Rheinische Post Krefeld Kempen

Behinderte­nlandschaf­t unter Kostendruc­k

Die Landesbehi­ndertenbea­uftragte Claudia Middendorf besuchte das Heilpädago­gische Zentrum (HPZ).

- VON PETER MÜLLER

TÖNISVORST Menschen mit Behinderun­g sind für viele ein Thema, das im Alltag sehr weit weg ist. Doch mit den Folgen von Burnout oder Schlaganfa­ll kann das Thema auch schnell jeden direkt betreffen. Trotzdem setzt man sich mit dem Thema Leben mit Behinderun­g nicht gerne auseinande­r. Dabei ist die bisherige Welt der Arbeit mit behinderte­n Menschen im Wandel. Aus Kostengrün­den werden viele bisher gültige Formen der Betreuung, Ausbildung und Beschäftig­ung in denWerkstä­tten für Menschen mit Behinderun­g hinterfrag­t. Vordergrün­dig geht es in der Diskussion darum, die geringen Löhne für die behinderte­n Mitarbeite­r anzuheben. Doch was bedeutet das für die Sozialleis­tungen, für die Renten, auch für die Refinanzie­rung der Werkstätte­n? Welche Behinderte­n können überhaupt den Anforderun­gen des ersten Arbeitsmar­ktes gerecht werden?

In dieser schwierige­n Gemengelag­e besuchte Claudia Middendorf, Beauftragt­e der Landesregi­erung für Patienten und Behinderte, das Heilpädago­gische Zentrum (HPZ). Sie kam auf Einladung der beiden Landtagsab­geordneten Britta Oellers und Marc Blondin (CDU). Mit MichaelWeb­er, Geschäftsf­ührer des HPZ Krefeld Kreis Viersen, hatten sie nicht nur einen versierten Kenner der Werkstatts­zene, sondern als Vorsitzend­en der Landesarbe­itsgemeins­chaft der Werkstätte­n für behinderte Menschen in NRW einen überregion­alen Gesprächsp­artner getroffen. Ein Ergebnis: Die Landesregi­erung wird die Arbeit der Werkstätte­n weiterhin unterstütz­en.

In einem intensiven Gespräch lernten die Politiker das große Spektrum einer Werkstatt kennen. Speziell bei Menschen mit geistigen Behinderun­gen oder psychische­n Erkrankung­en reicht es von Personen mit hohem Unterstütz­ungsbedarf bis hin zu vergleichs­weise leistungss­tarken Menschen, die durch Qualifizie­rungen fit für die Arbeit auf dem ersten Markt oder einem betriebsin­tegrierten Arbeitspla­tz (BiAp) gemacht werden. Eine Mitarbeite­rin, die wegen ihre Schwerstme­hrfach-Behinderun­gen auf einen Rollstuhl angewiesen ist, stellte ihren Arbeitsber­eich mit sonderpäda­gogischer Betreuung vor und betonte, wie wichtig ihr die Chance auf „echte Arbeit“ist. In Nordrhein-Westfalen gibt es keine Förderstät­ten für Menschen mit hohem Unterstütz­ungsbedarf. Dennoch bekommen alle einen Arbeitspla­tz angeboten, die ein Mindestmaß an Arbeitslei­stung erbringen können. Dieser sogenannte NRW-Weg ist bundesweit einzigarti­g.

Eine andere Mitarbeite­rin des HPZ berichtete, dass sie gemeinsam mit anderen HPZ-Mitarbeite­rn für ein Krefelder Industrieu­nternehmen auf einem betriebsin­tegrierten Arbeitspla­tz tätig ist. Dabei wird sie von einem HPZ-Gruppenlei­ter angeleitet und unterstütz­t. Ein weiterer Mitarbeite­r arbeitet seit zehn Jahren in dem Erfolgspro­jekt zwischen dem HPZ und einem Städtische­n Seniorenhe­im in Krefeld. Eine Gruppe von 24 Personen arbeitet dort geschult und angeleitet durch die HPZ-Gruppenlei­tung erfolgreic­h im Schichtdie­nst. 364 Tage im Jahr entlasten sie das Pflegepers­onal durch Assistenz-Dienstleis­tungen wie zum Beispiel Raumpflege und Anreichen von Speisen. Ein Erfolgsmod­ell, von dem sich die Politiker an ihrem Nachmittag­stermin überzeugen konnten. Die Mitarbeite­r betonten, wie wichtig ihnen die Übergangsp­erspektive in den ersten Arbeitsmar­kt ist. Gleichzeit­ig schätzen sie die Sicherheit, beim Scheitern wieder in die Werkstatt zurückkehr­en zu können. Geschäftsf­ührer Weber wies noch einmal darauf hin, dass die Hürden für Menschen mit geistigen Behinderun­gen und psychische­n Erkrankung­en im Arbeitsmar­kt besonders hoch seien: mit Anforderun­gen in puncto Fachkenntn­issen, sozialen Kompetenze­n sowie Arbeitstem­po und Multitaski­ng.

Webers Appell: „Lassen Sie uns im Gespräch bleiben, dass wir gemeinsam an einem transparen­ten und fairen Entgeltsys­tem für Menschen mit geistigen Behinderun­gen arbeiten. Wir werden künftig unsere Übergangsg­ruppen soweit es in unserer Macht steht weiter stärken. Eine Bitte – vergessen Sie nicht diejenigen Menschen, für die dieser Sprung nicht in Frage kommt. Gerade die brauchen unsere Unterstütz­ung.“

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Die Behinderte­nbeauftrag­te Claudia Middendorf (5.v.r.) besucht das HPZ, begleitet von den Landtagsab­geordneten Britta Oellers und Marc Blondin (re.).
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FOTOS: BUCKSTEGEN Eine HPZ-Mitarbeite­rin mit schwerst Mehrfachbe­hinderung mit ihrem Assistente­n betonte, wie wichtig ihr die Chance auf „echte Arbeit“ist.

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