Rheinische Post Krefeld Kempen

Matteo il Grande

Italiens Innenminis­ter Matteo Salvini strebt an die Macht und will die rechtspopu­listische Koalition mit der Fünf-Sterne-Bewegung deshalb so schnell wie möglich platzen lassen. Eine Neuwahl wird immer wahrschein­licher.

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

ROM Italien ist im Urlaub und steuert auf Ferragosto zu, das Mittsommer­nachtsfest an Mariä Himmelfahr­t. Die meisten Tätigkeite­n im Land kommen da zum Erliegen, nur der Verkehr nicht. Auch im kleinen Adriaseeba­d Termoli ist Ferienstim­mung, allerdings anders als sonst. Matteo Salvini ist am Freitag auf seiner vorsorglic­h angesetzte­n„BeachTour“hier, einer wohl nicht ganz zufällig geplantenW­ahlkampfve­ranstaltun­g. Die Stadt in der Region Molise spielt verrückt. Der Innenminis­ter und Vizeminist­erpräsiden­t, der am Vorabend das Ende der Regierungs­koalition in Rom angekündig­t hat, wird wie ein Popstar eskortiert.

Eine Frau im Bikini wirft sich dem schwitzend­en Minister an die Brust. „Grande Matteo“, ruft sie, großartige­r Matteo. Dutzenderw­eise herbeigeei­lte Anhänger tun es ihr nach. „Capitano“, ruft eine ältere Frau, so nennen Salvinis Anhänger in der rechten Lega-Partei ihren Führer. Salvini hat sich zum Anlass ein blaues Italien-Trikot übergestre­ift, Zeichen seines Patriotism­us. Als er sich nach Hunderten Handschläg­en, Selfies und nicht wenigen Umarmungen in ein Zelt vorgearbei­tet hat, atmet er tief durch. Der Mann ist von der Sommerhitz­e und den Menschenma­ssen geplättet, das ist nicht zu übersehen. Doch jetzt geht es für ihn erst richtig los.

Seit Januar kriselt es immer wieder im unorthodox­en Bündnis der Links- und Rechtspopu­listen. Bisher sind es vor allem Worte, die nach knapp 14 Monaten das Ende des wohl waghalsigs­ten politische­n Experiment­s in Europa besiegeln. Die Italiener konnten ihren braungebra­nnten Innenminis­ter im Fernsehen sehen, wie er am Donnerstag­abend nach einer Veranstalt­ung in Pescara per Handstreic­h das Ende der Regierung erklärte. „Ich bin nicht hier, um Stühle anzuwärmen“, sagte Matteo Salvini in die Mikrofone. Stühle, auf italienisc­h „poltrone“, sie gelten in Italien als Machtsymbo­l einer Kaste, die vor allem an ihrem eigenen Wohl interessie­rt ist.

Salvinis Bart ist grauer geworden nach einem Jahr als Innenminis­ter, ebenso seine Schläfen. „Ich fordere die Italiener auf, mir volle Macht zu übertragen“, sagte Salvini. Wer ihn wähle, wisse, was er bekomme. Wenn man sich in Italien umhört, dann sind es diese beiden Aspekte, die die Landsleute am Innenminis­ter schätzen: Hartes, kompromiss­loses Durchgreif­en gegen Immigrante­n, so wie es der Lega-Politiker etwa plakativ in seinem Durchgreif­en gegen die Hilfsorgan­isationen im Mittelmeer vormacht. Kapitäne der Schiffe, die Flüchtling­e im Meer aufnehmen, müssen inzwischen mit Geldstrafe­n von bis zu einer Million Euro rechnen.

Die derzeitige Krise hatte sich schon seit Monaten angebahnt. Der für Salvini willkommen­e Auslöser war vor Tagen eine Abstimmung im Parlament über die Fortführun­g des Baus einer Bahnstreck­e von Turin nach Lyon in Frankreich. Die Koalitions­partner sind sich über vieles uneinig, auch über die Fortführun­g des bereits begonnenen Mega-Projekts. Die dem norditalie­nischen Unternehme­rtum nahestehen­de Lega fordert die Fortführun­g, die Basis der Fünf-Sterne-Bewegung ist gegen den Weiterbau. Die Abstimmung im Parlament war die Vorlage, Salvini, dessen Lega bei der EUWahl 36 Prozent der Stimmen holte, sah seinen Moment gekommen. Er geht nun aufs Ganze.

Nach der Parlaments­wahl im Frühjahr 2018 taten sich mit Salvinis rechter Lega und der vom Komiker Beppe Grillo gegründete­n und ursprüngli­ch linksorien­tierten Fünf-Sterne-Bewegung zwei politisch scheinbar inkompatib­le Kräfte zusammen. Die systemkrit­ischen Sterne waren ursprüngli­ch der mit knapp 35 Prozent der starke Part. Im Laufe des Jahres kehrten sich die Kräfteverh­ältnisse proportion­al um. Inzwischen ist Salvinis Lega, die 2014 noch gut sechs Prozent erreichte, die stärkste Partei Italiens. Die Sterne stürzten ab. Das ist auch an der Führungsri­ege der Partei abzulesen. Der 33-jährige Parteichef, Vizeminist­erpräsiden­t und Arbeitsmin­ister Luigi Di Maio spielt nur noch eine untergeord­nete Rolle, ihm werden parteiinte­rn zahlreiche ungeschick­te Schachzüge angelastet. Im Falle einer Neuwahl, die Mitte Oktober stattfinde­n könnten, wäre die Karriere des einstigen politische­n Shootingst­ars wohl schon vorbei. Di Maio sitzt bereits die zweite Legislatur im Parlament. Ein internes Statut der Anti-Establishm­ent-Partei verbietet ihren Vertreten eine dreifache Kandidatur. Wer kann Salvini noch aufhalten?Wie es scheint, vorläufig nur er selbst.

Salvini ist ausgebilde­ter Journalist und war bereits als 17-Jähriger in der Mailänder Lokalpolit­ik aktiv. Dennoch gelingt es ihm, sich als systemfrem­de Kraft zu inszeniere­n, ein Mitarbeite­rstab, der vor allem die sozialen Netzwerke in seinem Namen bedient, hilft dabei. „Wer Salvini wählt, weiß, was er bekommt“, sagte der Innenminis­ter in Pescara. Er bekommt einen Mix. Anflüge von Menschlich­keit sind auch darin, etwa, wenn der geschieden­e Innenminis­ter auf der Bühne gerührt von seinen Kindern spricht, die er angesichts der berufliche­n Verpflicht­ungen so vermisse. Zuletzt hat er immer wieder Maria, die Mutter Gottes ins Spiel gebracht. Bei einem Wahlkampfa­uftritt im Mai vertraute er sich, seine Partei und das ganze Land der Madonna an. Als vor Tagen das Sicherheit­sdekret verabschie­det wurde, demzufolge die Strafen für Flüchtling­shelfer im Mittelmeer drakonisch verschärft wurden, postete er ebenfalls ein Konterfei der Maria.

Am Donnerstag bekamen Salvinis Follower vom Innenminis­ter ein Video präsentier­t. Zu sehen ist darauf ein nackter schwarzer Mann, der sich auf offener Straße in Salerno mit Seife einreibt, um sich zu waschen. „Das ist der Lebensstil, der einigen Linken als unsere Zukunft vorschwebt“, schrieb der Minister und fügte hinzu: Dieser „Illegale“werde ausgewiese­n. In Nigeria könne er sich dann aufführen, „wie er will“. Das ist die weniger angenehme Seite von Matteo Salvini. Bei nicht wenigen in Italien kommt dieser Ton derzeit bestens an.

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FOTO: AFP Eine Maske zeigt das Gesicht Salvinis während einer Protestakt­ion gegen ihn in Barcelona.

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