Rheinische Post Krefeld Kempen
Als der Wagen nicht kam
Es war das ein Zeichen für das Vertrauen, das ich mir in der kurzen Zeit durch nüchterne Sachlichkeit bei den Amerikanern erworben hatte, denn ich wurde so in gewissem Umfang zum Kontrolleur der Maßnahme des C.I.G. mit vollem Einblick in die Reibungen, die zwischen den Amerikanern und Briten hinsichtlich des Lagers bestanden. Am 7. Dezember 1945 trat ich die Fahrt an zusammen mit Colonel Cooney von C.I.G., einem guten älteren Berufsoffizier von irischer Abstammung. Im Gespräch zeigte sich, dass er katholisch war, was die Sprachregelung hinsichtlich der zu behandelnden Dinge sehr erleichterte. Es war ein innerlich vornehmer Mann, der nicht den Vorstellungen entsprach, die man meist mit einem Geheimdienst verbindet.Wir fuhren in einem „jeep“, der mit Blechplatten einigermaßen gegen Wind und Schnee gesichert, aber ohne Heizung war. Bequeme Personenwa
gen gab es damals noch nicht bei der Besatzungstruppe. Es war bitter kalt, ich war aber mit Fußsack und Decken gut eingepackt, und für die innere Erwärmung sorgte Cooney mit einer großen Flasche Bourbon-Whisky. Die Fahrt war für mich ein erregendes Ereignis, brachte sie mich doch zum ersten Mal aus Berlin in die russische Zone. In Abständen von einigen Kilometern standen russische Posten und allenthalben große Schilder mit Stalinbildern und Siegesinschriften, anscheinend fabrikmäßig hergestellt. An der Zonengrenze in Helmstedt ging der Schlagbaum vor dem amerikanischen Wagen ohne Kontrolle hoch und die russischen Posten bettelten um Zigaretten. Auch an der britisch-amerikanischen Zonengrenze kurz vor Fürstenhagen standen beiderseits Posten.
Als wir spät abends in dem Lager ankamen, vertraute mich Cooney einem Sergeanten an zwecks Unterbringung, und ich landete in einer Baracke sehr bescheidener Art. Am folgenden Morgen ließ mich Cooney im Auto holen, und ich sah, dass er in einem komfortabel hergerichteten amerikanischen Hotel „Gold Cup“wohnte. Es bestanden damals noch die strikten Fraternisierungsverbote für die Besatzungstruppen. Den Amerikanern waren sie im Gegensatz zu den Engländern unerwünscht und lästig, und ich war schon mehrfach verbotswidrig zum Mittagessen in dem Kasino„Truman Hall“eingeladen gewesen. Ich habe jede in etwa aussichtsvolle Gelegenheit benutzt, diese Diskriminierung zu durchbrechen, und zwar aus der Erkenntnis heraus, dass ein politischer Wiederaufbau in Deutschland durch diese Kindereien gefährdet sei. Sie boten den früheren Nazis Anlass zu der Behauptung, wie richtig Hitler die Bosheit der Feindmächte eingeschätzt habe. So eröffnete ich also Mr. Cooney sehr milde, aber ebenso deutlich, meine Unterbringung missfalle mir, und ich bäte um Unterkunft im „Gold Cup“. Es war ihm peinlich, dass diese Frage hochgekommen war, deren Lösung für ihn zudem kein einfaches Problem darstellte. Da er aber wohl spürte, dass ich andernfalls nicht mitspielen würde und er auf meine Sachkenntnisse angewiesen war, betrieb er die Sache mit Eifer und dem mühsam erkämpften Ergebnis, dass ich als V.I.P. (very important person) ein Zimmer im „Gold Cup“erhielt. Das Haus erwies sich wirklich als ein goldener Becher, und ich verbrachte dort einige Tage in langentbehrtem Wohlleben.
Das Lager Fürstenhagen war in einer im hügeligen, dichten Hochwald versteckten bisherigen Munitionsfabrik eingerichtet, und die Ministerialbeamten wohnten in den Baracken, in denen bisher die Fremdarbeiter untergebracht gewesen waren.
(Fortsetzung folgt)
ERPELINO