Rheinische Post Krefeld Kempen
La Traviata als Instant-Version
Schon mehr als eine halbe Stunde vor Beginn war der Platz rund um den Schwanenmarktbrunnen gut besucht. Mehrere hundert Opernfreunde waren gekommen, um „La Traviata“unter freiem Himmel zu erleben. Die komprimierte Fassung des Vereins Music to go kam nicht
Zwei Vokabeln reichen völlig aus, um eine italienische Oper zu verstehen: amore (Liebe) und no mai (niemals). Die große Liebe und ihre Unmöglichkeit – mehr brauchte ein großer Komponist wie GiuseppeVerdi nicht, um drei Stunden lang das Schicksal aufs Klangschönste zuschlagen zu lassen. DerVerein Music to go ist auch in Krefeld inzwischen hinlänglich dafür bekannt, dass er Meisterwerke der Musikgeschichte so aufbereitet, dass die Kenner alles finden, was sie schätzen, und die weniger Opernerfahrenen einen prima Einblick bekommen.
So ist der Platz rund um den Schwanenbrunnen schon lange vor der Ouvertüre voller Menschen. Ein bisschen fühlt es sich so an wie in den großen Open-Air-Arenen, als bei den bekannten Arien das Publikum mitsummt. Désirée Brodka, Initiatorin der Freiluft-Aufführung, Sängerin und Moderatorin, klärt die Zuschauer über die wichtigsten italienischen Formulierungen auf und ermuntert sie, die Augen zu schließen und leise mitzusingen.
Die Augen schließt natürlich niemand, denn das weiße, strassbesetzte Ballkleid, in dem Brodka die Titelpartie der Violetta gibt, funkelt sogar noch unter dem verhangenen Himmel. Charmant führt die Sängerin ins Paris des 19. Jahrhunderts, wo Violetta von zahlreichen Verehrern der feinen Gesellschaft umgeben ist. Keine gute Voraussetzung für die wahre Liebe. Als sie Alfredo Germont (Carlos Moreno Pelizari) begegnet, spricht dessen Vater (Agris Hartmanis) ein Machtwort. Er bedrängt Violetta, seinen Sohn zu verlassen, da eine Verbindung zwischen den beiden die geplante Hochzeit seiner Tochter unmöglich mache.
Auf die Konflikte und Arien der drei Hauptfiguren ist die „Oper im Espresso-Format“, wie Brodka die Reihe nennt, zusammengeschnitten. Raphael D. Thöne hat Verdis Musik für drei Opernsänger und Streichquartett arrangiert. Und die Instant-Version verfehlt ihre Wirkung nicht. An die üppige Pracht und den Bombast eines vollen Orchesters kommt die Freiluft-Version nicht heran. Aber das muss sie auch nicht.„Die sexy komponierte Musik vonVerdi“, so Brodka, und die Innigkeit des Spiels haben ihre Qualität. Kein Orchestergraben trennt das Publikum von den Sängern, keine Bühne bringt die Handlung auf Distanz. Alle sitzen nah am Geschehen, erleben, wie hinter der kleinen Kulisse die Sänger mal einen skeptischen Blick in den Himmel schicken, der sich immer grauer einfärbt, oder die Partitur verfolgen, um ihren Auftritt nicht zu verpassen. Denn es gibt auch keinen Dirigenten.
Die Qualität der Stimmen, die ohne Verstärker den ganzen Platz füllen, gefällt. Brodkas klarer Sopran leuchtet. Selbst als Violetta von der Tuberkulose gezeichnet auf dem Sterbebett liegt, singt sie voller Kraft. Stimmlich passt sie perfekt zu Carlos Moreno Pelizaris Tenorlage, die in der Mitte satt und in den Höhen noch rund und voll ist. Bass-Bari
ton Hartmanis steht in Nichts nach. Auch das Quartett ist minutiös eingespielt. Die Violinistinnen Katharina Storck und Carolin Cheng, Maria Zemlicka (Viola) und Dan Zemlicka (Cello) präsentieren Perlen des Opernrepertoires.
Da reicht als Bühnenbild eine blumenbezogene Sitzbank und ein Tischchen für die wenigen Requisiten: Champagnergläser, Briefpapier und Feder.