Rheinische Post Krefeld Kempen
Tönnies fällt aus der Rolle
Schalkes Aufsichtsrat entschuldigt sich für eine rassistische Bemerkung. Der Ehrenrat befasst sich mit dem Vorgang.
RHEDA-WIEDENBRÜCK Am Wochenende lädt Clemens Tönnies (63) gern eine kernige Männerrunde zur Sauna in sein Haus in Rheda-Wiedenbrück ein. Dabei ist häufig der ehemalige Fußball-Funktionär Heribert Bruchhagen, und dabei sind in der Regel Kollegen aus der fleischverarbeitenden Branche, Großmetzger könnte man sie nennen. In der Sauna wird vermutlich nicht jedesWort auf die Goldwaage gelegt, und es ist gut vorstellbar, dass es gelegentlich ein wenig rauer zugeht. Nach außen dringt nichts aus dieser Runde. Das ist vielleicht auch besser so.
Das zumindest kann denken, wer liest, was Tönnies als Redner beim Tag des Handwerks in Paderborn von sich gegeben hat. Der Unternehmer, als Aufsichtsratsvorsitzender von Schalke 04 berühmt und als Mitinhaber eines der größten Schlachtbetriebe Europas reich geworden, kritisierte Steuererhöhungen im Kampf gegen den Klimawandel. Und dann sagte er vor 1600 Gästen: Man solle lieber 20 Kraftwerke in Afrika finanzieren. „Dann würden die Afrikaner aufhören, Bäume zu fällen, und sie hören auf, wenn’s dunkel ist, Kinder zu produzieren.“Neben einem verstörten Schweigen soll er dafür zumindest stellenweise Beifall geerntet haben. So berichtete es die „Neue Westfälische“.
Für diese rassistische Entgleisung auf dem Podium hat er sich über die Medienabteilung desVereins Schalke 04 und die Pressestelle seines Unternehmens entschuldigt. „Ich möchte meine Aussage zum Thema Klimawandel richtigstellen. Ich stehe für eine offene und vielfältige Gesellschaft ein. Meine Aussage zum Kinderreichtum in afrikanischen Ländern tut mir leid. Das war in Form und Inhalt unangebracht“, twitterte er als Chef seines Großbetriebs, der weltweit 6,6 Milliarden Euro Umsatz macht.
Auf der Homepage von Schalke 04 hieß es: „Als Vorsitzender des Aufsichtsrats des FC Schalke 04 stehe ich 1000prozentig hinter unseren Vereinswerten. Dazu gehört der Einsatz gegen Rassismus, Diskriminierung und Ausgrenzung. Vor diesem Grund möchte ich mich explizit bei euch, den Fans, Mitgliedern und Freunden des FC Schalke 04, für meine Aussage entschuldigen. Sie war falsch, unüberlegt und gedankenlos und entsprach in keiner Weise unserem Leitbild. Es tut mir sehr leid.“
Damit ist der Auftritt aus Paderborn allerdings nicht aus der Welt. Das wird Tönnies wissen. Was niemand weiß, ist die Antwort auf die Frage, welcher Teufel den Unternehmer geritten hat. Ein derartiger Anfall von Gedankenlosigkeit bei einem öffentlichen Anlass hat ja selbst den wichtigsten Fleischfabrikanten im Schalke-Universum noch nicht ereilt. Der Ehrenrat des Vereins wird sich in der nächstenWoche mit dem Vorgang beschäftigen.
Vielleicht wollte Tönnies ein Witzchen reißen, wie es möglicherweise in der Verschwiegenheit von Männerbünden schon mal zu später Stunde vorkommt. Aus Verein und Unternehmen ist Tönnies schließlich daran gewöhnt, darüber zu bestimmen, was wichtig, was angesagt und gegebenenfalls auch was lustig ist. Der Metzgerssohn aus Rheda, der auf einem sehr steilen Weg zu beruflichem Erfolg und sportlichem Einfluss gelangte, hat sich noch nicht oft hereinreden lassen.
Er gehört zu den Menschen, die man früher Patriarchen nannte. Zur selbstverständlichen Körperhaltung seiner Wegbegleiter gehört ein geduldiges Nicken. Kritik: Fehlanzeige. Den Fußballklub führt er, obwohl Aufsichtsräte eigentlich eine ganz andere Aufgabe haben. Und es gefällt ihm, der Ansprechpartner in der Öffentlichkeit, das Gesicht des Klubs zu sein. Tief in ihm wohnt die Überzeugung, dass er auf jede Frage die bessere Antwort schon kennt. Und es fällt ihm schwer, seine Meinung zu den tagesaktuellen Themen im Verein bei sich zu behalten. Als er von Mitgliedern für seine Auskunftsfreude dann doch mal kritisiert wurde, hielt er sich in den vergangenen beiden Jahren merklich zurück.
Das ist sicher nicht leicht für ihn. Aber auch wenn er nicht mehr jeden Tag in der „Bildzeitung“das Schalker Fußballleben kommentiert, und auch wenn er gelernt hat, an Fernsehkameras vorbei zu gehen, ist er weiter der starke Mann im westfälischen Klub. Ohne seine Zustimmung geht jedenfalls nichts auf Schalke.
Deshalb kommt seine Amtsbezeichnung im öffentlichen Sprachgebrauch nie ohne den Zusatz „der mächtige“Aufsichtsratsvorsitzende aus. Derartige Anerkennung findet Tönnies selbstverständlich. Und das führt auf geradem Weg zur Annahme, unfehlbar zu sein. Und sie ist vermutlich der Hintergrund der bedenklichen Gedankenlosigkeit von Paderborn.
In seiner Firma muss er sich gerade an Widerspruch gewöhnen. Es gibt eine, inzwischen auch juristische, Auseinandersetzung mit seinem Neffen Robert Tönnies über die künftige Ausrichtung und einen möglichen Verkauf des Großunternehmens.