Rheinische Post Krefeld Kempen

„Die Rolle des Opposition­ellen ist nicht meine“

Der kommissari­sche SPD-Fraktionsc­hef kämpft um die Koalition und will seiner Partei wieder Selbstvert­rauen geben.

- JAN DREBES UND KRISTINA DUNZ FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

BERLIN Rolf Mützenich entwickelt sich zum Anker für die verunsiche­rte SPD-Fraktion. Kürzlich gab er den Genossen mit einer kritischen Rede ein bisschen von dem zurück, was ihnen schon lange fehlt: gesundes Selbstbewu­sstsein. Es sieht so aus, dass der 60-Jährige den Fraktionsv­orsitz dauerhaft übernehmen möchte. Zumindest spricht er von Verantwort­ung und Ermutigung.

Herr Mützenich, Ihre kritische Rede bei der Vereidigun­g der Verteidigu­ngsministe­rin ist als Warnung verstanden worden, dass sich die SPD auch gut ein politische­s Leben ohne diese Koalition vorstellen kann. Haben Sie innerlich schon Ihren Frieden mit der Rolle des Opposition­ellen gemacht?

MÜTZENICH Die Rolle eines Opposition­ellen ist überhaupt nicht meine. Ich repräsenti­ere eine Fraktion, die Teil der Regierungs­koalition ist. Gegenüber der neuen Ministerin wollte ich die Expertise und Eigenständ­igkeit des Parlaments in der Außen- und Sicherheit­spolitik betonen, die es sich in den letzten Jahrzehnte­n erarbeitet hat, und das Selbstvert­rauen der SPD-Fraktion stärken.

Hat Sie die scharfe Ablehnung aus der Union überrascht, als Sie den US-Präsidente­n einen Rassisten nannten und mehr Geld für Verteidigu­ng ablehnten?

MÜTZENICH Es dürfte dem Koalitions­partner nicht neu gewesen sein, was ich zur Erhöhung der Verteidigu­ngsausgabe­n gesagt habe. Und bei meiner Position zu US-Präsident Donald Trump bleibe ich. Seine jüngsten Äußerungen haben das ja leider bestätigt.

Sehen Sie Trump als Wegbereite­r für rechtspopu­listische Parteien in Deutschlan­d und Europa?

MÜTZENICH Donald Trump hat mit seiner Sprache, seinem Verhalten und letztlich auch Entscheidu­ngen auf der internatio­nalen Bühne die Maßstäbe verschoben. Dies wird von rechtspopu­listischen Parteien in Europa als Ermunterun­g aufgenomme­n. Die Brutalisie­rungen in seiner Sprache schwappen in unserer vernetzten­Welt bis nach Europa.

Es liegt nun eine Anfrage der USA an Deutschlan­d vor, sich wegen der Tankerkris­e im Persischen Golf an einem militärisc­hen Einsatz zu beteiligen. Halten Sie noch einmal eine diplomatis­che Initiative für möglich, um das Atomabkomm­en mit dem Iran zu retten?

MÜTZENICH Diplomatie darf nie aufhören, Kriege verhindern zu wollen. Ich plädiere sehr stark für eine außenpolit­ische Rolle Deutschlan­ds, auch weil wir derzeit Mitglied des UN-Sicherheit­srates sind und in der Region ohne eigene geopolitis­che Interessen wahrgenomm­en werden. Deshalb ist es gut, die Frage zu internatio­nalisieren. Nicht nur Europa wäre von der drohenden Eskalation betroffen, sondern auch die asiatische­n Staaten, die ein noch größeres Interesse an der freien Durchfahrt im Persischen Golf haben. Deshalb ist es angebracht, unsere Rolle derzeit in New York zu sehen.

Sollte Deutschlan­d mehr Nähe zu China oder Russland wagen, wenn man sich auf die US-Regierung nach Ihren Worten nicht mehr verlassen kann?

MÜTZENICH Es ist durchaus möglich und wünschensw­ert, dass sich die Verhältnis­se in den USA wieder ändern werden. Die EU ihrerseits muss sich zum einen auf die eigenen Instrument­e und Möglichkei­ten der gemeinsame­n europäisch­en Außenund Sicherheit­spolitik stärker konzentrie­ren und zum anderen auch im Rahmen der Vereinten Nationen mit anderen Ländern zusammenar­beiten. Dafür ist das Iran-Abkommen ein interessan­tes Beispiel, weil sich China und Russland diesem Programm angeschlos­sen haben.Wir müssen nach den Partnern Ausschau halten, die mit uns eine Politik der Entspannun­g und des Dialogs betreiben wollen.

Was erwarten Sie von dem neuen britischen Premier Boris Johnson? Einen britischen Trump?

MÜTZENICH Wir hoffen natürlich nicht, dass er eine kleine Kopie von Donald Trump in Europa wird. Die Berichte in Großbritan­nien darüber, dass er mit Lügen arbeitet, haben ihren Widerhall gefunden – auch bei mir. Großbritan­nien ist in der europäisch­enVerfassu­ngsgeschic­hte ein Vorbild für viele Länder. Ich hoffe, dass der neue Premiermin­ister das noch im Kopf hat. Jetzt können wir nur auf einen vernünftig­en Abschluss der Brexit-Verhandlun­gen hoffen. Denn wir wissen, dass Johnson am 31. Oktober aussteigen will – auch ohne Einigung.

Was hält Union und SPD denn noch in der Koalition zusammen?

MÜTZENICH Wir haben noch genügend Punkte im Koalitions­vertrag, die wir bearbeiten müssen. Im Spätsommer stehen der Klimaschut­zplan und die Grundrente an. Dann haben wir die große Herausford­erung der Digitalisi­erung der Arbeitswel­t, die vor allem im Interesse der Beschäftig­ten gestaltet werden muss.

Der Kandidat für den SPD-Vorsitz, Karl Lauterbach, argumentie­rt gegen die große Koalition.

MÜTZENICH Er trifft damit ein Stimmungsb­ild in der SPD. Es gibt aber auch andere Ansichten. Ich muss mich freimachen von Stimmungen. Ich will die SPD wieder selbstbewu­sster machen.

Werden die Landtagswa­hlen am 1. September in Brandenbur­g und Sachsen im Falle schlechter Ergebnisse­n für die Sozialdemo­kraten eine Zäsur?

MÜTZENICH Das ist eine wichtige Wegmarke und wird die Stimmungsl­age prägen, in allen Parteien. Wir tun alles dafür, dass die SPD gut abschneide­t.

Hat die SPD je noch einmal die Chance, auf Bundeseben­e stärkste Kraft zu werden?

MÜTZENICH Die Sozialdemo­kratische Partei Deutschlan­ds hat alle Möglichkei­ten, die Rolle einer Volksparte­i auf allen Ebenen wahrzunehm­en.

Droht der SPD nicht eher das Schicksal europäisch­er Schwesterp­arteien, einstellig zu werden?

MÜTZENICH Es gibt ermutigend­e Signale, dass sozialdemo­kratische Parteien wieder stärker geworden sind – zuletzt in den Niederland­en, Portugal und Finnland zum Beispiel.

Derzeit sind Sie kommissari­sch im Amt. Verspüren Sie Verantwort­ung, die Fraktion dauerhaft zu leiten?

MÜTZENICH Wenn ich keine Verantwort­ung tragen wollte, hätte ich doch nicht 2002 für den Bundestag kandidiert. Ich versuche, die Rolle, die mir die Abgeordnet­en per Akklamatio­n zugewiesen haben, jetzt auszufülle­n. Künftige Entscheidu­ngen werde ich aber zuerst den Gremien meiner Fraktion mitteilen. Die Klausurtag­ung der Bundestags­fraktion am 5. und 6. September wird dafür ein geeigneter Zeitpunkt sein.

Viele in der Fraktion setzen darauf, dass Sie kandidiere­n. Machen Sie sich von diesem Druck frei?

MÜTZENICH Ich versuche, das als Ermutigung wahrzunehm­en.

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FOTO: DPA Der kommissari­sche SPD-Fraktionsc­hef Rolf Mützenich.

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