Rheinische Post Krefeld Kempen

Jahrhunder­t-Talent Bernal lässt Kolumbien jubeln

Jünger als der 22-Jährige war noch kein Tour-Sieger seit 1935. Steht dem Radsport eine neue Ära bevor? In jedem Fall ist Bernal seiner Zeit weit voraus.

- VON STEFAN TABELING UND PATRICK REICHARDT

PARIS (dpa) Eddy Merckx ist hellauf begeistert, Bernard Hinault prophezeit eine neue Ära: Für die Größten des Radsports ist schon jetzt klar, dass sich dieser kleine Kletterer Egan Bernal irgendwann zu ihrem elitären Kreis bei der Tour de France gesellen oder die Fünf-Sterne-Champions sogar noch überholen wird. „Es gibt Eddy Merckx, Jacques Anquetil, mich und Miguel Indurain. Aber wenn man bedenkt, dass Bernal erst 22 Jahre alt ist, dann könnte er es weiter bringen als jeder von uns“, schwärmte Hinault.

Soweit ist es noch nicht. Historisch­es hat Bernal trotzdem geschafft. Als erster Kolumbiane­r hat das 60-Kilogramm-Leichtgewi­cht das Gelbe Trikot nach Paris gebracht. Und in der langen Geschichte der Rundfahrt war seit 1935 kein Gesamtsieg­er jünger als Bernal, der zum Tour-Finale exakt 22 Jahre und 196 Tage zählte.

„Kolumbien hatte immer großartige Fahrer, aber wir haben nie die Tour gewonnen. Ich weiß nicht warum“, sagte Bernal, nachdem er bei der Kletterpar­tie in Val Thorens am Samstag das letzte Hindernis auf seiner über 3000 Kilometer langen Reise durch Frankreich aus demWeg geräumt hat. „Ich bin sehr stolz darauf. Ich kann es kaum erwarten, das Trikot nach Kolumbien zu bringen.“

Genauer gesagt nach Zipaquira, wo Bernal unweit von der Hauptstadt Bogota entfernt in 2650 Metern Höhe aufgewachs­en ist. In der Nähe lebt er auch mit seiner Verlobten Xiomy, die er zu Juniorenze­iten in der Mountainbi­ke-Nationalma­nnschaft kennengele­rnt hat. Dort fährt er dann nach Pacho in den Geburtsort seiner Mutter Florites auf 3600 Metern über dem Meeresspie­gel. 23 Kilometer ist der Anstieg lang, im Schnitt 7,5 Prozent. Bernal schafft es unter einer Stunde – immer begleitet von seinem Vater German und einem Polizisten auf dem Motorrad, weil der Verkehr nicht ungefährli­ch ist.

Dabei kennt Bernal eigentlich keine Angst. „Ich liebe das Adrenalin“, sagt derYoungst­er, der sich auch von schweren Stürzen nicht beeindruck­en lässt. Im März 2018 zog er sich bei der Katalonien-Rundfahrt Brüche am Schulterbl­att und Schlüsselb­ein zu, fünf Monate später erlitt er beim Rennen in San Sebastian eine leichte Hirnblutun­g und schlug sich einige Zähne aus. Schließlic­h platzte im Mai sein Debüt beim Giro d‘Italia, nachdem er einen Schlüsselb­einbruch erlitt. Er kam aber immer wieder in Rekordzeit zurück.

Vor allem der Ausfall für den Giro erwies sich für Bernal im Nachhinein als glückliche Fügung. „Nach dem Bruch habe ich an die Tour gedacht. Ich wäre nicht in dieser Position, wenn ich den Giro gefahren wäre“, betonte Bernal.

Das Schicksal positiv beeinfluss­t hat auch Mountainbi­ke-Trainer Pablo Mazuera. Hätte der Coach den Radstar vor fünf Jahren nicht überredet, seine Karriere doch fortzusetz­en, wäre dem Radsport womöglich ein Jahrhunder­ttalent verwehrt geblieben. Denn Bernal hatte bereits angefangen, Journalism­us zu studieren, ehe Mazuera intervenie­rte.

So trat Bernal doch weiter in die Pedale, ging mit 19 Jahren nach Italien zum zweitklass­igen Team Androni Giocattoli. Er gewann die prestigetr­ächtige Nachwuchsr­undfahrt Tour de l‘Avenir. Ineos-Teamchef Dave Brailsford wurde sogleich auf Bernal aufmerksam und stattete ihn mit einem Fünfjahres­vertrag aus, was eigentlich in dem Geschäft total unüblich ist.

Bei Ineos sind sie seit seiner Ankunft schwer beeindruck­t. „Er ist geboren, um schnell zu fahren. Er hat eine großartige Zukunft vor sich“, sagt der entthronte Champion und Zweitplatz­ierte Geraint Thomas.Vor allem Viermal-Sieger Chris Froome nahm sich Bernal zum teamintern­en Vorbild und lernte dazu in wenigen Monaten Englisch. „Ich habe ihn immer beobachtet und mir einiges abgeschaut.“

Viel lernen muss er im Radsport nicht mehr. Bernal ist schon jetzt ein kompletter Rennfahrer. Er gewann bereits die Rundfahrte­n Paris-Nizza und Tour de Suisse. Dieses Jahr soll erst der Anfang sein.„Wenn man einmal die Tour gewonnen hat, will man immer mehr. Das ist wie eine Droge. Man denkt an das nächste Rennen“, sagt Bernal und redet schon wie Merckx.

Info Der dreimalige Rad-Weltmeiste­r Peter Sagan hat bei der Schlusseta­ppe zum siebten Mal das Grüne Trikot geholt und damit den Rekord von Erik Zabel übertroffe­n. Alles rund um die Tour unter www.rp-online.de/sport.

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FUENTES ?? Egan Bernal aus Kolumbien (Team Ineos) mit dem Gelben Trikot auf dem
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FOTO: REUTERS/GONZALO FUENTES Egan Bernal aus Kolumbien (Team Ineos) mit dem Gelben Trikot auf dem Podium.

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