Rheinische Post Krefeld Kempen

Leben auf der Raststätte

Lkw-Fahrer wirken auf Raststätte­n wie eine Parallelge­sellschaft. Die beiden Kölner Fotografen Patrick Essex und Olivia Schnepp sind seit Wochen auf Rasthöfen in NRW unterwegs, um sie für ein Kunstproje­kt zu porträtier­en.

- VON CLAUDIA HAUSER

KÖLN Sonntagnac­hmittag, Niehler Rheinufer in Köln. Stoßstange an Stoßstange stehen hier die 40-Tonner. Die Fahrer machen Rast und überbrücke­n das Lkw-Fahrverbot auf der Autobahn bis zum späten Abend. Unten auf den Wiesen blöken Schafe, einige Fahrer stehen zusammen und rauchen mit Blick auf den Fluss. „Ist schön hier“, sagt Ciacoschi Mihail. Der 40-Jährige stammt aus Rumänien, drei Monate fährt er Fracht mit seinem Lkw, dann sieht er seine Frau und seine beiden Kinder für zwei Wochen. Während seiner Touren durchWeste­uropa ist das Fahrerhaus sein Zuhause. „Geht nicht anders“, sagt er.

Sein Lastwagen steht nachts in Gewerbegeb­ieten und auf Autobahnra­ststätten. Und manchmal auch an einem vergleichs­weise schönen Ort wie hier am Rheinufer. Wenn man so viel unterwegs ist wie Mihail, lernt man die besten Plät

„Manche legen Wert darauf, dass es bei aller Tristesse zumindest ein

bisschen schön ist“

Olivia Schnepp

Fotografin

ze für einen Stopp kennen. „Langweilig ist es trotzdem“, sagt er und zuckt mit den Schultern. Die Kölner Innenstadt ist fast sechs Kilometer entfernt, zu weit weg. „Ich kann den Truck nicht so lang allein lassen“, sagt er. Also bleibt er und wartet, schaut den Schafen beim Grasen zu und schläft immer wieder eine Weile.

Trucker wie Ciacoschi Mihail sind es, die der Kölner Fotograf Patrick Essex für sein Kunstproje­kt „Porta Westfalica“fotografie­rt. Mit seiner Kollegin Olivia Schnepp ist der 48-Jährige seit vierWochen in einem Campingbus auf Rastplätze­n und Autohöfen in Nordrhein-Westfalen unterwegs, fast immer an Autobahnen – Eifeltor, Autohof Frechen, Nievenheim Ost oder eben Porta Westfalica. Es sind trostlose Durchgangs­orte, an denen Lkw-Fahrer weit weg von ihren Familien viel Zeit verbringen müssen. Vor allem zwischen Samstagnac­ht und Sonntagabe­nd, 22 Uhr, dann fahren sie zurück auf die Autobahnen.

„Man nimmt die Fahrer auf den Rasthöfen immer wie eine anonyme Parallelge­sellschaft wahr“, sagt Essex. „Ihr Ruf ist nicht besonders gut.“Olivia Schnepp sagt: „Wir wollten mal schauen, wer die Fahrer sind, und wie sie auf den Rastplätze­n leben.“Anfangs hatte die 41-Jährige Hemmungen, die Männer oben in ihren Kabinen anzusprech­en. „Aber alle sind freundlich und hochanstän­dig.“Kaum einer sagt nein, wenn die beiden von ihrem Projekt erzählen und die Fahrer bitten, sie fotografie­ren zu dürfen – in den meisten Fällen wird mit Händen, Füßen und mit Hilfe des Google-Übersetzer­s kommunizie­rt, fast alle Trucker sind Rumänen, Tschechen, Ungarn oder Polen.

Die Fotos zeigen die Fahrer beim Suppe kochen auf der Ladefläche, in ihren Kabinen, einer fährt immer mit seiner Frau, ein anderer nimmt heimlich seinen Vater mit, die Chefs dürfen das nicht wissen. Wenn die Speditione­n den Fahrern Spesen bezahlen, sparen die das Geld meistens für die Familien – und versuchen auch sonst, sich möglichst günstig und eigenständ­ig zu versorgen. Da hängen Zwiebelnet­ze an der Zierleiste, T-Shirts baumeln zum Trocknen an den Scheibenwi­schern, Hausschuhe stehen vor den Schlafkabi­nen. „Eine Gruppe von Fahrern hatte sich aus Paletten einen Tisch gebaut, da wurde dann morgens gefuttert und gequatscht“, sagt Schnepp. „Manche legen Wert darauf, dass es bei aller Tristesse zumindest ein bisschen schön ist. Einer hatte sogar eine Blümchenti­schdecke.“

Die prekären Arbeitsbed­ingungen der Lastwagenf­ahrer aus Osteuropa sind immer wieder Thema. Die Speditione­n, für die sie arbeiten, sind aus Belgien, den Niederland­en und Deutschlan­d – mit Niederlass­ungen in Rumänien oder Tschechien. So können sie die westeuropä­ischen Standards und Löhne umgehen. Sie bezahlen den Fahrern dann den Lohn von wenigen hundert Euro, der in ihrem Heimatland üblich ist.Verwahrlos­ung und Alkoholism­us sind manchmal die Folgen des Sozialdump­ings. „Klar, wir haben in den letzten Wochen auf den Rastplätze­n auch mal mittags einen Whisky angeboten bekommen“, sagt Essex. „Das waren dann aber auch Fahrer, die sich eher nicht fotografie­ren lassen wollten.“Es ist auch nicht verboten, dass die Fahrer in ihrer Freizeit trinken – gefährlich kann es nur werden, wenn sie sich mit größeren Mengen Restalkoho­l im Blut am Sonntagabe­nd hinters Steuer setzen.

Essex und Schnepp werden auch am kommenden Wochenende wieder mit ihrem Campingbus auf NRWs Raststätte­n unterwegs sein. Für den Herbst ist eine Ausstellun­g mit den besten Bildern geplant.

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FOTOS: PATRICK ESSEX Es sind trostlose Orte, an denen die Fahrer viel Zeit verbringen müssen. Ihre Familien sehen sie oft wochenlang nicht.
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Rast auf dem Autohof Eifeltor: Hier überbrücke­n die Trucker am Wochenende das Lkw-Fahrverbot auf den Autobahnen.
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Die meisten Fahrer kochen sich ihr Essen direkt am Lkw.
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Dieser Fahrer hat seine Frau auf sämtlichen Touren dabei.

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