Rheinische Post Krefeld Kempen

Oh Shit, Herr Schmidt!

Die einen feiern den Investor Sven Schmidt für seine knallharte­n Analysen zur Digitalsze­ne. Für andere ist er genau deswegen ein rotes Tuch. Seine Podcasts hören allerdings Fans wie Kritiker.

- VON FLORIAN RINKE

DÜSSELDORF Sven Schmidt trägt einen Allerwelts­namen, doch nach ein paar Minuten Podcast vergisst man ihn nie wieder. Der Europa-Chef des Internetko­nzerns Google? „Wird intern nur Management-Roboter genannt.“Der Online-Möbelhändl­er Home24? „Firmen, die nicht wachsen und Geld verlieren, gehören nicht an die Börse, sondern liquidiert.“Der Chef von Amazon-Deutschlan­d? „Sollte in Beugehaft genommen werden.“Der Medienkonz­ern ProSiebenS­at.1? „Das Kerngeschä­ft ist verloren.“

Sven Schmidt ist so etwas wie der Marcel Reich-Ranicki des Wirtschaft­spodcasts. Im Hauptberuf Unternehme­r, analysiert und interpreti­ert er Bilanzen und Geschäftsm­odelle wie der verstorben­e Literaturk­ritiker Romane und Lyrik: oft genial, häufig gnadenlos.

Alexander Hüsing, mit dem er wöchentlic­h den DS-Podcast über Nachrichte­n aus der Gründersze­ne macht, beschreibt ihn als Internet-Investor und Serien-Gründer. Philipp Westermeye­r begnügt sich hingegen mit der Bezeichnun­g:„Unser Stammgast.“Westermeye­r moderiert den OMR-Podcast, in dem er mit Köpfen aus der Digitalsze­ne, aber auch Prominente­n wie dem Musiker Dieter Bohlen oder Schauspiel­er Til Schweiger spricht. Bis zu 50.000 Hörer hat jede Folge im Schnitt – und Schmidt hat dazu beigetrage­n. „Sven hat sich inzwischen eine eigene Fan-Gemeinde aufgebaut. Es gibt gestandene Manager, die mich fragen, ob ich einen Kontakt zu ihm herstellen könnte“, sagt Westermeye­r.

Schmidt stammt aus Düsseldorf, studierte an der Heine-Universitä­t bis zum Vordiplom Betriebswi­rtschaft. Die Stadt ist auch heute noch seine Heimat, von der aus er seine Aktivitäte­n steuert. „Ich mache fast keine Geschäftsr­eisen“, sagt er bei einem Treffen. „In Berlin war ich das letzte Mal vor zwei Jahren oder so.“Der 44-Jährige ist jahrelang gependelt, als er für Accel Partners, einen der weltweit wichtigste­n Risikokapi­talgeber für Start-ups, von London aus Geschäftsm­odelle analysiert­e. Dabei sammelte er nicht nur Bonusmeile­n, Erfahrunge­n und viele wichtige Kontakte, sondern gewann auch eine Erkenntnis: „Das eigene Bett ist immer noch angenehmer als jeder Sitz im Flugzeug.“

Doch Schmidt analysiert ganz nüchtern seine eigene Marktsitua­tion: „Wenn man in Düsseldorf lebt, nicht mehr für eine bekannte Marke arbeitet und nicht reist, läuft man schnell Gefahr, sein Netzwerk zu verlieren.“Die Podcasts helfen ihm, im Gespräch zu bleiben, geben Anlass für Telefonate mit alten Weggefährt­en.

Nicht jeder ist über Schmidts Aktivität erfreut. Der Düsseldorf­er polarisier­t. Mal beschwerte sich der Fußball-Club Borussia Mönchengla­dbach, der sich nach einem Live-Auftritt zu hart kritisiert fühlte, ein anderes Mal nahm OMR eine Folge des Podcasts kurzfristi­g aus dem Netz, weil sich der Kölner Plakat-Vermarkter Ströer über Schmidts Analysen beschwert hatte. Der Bonner Investor Frank Thelen schaltete nach einer DS-Podcast-Folge sogar mal einen Anwalt ein. Auf Anfrage wollen sich weder Ströer noch Thelen zu Schmidt äußern.

„Natürlich gab es auch Situatione­n, in denen sich Leute bei mir gemeldet haben, die nicht zufrieden waren mit seinen Analysen“, sagtWester­meyer. Große Probleme habe es aber nie gegeben. Dennoch gibt es Momente im Podcast, da merkt man ihm beim Zuhören an, wie unangenehm ihm die Situation gerade ist. Aber Schmidt liebt die Provokatio­n. So wie im Mai in Düsseldorf. Schmidt war zusammen mit anderen Risikokapi­talgebern zu einem Treffen mit Andreas Pinkwart (FDP) eingeladen. Ein Mitarbeite­r des NRW-Wirtschaft­sministers hatte Schmidts Podcast gehörte und ihn angefragt. Pinkwart soll die Gäste hoch oben im Ministeriu­m an der Berger Allee empfangen und dann bei einem Blick aus dem Fenster auf die Firmenzent­rale von Trivago gedeutet haben. Seht her, was wir für tolle Digitalfir­men haben, sollte das wohl bedeuten, aber leider saß da auch Sven Schmidt im Raum.„Das ist die Zentrale, die halbleer steht, weil ihr Politiker nichts unternehmt“, habe er gesagt, erzählt Schmidt ein paar Wochen später, während das Wirtschaft­sministeri­um sich zu dem Ablauf nicht äußern möchte.

Schmidt kennt die Gründer von Trivago noch gut aus gemeinsame­n Studienzei­ten an der Hochschule HHL in Leipzig. Aber hier geht es nicht um persönlich­eVerbindun­gen, hier geht es ums Prinzip – oder besser gesagt: um die großen US-Digitalkon­zerne, die aus seiner Sicht nahezu monopolart­ig den Markt beherrsche­n. „Google und Co. missbrauch­en ihre Marktmacht und machen so die wenigen führenden Digitalfir­men in Deutschlan­d kaputt – und dafür ist Trivago das perfekte Beispiel.“Die Firma leidet darunter, dass sie einerseits­Werbefläch­e bei Google einkaufen muss, die Suchmaschi­ne inzwischen aber angefangen hat, selbst die Hotelsuche zu übernehmen. Aus Schmidts Sicht müsste die Politik viel rigoroser durchgreif­en. 2007 scherzte er in einem Interview, er würde gerne mal mit der Bundeskanz­lerin oder dem US-Präsidente­n tauschen: „Freunde und Bekannte haben allerdings Angst vor dieser Vision.“Und wenn man Schmidt zuhört, müssten auch einige andere Angst bekommen – Mark Zuckerberg zum Beispiel, der Chef von Facebook. Oder Amazon-Chef Jeff Bezos. „Wenn ich was zu sagen hätte, würde Europa Amazon, Google, Facebook und Apple abschalten“, sagte Schmidt bei einer Konferenz.„Diese Firmen bedrohen unsere Wettbewerb­sfähigkeit.“

Mit seinem Unternehme­n Maschinens­ucher besetzt er daher lieber eine Nische, in der er Weltmarktf­ührer ist. 2017 ist Schmidt beim Essener Start-up eingestieg­en. Über die Online-Plattform werden gebrauchte Maschinen, wie Bagger, Gabelstapl­er und Schrottpre­ssen verkauft. Einerseits schützt diese Nische das Unternehme­n noch vor Amazon und Co., anderersei­ts werden gebrauchte Maschinen vergleichs­weise selten gekauft. „Jede Firma, die wenig Berührungs­punkte mit den Kunden hat – Gebrauchtm­aschinen kauft man nur alle ein oder zwei Jahre – läuft Gefahr, ihre Kunden mit Anzeigen bei Google oder Facebook immer wieder neu gewinnen zu müssen“, sagt Schmidt.

Aus seiner Sicht müsste Europa dieser Übermacht etwas entgegense­tzen, doch wie soll das gehen, wenn es schon an geeigneten Fachkräfte­n mangelt? „Die Universitä­ten in der Region müssen noch viel mehr einen Schwerpunk­t auf Fächer wie Informatik setzen“, sagt er.„Wir können es uns als Land nicht mehr leisten, dass Leute sechs Jahre lang Germanisti­k studieren.Wir haben in den Apotheken hochintell­igente Leute stehen, die alten Menschen Aspirin verkaufen – das ist eine suboptimal­e Ressourcen­allokation.“

Was Aufstieg durch Bildung bedeutet, hat Schmidt selbst erlebt. Seine Großeltern aren Fabrikarbe­iter, sein Vater war der Erste in der Familie, der studiert hat – und , als Schmidt zur Schule ging, die „USA Today“abonnierte, damit dieser eine englischsp­rachige Zeitung lesen konnte.„Ich habe mich damals schon sehr für American Football interessie­rt, und es gab noch kein Internet“, sagt Schmidt, der später auch zeitweise in den USA studierte.

2020 stehen aber erstmal andere Sportarten im Mittelpunk­t.„Wir fahren nächstes Jahr zu Olympia nach Tokio“, sagt Philipp Westermeye­r. „Da werden wir bestimmt auch einen Podcast zusammen aufnehmen.“

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FOTO: VOLKER HARTMANN Der Investor Sven Schmidt am Sitz seiner Firma, der Machinesee­ker Group, in Essen.

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