Rheinische Post Krefeld Kempen
Innenministerium droht Sportverbänden
Im Kampf gegen sexuellen Missbrauch sind viele Verbände offenbar überfordert. Die Politik will nun Gelder streichen.
BERLIN Vor ein paarWochen hat eine Studie für Aufsehen im deutschen Sport gesorgt. Sexueller Missbrauch ist der Untersuchung zufolge ein weitgehend verdrängtes Problem von erschreckendem Ausmaß. Auf hochgerechnet rund 200.000 Betroffene beziffert eine noch unveröffentlichte Studie der Uniklinik Ulm hierzulande die Opfer. „Wir haben eine Bewusstseinsentwicklung nötig in diesem Bereich“, sagte der Ulmer Kinder- und Jugendpsychiater Jörg Fegert. Das sieht auch die Politik so. Das Bundesinnenministerium ist allerdings extrem unzufrieden mit den Präventionsmaßnahmen einigerVerbände und droht nun mit der Kürzung von Fördermitteln – wenn nicht mehr geschieht.
„Wenn ein Verband die von uns geforderten Maßnahmen zur Prävention bislang noch nicht umgesetzt hat, muss er sich per Eigenerklärung verpflichten, in einem bis 2021 laufenden Verfahren acht Schritte nachweislich eingeführt zu haben.Wir beabsichtigen, ihn anderenfalls von Fördermitteln des Bundesinnenministeriums auszuschließen“, sagte Staatssekretär Markus Kerber der Tageszeitung „Neues Deutschland“. Auf Anfrage unserer Redaktion teilte das Bundesinnenministerium (BMI) daraufhin mit, es gebe bei drei nichtolympischen Verbänden Nachholbedarf, bezüglich anderer Verbände befinde sich das BMI derzeit in der Klärung von Einzelfragen.
Für die besagte Studie waren rund 2500 Menschen zu ihren Erfahrungen mit sexuellem Missbrauch in Kindheit und Jugend befragt worden. Bereits vor drei Jahren hatte die Uniklinik 1800 Leistungssportler befragt. Mehr als ein Drittel berichtete, „sexuell übergriffige Dinge“erlebt zu haben. Fegert sagte: „Da waren wir schon entsetzt.Wenn man es sehr eng nimmt, haben drei Prozent sexuelle Übergriffe mit Penetration erlebt, schwerste Taten. Aber es kommt natürlich ein großes Feld von ungewollten Berührungen dazu.“
Eine Untersuchungskommission der Bundesregierung hatte im Mai auf die Problematik im Sport aufmerksam gemacht. Die Kommissionsvorsitzende Sabine Andresen kritisierte, dass Anhörungen sowie Berichte von Betroffenen und in Medien darauf hinwiesen, „dass es hier einer unabhängigen Aufarbeitung bedarf, die in den Strukturen des Freizeit- und Leistungssports bisher noch nicht ausreichend vorgesehen ist“.
Der Landesportbund NRW wollte die Vorwürfe, der organisierte Sport würde nicht ausreichend gegen sexuellen Missbrauch vorgehen, nicht gelten lassen. „Weil sexualisierte Gewalt leider überall und somit auch im Sport anzutreffen ist, hat sich der Landessportbund NRW seit mittlerweile über zwei Jahrzehnten erfolgreich auf die Fahnen geschrieben, unsere Vereine und Verbände in Fragen der Prävention sowie der angemessenen Handlungsmöglichkeiten beim Erkennen von Missbrauchsfällen zu beraten“, betonte LSB-Präsident Walter Schneeloch in einem Gespräch mit unserer Redaktion. „Die konkrete Unterstützung umfasst ein vielseitiges Aktionsprogramm mit Maßnahmen – vom Elternratgeber über regelmäßige Informationsveranstaltungen bis zur Qualifizierung von geeigneten Ansprechpersonen – immer mit dem klaren Ziel, dass wir uns als organisierter Sport für den notwendigen Schutz stark machen und dieses sensible Thema enttabuisieren. In erster Linie muss ein Klima von Achtsamkeit und Vertrauen aufgebaut werden, um möglichst jegliche Form von Grenzverletzungen vermeiden zu können.“
Das Innenministerium will konkrete Maßnahmen. Ansprechpartner für das Thema benennen. Erweiterte Führungszeugnisse der Mitarbeiter einholen. Schulen. „Keiner kann nachher sagen, wir haben uns mit dem Thema nie befassen können“, sagt Kerber.„Das muss auf allen Ebenen im Sport stattfinden. Ansonsten können wir eine Förderung nicht aufrechterhalten.“