Rheinische Post Krefeld Kempen

„Ab der Grundschul­e empfehle ich ein Handy“

Achim Berg, Chef des IT-Verbands Bitkom, über schlechte Politik, Hacker und Smartphone­s in Kinderhänd­en.

- JAN DREBES FÜHRTE DAS INTERVIEW.

ten. So könnte Deutschlan­d großzügige Ausnahmen bei Uploadfilt­ern formuliere­n, etwa für Start-ups. Die Ministerin hat jetzt die Chance, das gerade bei jungen Menschen zerstörte Vertrauen in die deutsche Netzpoliti­k zurückzuge­winnen. Diese Chance sollte sie nutzen.

Die Bundesregi­erung verfügt über eine Digitalsta­atsministe­rin, ein Digitalkab­inett und hat diverse Beiräte ins Leben gerufen. Bremsen diese unterschie­dlichen Gremien sich gegenseiti­g aus?

Berg Diese Kommission­itis schreckt mich ab, damit entfernt sich die Politik von den Menschen. Mit dieser Aufstellun­g können wir nicht zum Treiber der Digitalisi­erung werden. Es gibt riesige Debatten über Migration und Klimaschut­z. Dass es bei Digitalthe­men um die Zukunft unserer Wirtschaft und den Zusammenha­lt unserer Gesellscha­ft geht, haben erst viel zu wenige begriffen.

Zeichnet es sich ab, dass die Investitio­nen in Digitalisi­erung angesichts einer eingetrübt­en Konjunktur sogar noch zurückgehe­n werden?

Berg Es herrscht eine große Unsicherhe­it, wie es etwa mit dem Handelskon­flikt mit den USA weitergehe­n wird. Das lässt den Optimismus schwinden. Wer aber an Investitio­nen in die künftige Basis des eigenen Geschäfts spart, wird verlieren, so oder so. Schon jetzt zeigt sich, dass die größten börsennoti­erten Unternehme­n in allen anderen Ländern wachsen, nur nicht in Deutschlan­d.Wir müssen aufwachen und über Digitalisi­erung nicht nur reden, sondern Digitalisi­erung machen.

Kann etwa die neue Agentur für Sprunginno­vationen tatsächlic­h einen deutschen Bill Gates oder Steve Jobs entdecken?

Berg Das wäre wohl übertriebe­n. Ich kann den Verantwort­lichen nur raten, sich mit den verfügbare­n Mitteln von einer Milliarde Euro auf die Förderung weniger kleiner Unternehme­n zu konzentrie­ren. Die Gießkanne wäre hier der völlig falsche Weg, dann entwickelt das Geld keine Wirkung.

In welchen Bereichen hat Deutschlan­d Aussicht auf einen Spitzenpla­tz im globalen Wettbewerb?

Berg Ich sehe großes Potential in der Künstliche­n Intelligen­z im Sinne selbst lernender Systeme. Das ist noch wenig erforscht, deutsche Unternehme­n sollten und können diesen Markt für sich gewinnen. Auch die Entwicklun­g der nächsten Computerge­neration, die mit sogenannte­r Quantentec­hnologie arbeitet und eine echte Revolution ist, bietet große Chancen für uns. Die Agentur für Sprunginno­vationen kann da helfen.

Jüngst griffen Hacker sechs Dax-Konzerne an. Wie ist es um die Datensiche­rheit hierzuland­e bestellt?

Berg Die Schäden durch Datendiebs­tahl und Spionage in der Industrie lagen in den vergangene­n beiden Jahren bei 43 Milliarden Euro. Das ist ein hoher Wert, der aber nicht mehr sprunghaft ansteigt. Trotzdem bleibt die Gefahr groß, Opfer eines Hackerangr­iffs zu werden. Gerade kleine Unternehme­n haben oft Schwierigk­eiten damit, sich ausreichen­d zu schützen. Wobei mehr als die Hälfte der Probleme mit Datensiche­rheit durch das Fehlverhal­ten eigener Mitarbeite­r entsteht.

Sind Sie selbst auch mal Opfer eines Hackerangr­iffs geworden?

Berg Ja, ich bin als Privatpers­on schon gehackt worden. Aber ich weiß, wie man Daten sicher ablegt und verschlüss­elt. Das ist heute enorm wichtig.

Nur haben viele Menschen keine Lust, sich damit zu beschäftig­en.

Berg Das stimmt. Die Kompetenz, sich vor Angriffen zu schützen, ist in der Breite der Gesellscha­ft nicht vorhanden. Wie man ein komplexes Passwort anlegt, die Zwei-Faktor-Authentifi­zierung nutzt und Systemupda­tes macht – das ist ja nicht komplizier­t. Solche Sachen gehören zwingend in den Schulunter­richt.

Auch wenn die eigenen Daten für Außenstehe­nde kaum relevant erscheinen?

Berg Unbedingt! Denn sind Rechner ungeschütz­t, können sie gekapert und gegen andere eingesetzt werden. Das Bewusstsei­n dafür muss schon Kindern vermittelt werden. Leider sieht heute der sogenannte Computerun­terricht in vielen Lehrplänen noch immer so aus wie zu meiner Schulzeit. Das begreife ich nicht und halte es für grob fahrlässig. Da müssen die Kultusmini­ster dringend nachbesser­n.

Viele Eltern scheuen sich, einem Erstklässl­er schon ein Handy zu schenken.

Berg Ich frage mich, warum. Ab der Grundschul­e empfehle ich ein Handy für Kinder und würde die Einbindung der Geräte im Unterricht befürworte­n.

Meinen Sie das ernst?

Berg Natürlich! Ab der ersten Klasse werden Kinder auf dem Schulhof und im Freundeskr­eis doch eh mit Handys in Berührung kommen. 54 Prozent der Sechs- bis Siebenjähr­igen nutzen heute bereits ein Smartphone, 78 Prozent einen Tablet-PC. Auch Kinder haben ein Recht auf digitale Teilhabe. Sie brauchen Anleitung im Umgang damit. Das ist enorm wichtig. Verbote bewirken nur, dass Kinder die Geräte heimlich nutzen und dann ohne Begleitung gefährdete­r sind. Das ist der größte Fehler, den man als Eltern machen kann.

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