Rheinische Post Krefeld Kempen
Es war einmal ein Traditionsverein
Alemannia Aachen galt einst als das Team der Stunde in der Bundesliga. Inzwischen geht es nur noch ums Überleben.
AACHEN/LEVERKUSEN Es ist der 17. März 2007. Und selten zuvor hat es mehr Spaß gemacht, Fan von Alemannia Aachen zu sein. Soeben hat der Aufsteiger aus der Studentenstadt Bielefeld mit 2:0 besiegt, ist seit sechs Spielen ungeschlagen und belegt wenige Wochen vor dem Saisonende einen einstelligen Tabellenplatz. Im Angriff wirbeln Jan Schlaudraff und Vedad Ibisevic, dahinter wachsen Sascha Rösler, Matthias Lehmann und Cristian Fiel Spieltag für Spieltag über sich hinaus.WenigeWochen zuvor hatte das von Michael Frontzeck trainierte Team sogar den großen FC Bayern am Tivoli besiegt – und das nach dem Coup im Pokal bereits zum zweiten Mal in der Saison. Ein neues Stadion ist ebenfalls in Planung, und die Zukunft könnte kaum rosiger aussehen.Was die Anhänger der Alemannia zu dem Zeitpunkt noch nicht wissen: Ab jetzt geht es für ihren Klub nur noch bergab.
Aachen verliert sieben der letzten acht Bundesliga-Spiele und steigt als Vorletzter ab. Das für 50 Millionen Euro erbaute Stadion erweist sich in den Folgejahren als Millionengrab. 2012 stürzt der Deutsche Vizemeister von 1969 in die Drittklassigkeit ab. Dem sportlichen Niedergang folgt der finanzielle. Die Schulden vom Neubau des Tivoli kann der Klub nicht mehr ausreichend tilgen. Die Alemannia beantragt Insolvenz und muss als Letzter in die Regionalliga West.
Seitdem steckt Aachen wie einige weitere Traditionsvereine in der vierthöchsten Spielklasse fest. Es aus dieser hinauszuschaffen, gehört zu den wohl schwierigsten Aufgaben im deutschen Fußball. Statt München oder Dortmund leiden die Fans nun seit sechs Jahren in Partien gegen Klubs wie Lippstadt,Wiedenbrück undVelbert mit. Der Zuschauerschnitt ist auf rund 6000 gesunken – eine Menschenmenge, die im 32.960 Menschen fassenden Stadion kaum beeindrucken kann. 2015 wurde der neue Tivoli schließlich für den symbolischen Preis von einem Euro an die Stadt Aachen verkauft. Zwei Jahre später kam es zu einem zweiten Insolvenzverfahren.
Inzwischen haben die Schwarz-Gelben nahezu jeglichen Kredit bei Fans und Sponsoren verspielt. Ein Mäzen oder Investor wird von den traditionsbewussten Fans strikt abgelehnt. Aus dem eigenen Nachwuchs schaffen es nur noch selten Spieler, sich für die Regionalliga-Mannschaft zu empfehlen.Von einem Nachwuchsleistungszentrum am Standort Aachen verabschiedete sich der Klub bereits vor zwei Jahren. Talente schließen sich zumeist schon in frühen Jahren den umliegenden Bundesligisten aus Leverkusen und Gladbach an. Jüngstes Beispiel ist Kai Havertz, der schon mit elf Jahren aus Aachen zu Bayer 04 wechselte.
Der wohl prominenteste Alemanne sitzt derzeit auf der Trainerbank: Fuat Kilic. Der ehemalige Co-Trainer des MSV Duisburg, der mit den Zebras 2011 das Pokalfinale erreichte, leitet seit 2016 die Geschicke an der Krefelder Straße. Hin und wieder schafft es Kilic, mit seiner Mannschaft Euphorie in der Stadt zu entfachen. So wie im Mai dieses Jahres, als Aachen den Mittelrheinpokal gewann und sich damit zum ersten Mal seit 2012 für die Hauptrunde des DFB-Pokals qualifizierte.
In der trifft das Kilic-Team am Samstag (15.30 Uhr) auf den Champions-League-Teilnehmer Bayer 04 Leverkusen. Der hat vor dem Pflichtspielauftakt unter anderem den Pokalsieg als Saisonziel ausgegeben. „Es ist möglich, dass wir den Pokal gewinnen – dann dürfen wir uns nur nicht so Spiele erlauben wie zuletzt in Heidenheim“, sagte Sportgeschäftsführer Rudi Völler mit Blick auf das Achtelfinal-Aus in der Vorsaison.
In Aachen fiebert die Stadt dem Saisonhöhepunkt seit Wochen entgegen. Zumindest für 90 und vielleicht sogar 120 Minuten spielt Alemannia dann wieder im Konzert der Großen mit. So wie im März 2007.