Rheinische Post Krefeld Kempen
„Wir müssen uns stärker vor Ort einmischen“
Der Hauptgeschäftsführer der IHK Mittlerer Niederrhein über geplante Aktionen im Kommunalwahlkampf und neue Analysen.
In weniger als zwölf Wochen ist der 31. Oktober, bis zu dem Boris Johnson Großbritannien aus der EU führen will – zur Not auch ohne Abkommen. Wie sehr schlägt der drohende Brexit auf die Wirtschaft im Kreis Viersen durch?
In unserem IHK-Bezirk ist die Betroffenheit größer als woanders, weil wir eine sehr stark exportorientierte Industrie haben. Sowohl der drohende Brexit als auch die Handelsauseinandersetzungen zwischen den USA und China haben direkte Auswirkungen auf die Unternehmen am Niederrhein. Die Erwartungen der Unternehmen für die kommenden Monate haben sich angesichts der unsicheren wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen weiter eingetrübt. In allen Branchen sind die Erwartungen verhaltener als noch zu Jahresbeginn. Die Daten weisen darauf hin, dass mit hohen Wachstumsraten im Jahr 2019 nicht zu rechnen ist. Der IHK-Konjunkturklimaindex, der Lage und Erwartungen zusammenfasst, liegt auf einem derart niedrigen Niveau wie seit sechs Jahren nicht mehr. Das macht uns Sorgen.
Nun liegt der Schlüssel zur Lösung dieser Probleme nicht im Kreis Viersen. Wie wollen Sie reagieren?
Es gibt eine Reihe von Stellschrauben, die auch regional und vor Ort besser justiert werden können. Dazu werden wir uns als Vertreter der Wirtschaft noch stärker vor Ort einbringen. Wir werden nach den Sommerferien die 20.000 Betriebe im Kreis Viersen bitten, uns ihre Wünsche und Erwartungen an ihre Stadt und Gemeinde sowie an die Kommunalpolitik zu formulieren. Die Rückmeldungen wollen wir aufbereiten und Anfang 2020 in unseren Ausschüssen eingehend behandeln. Im Juni 2020 werden wir in der Vollversammlung die Erwartungen zu jeder einzelnen Stadt und Gemeinde hier im KreisViersen formulieren. Das werden wir in den Kommunalwahlkampf einspeisen; dann können die Parteien und die Spitzenkandidaten ihr wirtschaftspolitisches Profil erläutern.
So viel Lobbyarbeit von der IHK zur Wirtschaft gab’s im Kommunalwahlkampf 2009 nicht - dabei war damals die wirtschaftliche Lage noch deutlich düsterer als heute. Sorgt Sie, dass das Thema Klimawandel das Thema Wirtschaft in der öffentlichen Wahrnehmung im Kommunalwahlkampf überlagern könnte?
Nein, auch in dem Bereich sind wir ja seit Jahren aktiv. Im Rahmen der Mittelstandsin„Die wirtschaftliche Lage bereitet uns Sorgen. Doch es gibt eine Reihe von Stellschrauben, die regional und lokal besser justiert werden können“
Jürgen Steinmetz itiative Energiewende und Klimaschutz bilden wir Auszubildende zu Energie-Scouts weiter. Oder arbeiten aktuell an „City Hubs“– dabei geht’s um die letzte Meile der Paketzustellung, die idealerweise ohne Emissionen und Verkehrsbehinderungen auskommt. Nun bin ich erst seit 2015 im Amt, aber wir haben erkannt, dass wir unsere Verbesserungsvorschläge und Forderungen möglichst gemeindescharf formulieren müssen, damit sie Wirkung entfalten. Aus dem Grund beispielsweise haben wir die Erarbeitung unserer IHK-Standortanalysen verstetigt; die erscheinen jetzt für jede Kommune alle fünf Jahre – die nächste am 7. November für die Stadt Willich. Bisher sind in einzelnen der 19 Kommunen im IHK-Bezirk auch schon mal sieben, acht oder neun Jahre vergangen, bis die Analysen aktualisiert wurden; da fehlte es uns hier und da an Positionen oder guten Einschätzungen.
Können Sie konkrete Bereiche nennen, in denen die Kommunen im Kreis Viersen die Bedingungen für
samtfläche Gewerbe- und Industrieflächen. Der Durchschnitt in unserem IHK-Bezirk liegt bei 3,4 Prozent. Da sehe ich noch Potenzial. Was ich aber auch glaube: Eine Senkung der Gewerbesteuer um fünf oder zehn Punkte wäre ein starkes Signal – und könnte durchaus zur Überkompensierung, also zu Mehreinnahmen führen.
Welche Stellschrauben sehen Sie noch, neben der Gewerbesteuer?
Wir brauchen eine schnellere Umsetzung der Gewerbeflächen, die wir im vergangenen Jahr mit dem Regionalplan verabschiedet haben. Da geht mir manches auch nicht zügig genug. Außerdem haben wir kürzlich die Wirtschaftsfreundlichkeit der 19 Kommunen in unserem IHK-Bezirk untersucht.
Wer hat gewonnen?
Das Ranking verrate ich jetzt nicht. Nur so viel: Es gibt Unterschiede, und bei allen Städten und Gemeinden gibt’s noch Luft nach oben. Wenn wir uns auf bestimmte Leistungsversprechen verständigen könnten, die einen Mehrwert für Unternehmen darstellen, wäre schon viel für den wirtschaftsfreundlichen Niederrhein gewonnen.
Welche Leistungsversprechen schweben Ihnen da vor?
Zum Beispiel die Erteilung von Baugenehmigungen innerhalb eines bestimmten Zeitraums. Die Dauer von Plan- und Genehmigungsverfahren ist ein von den Unternehmen vielfach kritisierter Bereich. Oder nehmen wir ein anderes Beispiel: die Bezahlung von Rechnungen, wenn die Kommune Auftraggeber ist. Oft warten die Firmen wochen- oder gar monatelang auf ihr Geld. Ich möchte mich dafür einsetzen, dass man sich da auf bestimmte Fristen verständigt. Das muss am Ende so ambitioniert sein, dass die Unternehmen das als echten Mehrwert begreifen – aber es muss natürlich auch umsetzbar sein.
Das neue Ausbildungsjahr ist gerade gestartet. Wie beurteilen Sie aus Sicht der IHK den Ausbildungsmarkt im Kreis Viersen?
Wir liegen im Plan. Die Anzahl der eingetragenen Ausbildungsverhältnisse bewegt sich auf Vorjahresniveau. Gleichwohl gibt es noch viele freie Lehrstellen. Die duale Ausbildung ist ein idealer Einstieg ins Berufsleben und bietet viele Karrieremöglichkeiten. In unserer Lehrstellenbörse, aber auch in der Ausbildungsplatzbörse der Agentur für Arbeit kann man sehen, wo auch jetzt noch Lehrstellen frei sind. Mein Appell an alle, die noch suchen: Wendet euch an unsere Ausbildungsberater oder die der Agentur für Arbeit – da gibt es noch viele Möglichkeiten.
Bei der IHK-Standortanalyse der Stadt Viersen schnitten die Berufskollegs in der Bewertung der Unternehmen nicht besonders gut ab. Da gab’s ja die Überlegung, sich noch einmal zusammenzusetzen und zu schauen, was man wie verbessern kann. Hat da schon was stattgefunden?
Die Berufsschulen sind für uns ein enorm wichtiges Thema – weil das eine der vielen Stellschrauben ist, wo man konkret vor Ort etwas verbessern kann. Wir haben eine umfassende Bestandsaufnahme gemacht und werden voraussichtlich Ende Oktober die Studie zu den Berufsschulen vorstellen. Ich bin gespannt und freue mich darauf.