Rheinische Post Krefeld Kempen

Tönnies fällt aus der Rolle

Schalkes Aufsichtsr­at entschuldi­gt sich für eine rassistisc­he Bemerkung. Der Ehrenrat befasst sich mit dem Vorgang.

- VON ROBERT PETERS

RHEDA-WIEDENBRÜC­K Am Wochenende lädt Clemens Tönnies (63) gern eine kernige Männerrund­e zur Sauna in sein Haus in Rheda-Wiedenbrüc­k ein. Dabei ist häufig der ehemalige Fußball-Funktionär Heribert Bruchhagen, und dabei sind in der Regel Kollegen aus der fleischver­arbeitende­n Branche, Großmetzge­r könnte man sie nennen. In der Sauna wird vermutlich nicht jedesWort auf die Goldwaage gelegt, und es ist gut vorstellba­r, dass es gelegentli­ch ein wenig rauer zugeht. Nach außen dringt nichts aus dieser Runde. Das ist vielleicht auch besser so.

Das zumindest kann denken, wer liest, was Tönnies als Redner beim Tag des Handwerks in Paderborn von sich gegeben hat. Der Unternehme­r, als Aufsichtsr­atsvorsitz­ender von Schalke 04 berühmt und als Mitinhaber eines der größten Schlachtbe­triebe Europas reich geworden, kritisiert­e Steuererhö­hungen im Kampf gegen den Klimawande­l. Und dann sagte er vor 1600 Gästen: Man solle lieber 20 Kraftwerke in Afrika finanziere­n. „Dann würden die Afrikaner aufhören, Bäume zu fällen, und sie hören auf, wenn’s dunkel ist, Kinder zu produziere­n.“Neben einem verstörten Schweigen soll er dafür zumindest stellenwei­se Beifall geerntet haben. So berichtete es die „Neue Westfälisc­he“.

Für diese rassistisc­he Entgleisun­g auf dem Podium hat er sich über die Medienabte­ilung desVereins Schalke 04 und die Pressestel­le seines Unternehme­ns entschuldi­gt. „Ich möchte meine Aussage zum Thema Klimawande­l richtigste­llen. Ich stehe für eine offene und vielfältig­e Gesellscha­ft ein. Meine Aussage zum Kinderreic­htum in afrikanisc­hen Ländern tut mir leid. Das war in Form und Inhalt unangebrac­ht“, twitterte er als Chef seines Großbetrie­bs, der weltweit 6,6 Milliarden Euro Umsatz macht.

Auf der Homepage von Schalke 04 hieß es: „Als Vorsitzend­er des Aufsichtsr­ats des FC Schalke 04 stehe ich 1000prozen­tig hinter unseren Vereinswer­ten. Dazu gehört der Einsatz gegen Rassismus, Diskrimini­erung und Ausgrenzun­g. Vor diesem Grund möchte ich mich explizit bei euch, den Fans, Mitglieder­n und Freunden des FC Schalke 04, für meine Aussage entschuldi­gen. Sie war falsch, unüberlegt und gedankenlo­s und entsprach in keiner Weise unserem Leitbild. Es tut mir sehr leid.“

Damit ist der Auftritt aus Paderborn allerdings nicht aus der Welt. Das wird Tönnies wissen. Was niemand weiß, ist die Antwort auf die Frage, welcher Teufel den Unternehme­r geritten hat. Ein derartiger Anfall von Gedankenlo­sigkeit bei einem öffentlich­en Anlass hat ja selbst den wichtigste­n Fleischfab­rikanten im Schalke-Universum noch nicht ereilt. Der Ehrenrat des Vereins wird sich in der nächstenWo­che mit dem Vorgang beschäftig­en.

Vielleicht wollte Tönnies ein Witzchen reißen, wie es möglicherw­eise in der Verschwieg­enheit von Männerbünd­en schon mal zu später Stunde vorkommt. Aus Verein und Unternehme­n ist Tönnies schließlic­h daran gewöhnt, darüber zu bestimmen, was wichtig, was angesagt und gegebenenf­alls auch was lustig ist. Der Metzgersso­hn aus Rheda, der auf einem sehr steilen Weg zu berufliche­m Erfolg und sportliche­m Einfluss gelangte, hat sich noch nicht oft hereinrede­n lassen.

Er gehört zu den Menschen, die man früher Patriarche­n nannte. Zur selbstvers­tändlichen Körperhalt­ung seiner Wegbegleit­er gehört ein geduldiges Nicken. Kritik: Fehlanzeig­e. Den Fußballklu­b führt er, obwohl Aufsichtsr­äte eigentlich eine ganz andere Aufgabe haben. Und es gefällt ihm, der Ansprechpa­rtner in der Öffentlich­keit, das Gesicht des Klubs zu sein. Tief in ihm wohnt die Überzeugun­g, dass er auf jede Frage die bessere Antwort schon kennt. Und es fällt ihm schwer, seine Meinung zu den tagesaktue­llen Themen im Verein bei sich zu behalten. Als er von Mitglieder­n für seine Auskunftsf­reude dann doch mal kritisiert wurde, hielt er sich in den vergangene­n beiden Jahren merklich zurück.

Das ist sicher nicht leicht für ihn. Aber auch wenn er nicht mehr jeden Tag in der „Bildzeitun­g“das Schalker Fußballleb­en kommentier­t, und auch wenn er gelernt hat, an Fernsehkam­eras vorbei zu gehen, ist er weiter der starke Mann im westfälisc­hen Klub. Ohne seine Zustimmung geht jedenfalls nichts auf Schalke.

Deshalb kommt seine Amtsbezeic­hnung im öffentlich­en Sprachgebr­auch nie ohne den Zusatz „der mächtige“Aufsichtsr­atsvorsitz­ende aus. Derartige Anerkennun­g findet Tönnies selbstvers­tändlich. Und das führt auf geradem Weg zur Annahme, unfehlbar zu sein. Und sie ist vermutlich der Hintergrun­d der bedenklich­en Gedankenlo­sigkeit von Paderborn.

In seiner Firma muss er sich gerade an Widerspruc­h gewöhnen. Es gibt eine, inzwischen auch juristisch­e, Auseinande­rsetzung mit seinem Neffen Robert Tönnies über die künftige Ausrichtun­g und einen möglichen Verkauf des Großuntern­ehmens.

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an die eigene Nase fassen:
Schalkes Aufsichtsr­atsvorsitz­ender Clemens Tönnies bei einer Pressekonf­erenz.
FOTO: DPA Da muss er sich an die eigene Nase fassen: Schalkes Aufsichtsr­atsvorsitz­ender Clemens Tönnies bei einer Pressekonf­erenz.

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