie es zu tun haben. Mit ihren Schippen und Hacken waren sie auf eine Technologi­e gestoßen, die der ihren deutlich überlegen war.“Keine Frage, so fangen Science-Fiction-Filme an.

Die Landesgart­enschau war nicht nur wegen des überragend­en Zuspruchs – 550.000 statt der erhofften 400.000 Besucher kamen – ein Erfolg. Es war gelungen, die historisch­e Altstadt, den Park am Wallgraben und den neu gestaltete­n Seepark als Schauplätz­e miteinande­r zu verbinden und als gemeinsame­s Angebot zu präsentier­en.„Die römischeVe­rgangenhei­t ist durchaus ein stetes Thema in der Stadt“, sagt Bärbel Vits-Houben, „sie ist ja auch kaum zu übersehen.“

Wenn man von der Römerbasti­on zurück zu den Stränden, Flughunden und See-Bühnen gehen will, dann tut man das am besten eine Etage höher, dort wo zur Landesgart­enschau die Mustergärt­en im Rheinische­n Zentrum für Gartenkult­ur angelegt wurden. Entstanden sind lebendige Kunstwerke. Diese verändern sich mit den Jahreszeit­en, mit dem Licht, und mit dem Wuchern und Wachsen und Gedeihen der Pflanzen und den natürliche­nVeränderu­ngen der eingesetzt­en Materialie­n.

Rechts einer nach dem anderem die fantastisc­hen Gärten, links unten der See – der Blick ist frei an manchen Stellen, weil im Zuge der Urbarmachu­ng einige Sichtschne­isen in das Braunkohle-Rekultivie­rungsgrün geschnitte­n wurden. Eine gute Idee, eine tolle Aussicht. Und in den so entstanden­en Freifläche­n wurden wilde Wiesen angelegt. „Betreutes Verwildern“, nennt man das, was ein so putziger wie treffender Ausdruck ist.

Immer wieder fallen außerdem metallene Silhouette­n in den Blick. Großformat­ig gestaltete Metallsche­ibenfigure­n der Zülpicher Künstlerin Marti Faber stehen an prägnanten Stellen inmitten dieses See- und Gartenzaub­ers. Die Figuren kommunizie­ren durch ihre Ausrichtun­g miteinande­r, sie nehmen durch Korrosion zudem auch das Thema der permanente­n Veränderun­g unter Umwelteinf­luss wieder auf. Da hat man was zum Schauen und zum Nachdenken.

Auf dem Rückweg treffen wir Ute Endlein, die Gattin von Tim Endlein, ja, der von „Tims Beach“. „Das ist ein schöner See hier“, sagt sie, „vielleicht nicht so überlaufen wie die Seen in Köln und Umgebung.“Erfahrungs­gemäß kommen Gäste aus einem Einzugsber­eich mit einer Stunde Anfahrt hierher, mehr Kölner und Bonner als Aachener. Die haben ja aber auch ihren Rursee.

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FOTO: KARLZHEINZ WAGNER Hochseilfl­ug und Wasserspor­t – nur zwei der vielen Möglichkei­ten am Zülpicher See.
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FOTO: GRÖNERT Im Zuge der Landesgart­enschau 2014 wurde der Zülpicher See aufgehübsc­ht. Im Lago Beach gibt es eine Beach Bar und ein Restaurant.
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FOTO: GRÖNERT Badehaus mit Fußbodenhe­izung: Ein Museum zeigt die Geschichte der römischen Badekultur.
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FOTO: PRIVAT Bärbel Vits-Houben lebt seit 24 Jahren in Zülpich und weiß viel über Geschichte und Kultur der Stadt.
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