Rheinische Post Krefeld Kempen
Einmal durch die Jahrhunderte
Auf der Wasserburg Anholt gibt es mehr zu entdecken, als es auf den ersten Blick scheint. Die Burg aus dem 12. Jahrhundert ist in Privatbesitz und öffentlich zugänglich.
ISSELBURG-ANHOLT Schier endlos scheinen sie sich zu erstrecken, die Holzbohlen, die den Fußboden der Wasserburg Anholt bilden. Beinahe schnurgerade ziehen sie sich von einem Ende des Raums zum anderen. Ganze 17 Meter lang. Das Auge sucht eine Unterbrechung in den Reihen der Fichtenbretter, findet aber keine. Noch beeindruckender als der Boden selbst ist seine Geschichte. „Die Bäume können wir zurückverfolgen aus dem ehemaligen Fürstentum Salm im heutigen Frankreich“, sagt Duco van Krugten, Archivar auf der Wasserburg Anholt. Der Boden gehört zum Herzstück des Schlosses, dem Rittersaal.
Mitte des 18. Jahrhunderts sei der Besitzer des Fürstentums aus Frankreich geflohen und nach Anholt gekommen – auch heute noch Stammsitz der Familie Salm-Salm. Den Boden nahm er mit. 1753 war das, um ganz genau zu sein.„Die Dielen sind über die Mosel transportiert worden, bei Koblenz über den Rhein bis nach Rees“, erzählt van Krugten. Wie genau die Baumstämme es dann von Rees ins rund zwölf Kilometer entfernte Anholt geschafft haben, bleibt jedoch ungewiss. Über den Weg informiert ist der Archivar heute dank der Unterlagen an den Zollstellen, die aufbewahrt worden sind. Als das Museum im Jahr 1966 eröffnet wurde, durften die Besucher nur mit Pantoffeln über den Boden gehen, um ihn zu schonen. „Das ist aber längst abgeschafft, das war viel zu gefährlich“, sagt van Krugten.
Doch nicht nur der Boden des Rittersaals ist beeindruckend, auch die Wände ziehen die Blicke auf sich. Im 17. Jahrhundert ist Marmorimitat schwer in Mode, es findet sich an den Wänden des Saales. Verdeckt werden große Teile der Wände von Bildern. Diese Porträtgalerie ist für den Archivar einer der schönsten Teile des Schlosses. „Es zeigt die Besitzer in einer ununterbrochenen Reihe. Die Herren von Anholt haben es über Jahrhunderte geschafft, das Schloss nicht verfallen zu lassen. Das ist eine große Leistung“, sagt van Krugten. „Dadurch zeichnet sich Anholt aus.“
Gebaut wurde das Wasserschloss ab dem Jahr 1169. Der Bischof von Utrecht gab den Bau in Auftrag, um sein Territorium gegenüber den Bistümern Köln und Münster schützen zu können. Nach einigen Besitzerwechseln ging die Burg im Jahr 1402 an Gysbert von Bronkhorst-Batenburg über. Es gibt im Archiv derWasserburg alte Urkunden, die die Rechte der Burgbesitzer durch den Kaiser bestätigen. Diese prächtigen Urkunden seien besonders schön gestaltet, sagt Duco van Krugten. Im über einen Kilometer Regalmeter messenden Archiv gehören diese Schätze zu seinen Lieblingsdokumenten. Das Anholter Archiv ist das größte Adelsarchiv in Nordrhein-Westfalen, das hauptamtlich betreut wird.
Über die weibliche Linie gelang die Burg im Jahr 1645 in den Besitz der Familie Salm, im 18. Jahrhundert wurde daraus Salm-Salm. Seit dem Jahr 1743 ist der Fürstentitel erblich. „Das ist die Bezeichnung für den Chef des Hauses“, sagt van Krugten. Der derzeitige Besitzer, Carl Philipp Fürst zu Salm-Salm, ist der 13. Fürst zu Salm und der 9. Fürst zu Salm-Salm. Die Tagesgeschäfte übernimmt seit einiger Zeit sein Sohn, Emanuel Erbprinz zu Salm-Salm.
Zwei Räume trennen den Rittersaal vom Speisesaal. Dies ist der Lieblingsort von Michael Boland, Direktor der Wasserburg Anholt. Hier werden die Besucher in eine andere Zeit versetzt. Denn dieser Raum stammt aus dem 19. Jahrhundert und ist etwas moderner eingerichtet als der Rittersaal aus dem 17. Jahrhundert – oder gar die mittelalterliche Küche aus dem 15. Jahrhundert. „Das ist einmalig“, sagt van Krugten. „Viele Schlösser sind geprägt von einer Zeit. Hier ist im Laufe der Zeit entwickelt und bewahrt worden.“Neben Küche und Turm aus dem Mittelalter und dem modernen Speisesaal sind auch Salons aus dem 17. und 18. Jahrhundert zu sehen. Sie alle zeigen Porträts und Gemälde an denWänden und dokumentieren die lange Geschichte.
Einzigartig ist aber auch die Gemäldesammlung – die größte private Sammlung in NRW. Das Herzstück ist 93,5 mal 168 Zentimeter groß und stammt aus dem Jahr 1634. Gemalt hat es der niederländische Künstler Rembrandt van Rijn. „Das Bad der Diana mit Aktäon und Kallisto“heißt es. Auch wenn der Rembrandt das bedeutendste und sicherlich auch berühmteste Werk ist – es gibt in der Gemäldegalerie noch mehr zu entdecken. 700 Gemälde umfasst sie, die Hälfte wird in der Galerie ausgestellt. Seit Kurzem können 150 Gemälde im Parkhotel auf der anderen Seite des Schlosshofes besichtigt werden. Der Rest ist eingelagert, wird restauriert oder in anderen Museen gezeigt.
Wer in der Gemäldegalerie zur richtigen Jahreszeit steht, kann direkt vor seinen Augen gemalte Tulpen und Chrysanthemen entdecken und diese bei einem Blick aus dem Fenster im Schlosspark in voller Blüte erleben. Denn im Park werden alte Sorten neu gezüchtet. Die genauen Bezeichnungen sind bekannt, bereits vor Jahrhunderten wurden Listen geführt, welche Blumen gepflanzt wurden. Das sei sehr hilfreich, um den Park nun nach alten Plänen neu zu gestalten, erzählen van Krugten und Boland. Das soll ab Herbst geschehen.
Ein großer Teil ist nach barocken Vorbildern angelegt. „Wir haben eine symmetrische Anlage, die ist spiegelbildlich angelegt“, erklärt van Krugten. Dazwischen finden sich Reiterstandbilder und Figuren, für Kinder ist besonders der Irrgarten interessant. Der besondere Höhepunkt des Parks, da sind sich Archivar und Direktor einig, ist aber die Wildblumenwiese. Auch hier wachsen zum Teil alte Pflanzensorten. „Die Leute sind erstaunt, wie schön es ist, das ist ein echter Anziehungspunkt“, sagt Michael Boland.
Bekannt vorkommen könnte der Park – wie auch das Schloss – dem ein oder anderen Fernsehzuschauer. Denn er ist für Außenaufnahmen besonders beliebt. „Teilweise wird nur der Irrgarten gefilmt, da weiß man gar nicht, dass es in Anholt ist“, erzählt Boland. In anderen Produktionen nimmt die Burg eine zentrale Rolle ein. So etwa im Film „Aschenputtel“aus dem Jahr 2011, bei dem Uwe Janson Regie führte. Harald Krassnitzer spielte den alten König, Barbara Auer die Stiefmutter von Aschenputtel. Besonders gezittert habe er bei Tanzszenen mit zahlreichen Statisten in den alten Räumen, erzählt van Krugten – aus Sorge um die Einrichtung und den Boden im Rittersaal.
In Erinnerung habe er auch die Produktion „Rivalen der Rennbahn“. „Die haben 40 Tage lang das Schloss besetzt“, sagt der Archivar und lacht. Auch internationale Produktionen seien schon zu Gast gewesen. Ein gutes Dutzend Mal sei die Wasserburg Gastgeber von Filmcrews gewesen, schätzt Boland. Im Lauf der Jahre habe es auch verrückte Anfragen gegeben, die aber abgelehnt worden seien. So habe eine Crew für Aufnahmen ein lebendes Pferd in die Bibliothek stellen wollen. Und das berühmte Rembrandt-Gemälde sollte mit nackten Frauen nachgestellt werden. Das sei dann aber doch zu viel gewesen und abgelehnt worden, sagt van Krugten.