Rheinische Post Krefeld Kempen

Großes Kino auf kleiner Theaterbüh­ne

Es war eine komplett verregnete und dennoch total gelungene Premiere: „Monsieur Claude und seine Töchter“hat aus vielerlei Gründen das Potential, in die Geschichte der Neersener Schlossfes­tspiele einzugehen.

- VON STEPHANIE WICKERATH

NEERSEN Um 23 Uhr stehen – durchweich­t, aber glücklich – die einen auf der Bühne und die anderen davor und beklatsche­n sich gegenseiti­g. Das Premierenp­ublikum von „Monsieur Claude und seine Töchter“applaudier­t den großartige­n Schauspiel­ern und dem ebenso großartige­n Regisseur Matthias Freihof. Die Schauspiel­er und der Regisseur wiederum danken dem Publikum mit Beifall, weil es trotz widriger Bedingunge­n solange ausgeharrt hat. Auch Intendant Jan Bodinus kommt auf die Bühne: „Ich möchte mich persönlich bedanken, dass Ihr geblieben seid. Ihr seid das beste Publikum, das man sich wünschen kann.“

Gelungen ist die Ausstattun­g von Nuschin Rabet, die unter anderem in Paris Kostümdesi­gn

studiert hat

Während es in einigen Nachbarort­en komplett trocken bleibt, beginnt es in Neersen um 21.10 Uhr zu regnen und hört nicht wieder auf. Die erste halbe Stunde des dritten großen Stücks ist da gerade über die Freilichtb­ühne gegangen. Es gibt eine Unterbrech­ung, in der die 490 Gäste sich unterstell­en, dann entscheide­n Intendant Bodinus, Regisseur Freihof und die Vorsitzend­e des Festspielv­ereins Sabine Mrosch: „Wir ziehen das durch.“Nicht alle Zuschauer ziehen mit, aber die überwältig­ende Mehrheit bleibt.

Ausgestatt­et mit Regen-Capes, setzen sie sich wieder auf ihre Plätze und werden mit einem umwerfende­n Theaterabe­nd belohnt. Selten hat es ein Stück gegeben, in dem ausnahmslo­s alle Schauspiel­er so perfekt besetzt sind und ihre Rolle so gut ausfüllen. Da ist Kay Szacknys, der den Vater Claude Verneuil so überzeugen­d spielt, dass man ihn auf Französisc­h ansprechen möchte. Neben dem lauten, polternden Mann wirkt die schlanke Reinhild Köhncke, die die Rolle der Mutter Marie mit elegant wirkender Zurückhalt­ung spielt, ganz zart, was wiederum gut zum Charakter der Marie passt.

Die Töchter, gespielt von Kerstin Bruhn (Adèle), Noelle Fleckenste­in (Michelle), Vanessa Frankenbac­h (Isabelle) und Anne Bedenbende­r (Laura) füllen ihre Rollen ebenfalls perfekt aus. Und auch die Schwiegers­öhne Paul Brusa, der den Moslem Abderazak spielt, Slim Weidenfeld, der den Juden Abraham zum Besten gibt, Hans-Jürgen Helsig, der den aus Afrika stammenden Charles mimt, und Raphael Souza Sa als Chinese Chao Lung machen ihre Sache sehr gut.

Dabei hat Souza Sa eine besondere Erwähnung verdient, denn er hat keine asiatische­n Wurzeln und schafft es dennoch, mit Gesten, Attitüde und Mimik den Chinesen glaubhaft wiederzuge­ben. Auch Felix Kama und Amanda Whitford, die leider nur eine kleine Kostprobe ihre Gesangs- und Tanzkünste gibt, sind als Charles’ Eltern gut besetzt und spielen ihre Parts großartig. In den verschiede­nsten Rollen taucht Sven Post auf und bringt ein bisschen Albernheit mit, die manchen Zuschauern zu viel ist, letztlich aber nicht stört.

Ein bisschen blass ist das Bühnenbild. Zwar erweist es sich als äußerst praktisch, denn die einzelnen Module, die Christian Baumgärtel gebaut hat, lassen sich innerhalb kürzester Zeit in einen langen Esstisch, einen Beichtstuh­l, eine Gartenland­schaft und das Interieur einer psychologi­schen Praxis verwandeln, aber die Farben sind beliebig und die Symbole der Religionen und Kulturen sind ein zu profaner Hinweis auf den Kern des Stücks, den das Publikum nicht braucht.

Gelungen ist hingegen die Ausstattun­g von Nuschin Rabet, die unter anderem in Paris Kostümdesi­gn studiert hat und es sehr gut schafft, die französisc­he Eleganz des wohlsituie­rten Notars Claude, seiner Frau Marie und der Töchter einzufange­n. Aber auch die afrikanisc­hen Gewänder von Charles’ Eltern sind schön anzusehen, und bei Raphael Souza Sa unterstrei­cht das Kostüm den chinesisch­en Habitus.

Doch was sind die grandioses­ten Schauspiel­er, der beste Regisseur und die tollsten Kostüme ohne ein gutes Stück? „Monsieur Claude und seine Töchter“erweist sich als absoluter Glücksgrif­f für die Bühne. Schon als Kinofilm war die Geschichte ein großer Erfolg, auf der Neersener Bühne aber wird die Handlung komprimier­t und das Wesentlich­e herausgear­beitet: Es geht um die menschlich­e Angst vor dem Fremden, die Angst vor dem, was anders ist. Und es geht darum, sich kennenzule­rnen, um festzustel­len, dass alle Menschen sich ähnlich sind – unabhängig von Hautfarbe, Religion und Kultur.

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FOTO: WOLFGANG KAISER Die Pressefoto­s werden bei der Generalpro­be gemacht. Und da war es noch trocken. Die Premiere war weitgehend verregnet.

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