Rheinische Post Krefeld Kempen
Wie ein Flughund am See schweben
Der Seepark Zülpich verbindet die Römerthermen und die historische Altstadt mit modernem Sport- und Spielspektakel.
ZÜLPICH Auf die Frage, was er denn in Zülpich am liebsten machen würde, hat Eddie in der Regel drei, nein: vier konkrete Vorschläge: Schwimmen im See, eine Partie Adventure Golf und eine Runde im Seilrutschen-/Hochseil-Parcours mit einem abschließenden 120 Meter weiten Gleitflug über das freie Wasser. Und anschließend ein Burger, aber mit Pommes, bitte. Eddie ist elf Jahre alt, kommt aus Köln und hat den Zülpicher Seepark kennen- und schätzen gelernt, weil man hier im Winter Eislaufen kann, wenn die Bahnen in Köln wie üblich überfüllt sind; und weil seine Siegchancen beim Adventure Golf – eine Art Minigolf mit anarchischen Hindernissen – größer sind als bei den gewöhnlichen Bahnen.
Bärbel Vits-Houben kommt ebenfalls aus Köln, gehört aber zu einer anderen Altersklasse. Sie hat vier Töchter, lebt seit 24 Jahren in Zülpich und ist im Ort kulturell und künstlerisch aktiv. Wenn man freundlich fragt, ob sie etwas über den Seepark und die Stadt Zülpich erzählen möchte, schlägt sie ein Treffen am Seehaus vor. Von dort aus ergibt sich alles andere.
Rechter Hand liegt die kleine Marina des Sees. An „Tim’s Beach“lassen sich Boote, Stand-up-Paddles und Surfbretter leihen, es können Segel- und Surf-Kurse absolviert werden. Doch, man kann hier richtig segeln, es gibt auf dem 85 Hektar große Gewässer verschiedene Ranglisten-Regatten, darunter die bemerkenswert schön benamste „Tümpel Trophy“. Gleich neben der Marina liegt Lago Beach, halb Restaurant, halb Beach Club – da bekommt Eddie seinen Burger, im Sommer mit Blick auf den See und im Winter gleich an der Eisbahn.
Bärbel Vits-Houben schlägt einen Spaziergang in die andere Richtung vor, zunächst vorbei am Strand, der zum Seehaus gehört. „Flying Fox“ist die englische Bezeichnung für das, was im Deutschen Flughunde heißt. Nach diesem fledermaushaften Tier ist der Seilrutschen-/Hochseil-Parcours benannt.„Das gibt es seit diesem Frühjahr“, sagt Vits-Houben, „für Kinder offensichtlich eine tolle Sache.“Wenn sie schwer genug sind. Weil auf dem 45-Minuten-Parcours auch mit Schwung und Schwerkraft gearbeitet wird, müssen die Teilnehmer mindestens 30 Kilogramm wiegen, um bei bis zu 40 km/h jeweils verlässlich die Kurven zu kriegen.
Erwachsene und Kinder werden gleichermaßen eingewiesen und können zwischen unterschiedlich schwierigen Touren wählen. Als Besonderheit gilt das Sicherungssystem – nach einem Schweizer Patent braucht die Sicherheitsleine an den Hindernissen nicht umgehängt zu werden, sondern läuft ohne Unterbrechung an einem Stück.
BärbelVits-Houben weist denWeg am linken Ufer des Sees entlang. Früher war hier alles zugewachsen und -gewuchert. Früher, das heißt eigentlich bis kürzlich. Der See ist entstanden aus einem Braunkohle-Tagebau, der 1969 eingestellt wurde – die Grube wurde von den privaten Betreibern weitgehend sich selbst überlassen; Regenwasser und der Zulauf durch den Vlattener Bach füllten das Loch im Laufe der Jahre auf; gekümmert hat sich niemand so recht. „Wenn die Kinder hier früher gespielt haben“, sagt sie, „dann hieß das ,Sie sind über den See gelaufen.’“
2007 hat die Stadt das Seegelände gekauft, sieben Jahre später wurde für die Landesgartenschau aufgeräumt und alles schön gemacht. Jetzt führt derWeg am See entlang in Richtung der massiv-schön gemauerten Römerbastion mit dem alarmroten Ausguck inmitten feuerfarben leuchtender Blumen auf den Blütenterrassen. „Diese Farbenspiele! Einzigartig!“, sagt Bärbel Vits-Houben, „Genau dort“, erzählt sie, „wo der Ausguck in den See hineinragt, ist früher eine Römerstraße verlaufen.“Diese Reminiszenz wird zur anderen, seefernen Seite hin wieder aufgenommen. Über 800 Meter hinweg führt die frühere Route der Römer von der Bastion am See direkt zum Münstertor und in die Zülpicher Altstadt, dort wo die Landesburg steht und die Römerthermen im Museum für Badekultur gezeigt werden.
Die Römer, natürlich. Im Rahmen ihrer kontinentalen Siegeszüge nahmen sie im 1. Jh. v. Chr. auch die fruchtbare Börde ein. Die ansässigen Eburonen wurden vertrieben, die römerfreundlichen Ubier wurden angesiedelt mit dem Hauptsitz Oppidum Ubiorum – woraus später Köln wurde. Für das strategische römische Straßennetz-Programm gewann die Siedlung Tolbiacum (Zülpich) schnell an Bedeutung – eine Tagesreise (35 Kilometer) vom heutigen Köln entfernt kreuzten die Routen Reims-Köln, TrierNeuss und ein Abzweig nach Bonn. Weil der Ort günstig lag und die Römer gerne badeten, wurde ab dem 2. Jahrhundert eine Thermenanlage errichtet.
Die prachtvolle Anlage wurde bei Kanalbauarbeiten in den 20er Jahren entdeckt und ist heute im Museum zu bestaunen. Iris Hofmann-Kastner leitet das Museum, sie hat ein griffiges Bild für den technischen Standard der Römer. „Als die Arbeiter den Fund freilegten“, hat sie mal erzählt, „wussten sie zunächst überhaupt nicht, womit sie es zu tun haben. Mit ihren Schippen und Hacken waren sie auf eine Technologie gestoßen, die der ihren deutlich überlegen war.“Keine Frage, so fangen Science-Fiction-Filme an.
Die Landesgartenschau war nicht nur wegen des überragenden Zuspruchs – 550.000 statt der erhofften 400.000 Besucher kamen – ein Erfolg. Es war gelungen, die historische Altstadt, den Park am Wallgraben und den neu gestalteten Seepark als Schauplätze miteinander zu verbinden und als gemeinsames Angebot zu präsentieren.„Die römischeVergangenheit ist durchaus ein stetes Thema in der Stadt“, sagt Bärbel Vits-Houben, „sie ist ja auch kaum zu übersehen.“
Wenn man von der Römerbastion zurück zu den Stränden, Flughunden und See-Bühnen gehen will, dann tut man das am besten eine Etage höher, dort wo zur Landesgartenschau die Mustergärten im Rheinischen Zentrum für Gartenkultur angelegt wurden. Entstanden sind lebendige Kunstwerke. Diese verändern sich mit den Jahreszeiten, mit dem Licht, und mit dem Wuchern und Wachsen und Gedeihen der Pflanzen und den natürlichenVeränderungen der eingesetzten Materialien.
Rechts einer nach dem anderem die fantastischen Gärten, links unten der See – der Blick ist frei an manchen Stellen, weil im Zuge der Urbarmachung einige Sichtschneisen in das Braunkohle-Rekultivierungsgrün geschnitten wurden. Eine gute Idee, eine tolle Aussicht. Und in den so entstandenen Freiflächen wurden wilde Wiesen angelegt. „Betreutes Verwildern“, nennt man das, was ein so putziger wie treffender Ausdruck ist.
Immer wieder fallen außerdem metallene Silhouetten in den Blick. Großformatig gestaltete Metallscheibenfiguren der Zülpicher Künstlerin Marti Faber stehen an prägnanten Stellen inmitten dieses See- und Gartenzaubers. Die Figuren kommunizieren durch ihre Ausrichtung miteinander, sie nehmen durch Korrosion zudem auch das Thema der permanenten Veränderung unter Umwelteinfluss wieder auf. Da hat man was zum Schauen und zum Nachdenken.
Auf dem Rückweg treffen wir Ute Endlein, die Gattin von Tim Endlein, ja, der von „Tims Beach“. „Das ist ein schöner See hier“, sagt sie, „vielleicht nicht so überlaufen wie die Seen in Köln und Umgebung.“Erfahrungsgemäß kommen Gäste aus einem Einzugsbereich mit einer Stunde Anfahrt hierher, mehr Kölner und Bonner als Aachener. Die haben ja aber auch ihren Rursee.