Rheinische Post Krefeld Kempen

Das Ende der Fußball-Patriarche­n

ANALYSE Fußballklu­bs haben sich zu gewinnhung­rigen Wirtschaft­sunternehm­en entwickelt. In ihnen ist kein Platz mehr für väterlich führende Präsidente­n wie Uli Hoeneß.

- VON ROBERT PETERS

Jean Löring hieß eigentlich Hans. Aber er fand, Jean klinge einfach besser. Vor allem in Kölner Ohren. Die machten aus dem Jean „De Schäng“. Und als „De Schäng“war Hans Löring eine bekannte Kölner Größe. Im Elektrohan­del hatte er ein Vermögen gemacht, und im Fußball rüstete er den kleinen Verein Fortuna Köln mit selbstverg­essener Begeisteru­ng derart auf, dass der mal in der Bundesliga spielte. Das hielt zwar nur ein Jahr (1973/74), aber Löring – Präsident, Geldgeber und sportliche­r Leiter in einer Person – versuchte es viele Jahre weiter. Ohne Erfolg. 13 Millionen Euro soll er in den unendliche­n und vergeblich­en Traum von der Bundesliga gesteckt haben. Er starb im Jahr 2005 nahezu mittellos.

Die Geschichte der Fortuna hat er trotzdem um einen unvergleic­hlichen Höhepunkt bereichert. Als das Team 1999 in der zweiten Liga zur Halbzeitpa­use einen 0:2-Rückstand gegenWaldh­of Mannheim zusammenge­stümpert hatte, stürmte der Präsident, in seiner Wut noch durch ein paar Gläschen Cognac gestärkt, in die Kabine und entließ dort das Kölner Fußballido­l Harald „Toni“Schumacher aus dem Beruf des Fußballtra­iners der Fortuna. „Raus hier! Du hast hier nichts mehr zu suchen!“, rief Löring nach Zeugenanga­ben. Der unmittelba­re Nutzen dieses Auftritts war wohl eher gering. Fortuna Köln verlor mit 1:5. Doch Löring erschien anschließe­nd zur Pressekonf­erenz mit der Bitte um einen weiteren Weinbrand und der Feststellu­ng: „Ich bin einmalig.“

Das stimmt. „De Schäng“war vielleicht der bunteste Hund unter den Patriarche­n, die aus dem Präsidente­namt und/oder aus der Tatsache, dass sie mit ihrem Geld einen Profiverei­n am Leben erhalten, das Recht ableiten, nach Gutdünken ins operative Geschäft des Vereins einzugreif­en. Zum Klub gehören der Teppichhän­dler Michael A. Roth,

der ausVerärge­rung über Schulden von Vorgängern beim 1. FC Nürnberg deren Namen aus einem Gedenkstei­n meißeln ließ, Günther Eichberg, der bei der Beerdigung des Schalker Idols Ernst Kuzorra die Kranzniede­rlegung am Grab wiederhole­n ließ, weil er zu spät gekommen war, und Martin Kind, der Hannover 96 seit vielen Jahren als seinen Verein versteht, in dessen Führung er lieber niemanden hineinrede­n lässt.

Uli Hoeneß (67) darf für sich beanspruch­en, weder ein Clown auf dem Präsidente­nsessel des FC Bayern München noch ein Sonnenköni­g wie Eichberg zu sein, dem der Verein nur als Projektion­sfläche des eigenen Ruhms taugte. Aber auch Uli Hoeneß ist ein Präsident, der in die aktuelle Vereinspol­itik hineinregi­ert, obwohl sein Amt eigentlich das Repräsenti­eren vorschreib­t. Und ein Patriarch ist Hoeneß ganz sicher. Das würde er nicht einmal als eine ehrenrühri­ge Bezeichnun­g empfinden.

Hoeneß führte die Bayern 40 Jahre lang, zunächst als Manager und insgesamt acht Jahre als Präsident – von Juni 2014 bis Februar 2016 absolviert­e er seine Haftstrafe. Und er hat es immer unter der Maßgabe getan, erster Mann in einem Verein im besten Sinne des Wortes zu sein. Im Umgang stand deshalb der familiäre Faktor im Vordergrun­d, kontrastie­rt durch den energisch betriebene­n Weg zu einem Fußball-Unternehme­n, das in Deutschlan­d mit einem Jahresumsa­tz von nahezu 700 Millionen Euro der klare Marktführe­r ist und mit einem normalen Verein natürlich gar nichts mehr gemein hat.

Das konnte nicht ewig gut gehen. Und es ist auch nicht gutgegange­n. Die Rolle des Familien-Oberhaupts und die des Millionen bewegenden Geschäftsm­annes waren auf Dauer ebenso wenig zu vereinbare­n wie derWidersp­ruch zwischen moralische­n Reden von der Verwerflic­hkeit der Summen auf dem Transferma­rkt und der Zustimmung zu ebensolche­n Geschäften. Deshalb passt der Vereinsprä­sident Hoeneß einfach nicht mehr in die Zeit des immer hemmungslo­seren Fußball-Kapitalism­us. Und deshalb gibt er wohl zum Jahresende seine Führungsro­lle beim größten deutschen Verein auf. Die Zeit ist über ihn hinweggero­llt, selbst im eigenen Klub. Das ist seine Einsicht.

Das Zeitalter der Fußball-Patriarche­n geht ohnehin zu Ende. Das ahnte der ehemalige Leverkusen-Spitzenfun­ktionär Wolfgang Holzhäuser bereits vor 20 Jahren. Über Zeitgenoss­en wie „De Schäng“Löring oder weniger komische, aber in ihrer Gutsherren­art ebenso verheerend wirkende wie den Dortmunder Gerd Niebaum urteilte er: Diese Leute „sterben aus“. Dass Holzhäuser zu tiefen Erkenntnis­sen mitunter deutlich früher als Amtskolleg­en gelangt, bewies er auch fünf Jahre später, als er den wunderbare­n Satz prägte: „Ein Fußball-Trainer ist in einem Verein eine temporäre Erscheinun­g.“Niemals ist das klarer unterstric­hen worden als in der zurücklieg­enden Bundesliga-Saison.

Mit dem Phänomen des Patriarche­n an sich befasste sich Holzhäuser 2000, weil Borussia Dortmund nach einem jahrelange­n Höhenflug, der bis zum Titel in der Champions League führte, durch Niebaums verhängnis­volle Amtsführun­g auf die Abstiegszo­ne der Bundesliga zusteuerte.

Derartiges wird den Bayern allerdings nicht passieren, dafür hat der Präsident Uli Hoeneß seinen Klub viele Jahre viel zu klug gesteuert. Das Projekt, das er selbst geschaffen und ins Laufen gebracht hat, ist für den Erfinder zu groß geworden. Die Geister, die Hoeneß einst selbst rief, kriegt er mit seiner Art nicht gebändigt. Sie haben sich verselbsts­tändigt und sind in Strukturen aufgegange­n, die keinen Patriarche­n mehr vertragen. Das kann man bedauern, vielleicht muss man es bedauern. Es gehört jedoch in die Geschichte der immer glatteren Konturen des Fußballs, denn die Klage über das Ende der Patriarche­n ist auch die Klage über fehlende Typen. Letzten Endes ist es auch eine Klage über dieVergäng­lichkeit. Dazu passt, dass Hoeneß im Herbst gehen und nicht mehr zur Wiederwahl antreten will.

Das Projekt, das er selbst geschaffen und ins Laufen gebracht hat, ist für Uli Hoeneß zu

groß geworden

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