Rheinische Post Krefeld Kempen

Fußball wird im Kopf entschiede­n

Kognition ist das kommende große Thema im Fußball – findet Joachim Löw. Doch wie trainiert man das Hirn?

- VON STEFAN KLÜTTERMAN­N

Es dauert an diesem Tag mehr als eine halbe Stunde, bis Joachim Löw bei seiner Pressekonf­erenz in der Frankfurte­r DFB-Zentrale Mitte März auf das Thema zu sprechen kommt, bei dem Daniel Memmert genau hinhört. „Ich glaube, dass im Fußball irgendwo eine Grenze erreicht ist, was die körperlich­e Leistungsf­ähigkeit erreicht ist. Wir brauchen in Zukunft Spieler, die wir im kognitiven Bereich besser ausbilden. Denn das ist die Frage der Zukunft:Wer hat unter gestiegene­m Zeitdruck und in engeren Räumen auf dem Feld Lösungen parat? Wer hat die Handlungsf­ähigkeit im Kopf, die richtigen Dinge zu machen?“, sagt der Fußball-Bundestrai­ner.

Kognition ist Memmerts großes Forschungs­thema an der Deutschen Sporthochs­chule in Köln. Dort ist er Geschäftsf­ührender Leiter am Institut für Trainingsw­issenschaf­t und Sportinfor­matik. Unlängst hat er dazu sogar ein Buch geschriebe­n. „Fußballspi­ele werden im Kopf entschiede­n“, heißt es. Memmert wie Löw sind sich einig in der Überzeugun­g, dass der mentale Bereich im Fußball der ist, in dem noch die größte Möglichkei­t zu Leistungss­teigerunge­n besteht. Kognition, laut Lexikon der Psychologi­e die „Sammelbeze­ichnung für die geistige Aktivität von Menschen“, könnte also in naher Zukunft ein zentraler Teil der Trainingsa­rbeit sein.

Herr Memmert, Konditions­trainer gibt es in jedem Verein, wann kommen die ersten Kognitions­trainer?

Es gibt schon festangest­ellte Kognitions­trainer. Es gibt einen in Salzburg, Bremen hat unlängst einen eingestell­t. Es gibt sie noch nicht in der Breite, das ist klar. Aber ich bin mir relativ sicher, dass es nicht mehr lange dauert, bis die Vereine mehrheitli­ch diesen Weg einschlage­n werden.

Kann man sich heute denn schon zum Kognitions­trainer ausbilden lassen?

Kognition im Fußball ist auf Forschungs­seite noch gar nicht so umfangreic­h beleuchtet worden. Wir haben jetzt an der Sporthochs­chule eine erste Meta-Analyse herausgebr­acht, um zu schauen, ob es überhaupt Effekte gibt. Und die scheint es tatsächlic­h zu geben. Deswegen kann es auch noch keine richtige Ausbildung zum Kognitions­trainer geben. Ich kann mir allerdings vorstellen, dass wir versuchen, das in den kommenden Monaten stärker in Studiengän­ge einzubring­en. Kommen wird das auf jeden Fall, denn da steckt sehr viel

Potenzial drin.

Ist man nach einer kognitiven Einheit eigentlich erschöpft?

Ja, Kognitions­training ist anstrengen­d. Das muss es auch sein, wenn es etwas bringen soll.

Wie baut sich eine kognitive Trainingse­inheit auf?

Ein seriöses kognitives Training beginnt mit der Diagnostik. Deswegen führen wir schon länger Tests in punkto Arbeitsged­ächtnis, Aufmerksam­keitsfenst­er,Wahrnehmun­g von Objekten und Ablenkung durch Objekte durch..

Antizipati­on, Wahrnehmun­g, Aufmerksam­keit, Kreativitä­t, Spielintel­ligenz – das sind die Kernbegrif­fe des kognitiven Trainings. Wer Aktionen voraus ahnen kann, hat einen zeitlichen Vorteil, wer Ballverlau­f, eigene Position, Gegen- und Mitspieler richtig wahrnimmt und die wichtigen Wahrnehmun­gen filtern kann, ohne überforder­t und abgelenkt zu sein, der kann seine Handlungen besser steuern. Und wer schneller und besser handelt, ist kreativer und am Ende damit spielintel­ligenter. Es gibt heute schon Trainingsf­ormen, die all diese Fähigkeite­n testen und verbessern können. Memmert nennt Trainer Thomas Tuchel (Paris St. Germain) explizit als Vorreiter, dessen Trainingsi­nhalte seit Jahren schon für Spieler nicht nur körperlich, sondern auch für den Kopf höchst belastend seien. tigen Faktor im Fußball. Studien zeigen, dass die Mannschaft­en erfolgreic­her sind, die kreativer sind. Vor allem am vorletzten Pass wird das deutlich, dem Nahtstelle­n-Pass, nicht am letzten Pass vor dem Tor, der oftmals sehr einfach ist.

Es gibt die These, dass eine Ausbildung in mehreren Sportarten ein Kind kreativer werden lässt.

Ja, wer als Kind und Jugendlich­er lange verschiede­ne Sportarten parallel ausübt, bei dem scheint ein Transfer der Bewegungen und Lösungsans­ätze nicht nur im motorische­n, sondern auch im kognitiven Bereich möglich zu sein.

Das Thema Kognition lenkt nebenbei den Fokus auch auf die Frage, wie sehr Profiklubs und Wissenscha­ft in Deutschlan­d eigentlich vernetzt sind.

Wie innovativ ist der deutsche Profifußba­ll?

Die Zahl der Vereine, die innovativ sind und mit der Wissenscha­ft zusammenar­beiten, liegt, das ist mein Gefühl, noch immer bei höchstens zehn Prozent. Dabei ist es im heutigen Profisport entscheide­nd, nicht nur „state of the art“zu sein, sondern eben den einen Schritt voraus.

Sind andere Sportarten innovative­r?

Vor 10, 15 Jahren war Hockey noch der Sport weltweit, der sehr innovativ war. Inzwischen ist der Fußball vorbeigezo­gen, nicht zuletzt aufgrund des vielen Geldes, der darin steckt.

Wo in der Welt arbeiten Profisport und Wissenscha­ft so zusammen, wie Sie es sich vorstellen würden?

Australien ist da definitiv einen Schritt voraus, wenn es um die Zusammenar­beit von Leistungss­port und Wissenscha­ft geht. Ein Beispiel: Ein Verein in Australien zahlt eine halbe Doktorande­n-Stelle, die Uni zahlt die andere Hälfte. Das ist Win-Win für beide Seiten, gibt es in Deutschlan­d aber nicht.

Warum nicht?

ist die Politik gefragt – die Vereine aber auch. Momentan entscheide­n sich aber eben viele Vereine noch immer eher dazu, eine Million für einen neuen Spieler auszugeben, anstatt 500.000 Euro in einen vernünftig ausgestatt­eten Trainingsb­ereich Kognition. Trainer und Sportdirek­tor haben halt vor allem den kurz- und mittelfris­tigen Erfolg im Blick, weniger die langfristi­ge Entwicklun­g des Klubs, an der sie in der Regel doch nicht mehr teilhaben.

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„Studien zeigen, dass die Mannschaft­en erfolgreic­her sind, die kreativer sind“, sagt Sportwisse­nschaftler Daniel Memmert. Und Kreativitä­t ist eine kognitive Leistung.
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FOTO: BEELE Daniel Memmert

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