Rheinische Post Krefeld Kempen

Es war einmal ein Traditions­verein

Alemannia Aachen galt einst als das Team der Stunde in der Bundesliga. Inzwischen geht es nur noch ums Überleben.

- VON SEBASTIAN BERGMANN

AACHEN/LEVERKUSEN Es ist der 17. März 2007. Und selten zuvor hat es mehr Spaß gemacht, Fan von Alemannia Aachen zu sein. Soeben hat der Aufsteiger aus der Studentens­tadt Bielefeld mit 2:0 besiegt, ist seit sechs Spielen ungeschlag­en und belegt wenige Wochen vor dem Saisonende einen einstellig­en Tabellenpl­atz. Im Angriff wirbeln Jan Schlaudraf­f und Vedad Ibisevic, dahinter wachsen Sascha Rösler, Matthias Lehmann und Cristian Fiel Spieltag für Spieltag über sich hinaus.WenigeWoch­en zuvor hatte das von Michael Frontzeck trainierte Team sogar den großen FC Bayern am Tivoli besiegt – und das nach dem Coup im Pokal bereits zum zweiten Mal in der Saison. Ein neues Stadion ist ebenfalls in Planung, und die Zukunft könnte kaum rosiger aussehen.Was die Anhänger der Alemannia zu dem Zeitpunkt noch nicht wissen: Ab jetzt geht es für ihren Klub nur noch bergab.

Aachen verliert sieben der letzten acht Bundesliga-Spiele und steigt als Vorletzter ab. Das für 50 Millionen Euro erbaute Stadion erweist sich in den Folgejahre­n als Millioneng­rab. 2012 stürzt der Deutsche Vizemeiste­r von 1969 in die Drittklass­igkeit ab. Dem sportliche­n Niedergang folgt der finanziell­e. Die Schulden vom Neubau des Tivoli kann der Klub nicht mehr ausreichen­d tilgen. Die Alemannia beantragt Insolvenz und muss als Letzter in die Regionalli­ga West.

Seitdem steckt Aachen wie einige weitere Traditions­vereine in der vierthöchs­ten Spielklass­e fest. Es aus dieser hinauszusc­haffen, gehört zu den wohl schwierigs­ten Aufgaben im deutschen Fußball. Statt München oder Dortmund leiden die Fans nun seit sechs Jahren in Partien gegen Klubs wie Lippstadt,Wiedenbrüc­k undVelbert mit. Der Zuschauers­chnitt ist auf rund 6000 gesunken – eine Menschenme­nge, die im 32.960 Menschen fassenden Stadion kaum beeindruck­en kann. 2015 wurde der neue Tivoli schließlic­h für den symbolisch­en Preis von einem Euro an die Stadt Aachen verkauft. Zwei Jahre später kam es zu einem zweiten Insolvenzv­erfahren.

Inzwischen haben die Schwarz-Gelben nahezu jeglichen Kredit bei Fans und Sponsoren verspielt. Ein Mäzen oder Investor wird von den traditions­bewussten Fans strikt abgelehnt. Aus dem eigenen Nachwuchs schaffen es nur noch selten Spieler, sich für die Regionalli­ga-Mannschaft zu empfehlen.Von einem Nachwuchsl­eistungsze­ntrum am Standort Aachen verabschie­dete sich der Klub bereits vor zwei Jahren. Talente schließen sich zumeist schon in frühen Jahren den umliegende­n Bundesligi­sten aus Leverkusen und Gladbach an. Jüngstes Beispiel ist Kai Havertz, der schon mit elf Jahren aus Aachen zu Bayer 04 wechselte.

Der wohl prominente­ste Alemanne sitzt derzeit auf der Trainerban­k: Fuat Kilic. Der ehemalige Co-Trainer des MSV Duisburg, der mit den Zebras 2011 das Pokalfinal­e erreichte, leitet seit 2016 die Geschicke an der Krefelder Straße. Hin und wieder schafft es Kilic, mit seiner Mannschaft Euphorie in der Stadt zu entfachen. So wie im Mai dieses Jahres, als Aachen den Mittelrhei­npokal gewann und sich damit zum ersten Mal seit 2012 für die Hauptrunde des DFB-Pokals qualifizie­rte.

In der trifft das Kilic-Team am Samstag (15.30 Uhr) auf den Champions-League-Teilnehmer Bayer 04 Leverkusen. Der hat vor dem Pflichtspi­elauftakt unter anderem den Pokalsieg als Saisonziel ausgegeben. „Es ist möglich, dass wir den Pokal gewinnen – dann dürfen wir uns nur nicht so Spiele erlauben wie zuletzt in Heidenheim“, sagte Sportgesch­äftsführer Rudi Völler mit Blick auf das Achtelfina­l-Aus in der Vorsaison.

In Aachen fiebert die Stadt dem Saisonhöhe­punkt seit Wochen entgegen. Zumindest für 90 und vielleicht sogar 120 Minuten spielt Alemannia dann wieder im Konzert der Großen mit. So wie im März 2007.

 ?? FOTO: IMAGO/KOLVENBACH ?? Gähnende Leere im neuen Tivoli: Das 2009 eröffnete Stadion fasst 32.960 Zuschauer. Zu den Heimspiele­n in der Regionalli­ga West kommen im Schnitt aber nur rund 6000. Die Pokalparti­e am Samstag gegen Bayer 04 Leverkusen ist ausverkauf­t.
FOTO: IMAGO/KOLVENBACH Gähnende Leere im neuen Tivoli: Das 2009 eröffnete Stadion fasst 32.960 Zuschauer. Zu den Heimspiele­n in der Regionalli­ga West kommen im Schnitt aber nur rund 6000. Die Pokalparti­e am Samstag gegen Bayer 04 Leverkusen ist ausverkauf­t.

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