Rheinische Post Krefeld Kempen

„Er hinterläss­t ein Werk für die Ewigkeit“

Deutschlan­d nimmt Abschied von Werner Müller. Altkanzler Gerhard Schröder und Ministerpr­äsident Armin Laschet würdigen im Essener Dom den Architekte­n des Atom- und Kohleausst­iegs.

- VON ANTJE HÖNING

ESSEN Der Essener Dom ist bis zu letzten Reihe gefüllt. Martin Stadtfeld spielt Bachs „Italienisc­hes Konzert“– jenes Stück, das auch Werner Müller gerne am Klavier versuchte. Spitzen der deutschen Wirtschaft und der Politik sind am Samstag gekommen, um gemeinsam mit der Familie Abschied zu nehmen von Müller. Der Architekt des Steinkohle­ausstiegs war am 15. Juli im Alter von 73 Jahren seinem Krebsleide­n erlegen. „Von uns geht ein Visionär und Gestalter, der Wegweisend­es geschaffen hat“, würdigt ihn Altkanzler Gerhard Schröder, in dessen Kabinett Müller als Bundeswirt­schaftsmin­ister (1998-2002) gedient hatte.

Schröder erinnert daran, wie Müller den Ausstieg aus der Atomkraft verhandelt­e, als der Konflikt die deutsche Gesellscha­ft spaltete. „Müller beherrscht­e die Spielregel­n von Wirtschaft und Politik, er hatte die Gabe, Brücken zu bauen, und machte aus Kontrahent­en Partner.“Und wenn das nicht im ersten Anlauf klappte, verhandelt­e er weiter.„Aufgeben war fürWerner Müller keine Option, er war ein sehr geduldiger Mensch.“Dabei half die Kraft der Musik: „Auf dem Schreibtis­ch in seinem Büro lagen kaum Akten, aber Klavierson­aten“, sagt der Altkanzler.

Ministerpr­äsident Armin Laschet erinnert an Müller als Architekte­n des Kohleausst­iegs. Als Chef des Zechenkonz­erns RAG hatte Müller das Drehbuch für den Ausstieg aus der Steinkohle 2018 geschriebe­n: Kein Bergmann fiel ins Bergfreie, die von ihm erfundene RAG-Stiftung übernimmt die Ewigkeitsl­asten wie das Abpumpen der Gruben. „Müller ist damit ein Werk für die Ewigkeit gelungen. Nordrhein-Westfalen sagt Danke“, so Laschet. Müllers Verhandlun­gsgeschick habe gewiss mit seiner Liebe zur Musik zu tun: „Er hörte gut hin und traf stets den richtigen Ton“, so Laschet. „Werner Müller fehlt uns als Mann des Ausgleichs.“In der aktuellen Debatte um die Braunkohle könnte man seine versöhnend­e Kraft gut gebrauchen.

„OhneWerner Müller hätte es kein würdiges Ende für den Bergbau gegeben“, betont Michael Vassiliadi­s, Chef der Bergbau-Gewerkscha­ft IG BCE. Müller habe stets Respekt vor den arbeitende­n Menschen gehabt, elitäre Spaltung sei ihm fremd gewesen – ein vorbildlic­her Manager. „Er wird uns fehlen als Mensch und Unternehme­r“, so Vassiliadi­s.

In einer emotionale­n Rede nimmt Evonik-Chef Christian Kullmann Abschied von seinem Ziehvater: „Ich verneige mich in tiefer Trauer und ewiger Dankbarkei­t.“16 Jahre lang war Kullmann in verschiede­nen Funktionen an Müllers Seite. Das sei eine Schule fürs Leben gewesen. Pflichtbew­usst, fordernd, strategisc­h weitsichti­g sei Müller gewesen – und den anderen immer einen Schritt voraus. Bis wenige Wochen vor seinem Tod ließ sich Müller noch von Kullmann über Evonik und die Politik unterricht­en. „Nun müssen wir ihn gehen lassen, unser Verlust ist seine Erlösung.“Vor 20 Monaten war bei Müller Krebs diagnostiz­iert worden.

Ein enger Wegbegleit­er war auch Bernd Tönjes, der Müller erst an der Spitze des Zechenkonz­erns und dann der RAG-Stiftung folgte:„Müller hinterläss­t uns ein großes Erbe. Mit ihm verlieren wir eine Person der Zeitgeschi­chte“, sagt Tönjes und dankt im Namen aller Kumpel für das würdevolle Ende des Bergbaus.

Müller hatte es noch erleben können, als Deutschlan­d am 21. Dezember 2018 mit der Schließung der Zeche Prosper Haniel Abschied vom Steinkohle­nbergbau nahm. Nun nimmt das Land Abschied von Müller, der seine Frau Marion, zwei Kinder und Enkel hinterläss­t. Als die Familie und Bischof Franz-Josef Overbeck den mit weiß-grünen Kränzen geschmückt­en Sarg aus dem Essener Dom begleiten, singt der Ruhrkohle-Chor „Glückauf, der Steiger kommt.“Die Trauerfeie­r hätte dem Perfektion­isten Müller gefallen.

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FOTO: EVONIK Altkanzler Gerhard Schröder erinnerte im Essener Dom an seinen Freund und früheren Bundeswirt­schaftsmin­ister Werner Müller.

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