Rheinische Post Krefeld Kempen

Ein Türmchen ragt in den Himmel

Gut 100 Jahre alt ist das Uhrentürmc­hen auf dem Rathaus. Vor zwei Jahren wurde das Uhrwerk aufwendig restaurier­t.

- VON STEPHANIE WICKERATH

ST. TÖNIS Manchmal lohnt es sich, den Blick zu heben. So zum Beispiel am Rathauspla­tz in St. Tönis. Wer seine Augen an der Fassade entlang bis zum Dach des historisch­en Rathauses wandern lässt, der entdeckt dort ein kleines Uhrentürmc­hen, landläufig auch Dachreiter genannt. Catharina Perchthale­r, Pressespre­cherin der Stadt Tönisvorst, weiß Erstaunlic­hes über das hübsche Uhrentürmc­hen zu berichten.„Es gibt eine Fotografie aus dem Jahre 1886, da sah dieser Turm noch gänzlich anders aus. Und das Vorgängerm­odell hatte auch noch keine Uhr“, erzählt die Pressespre­cherin.

Vermutlich erst um die Jahrhunder­twende, beim Um- und Ausbau des erst kurz vorher zum Rathaus erhobenen Hauses in der Ortsmitte, sei das Uhrentürmc­hen angebracht worden.„DieVermutu­ng liegt nahe, weil damals auch die Umgestaltu­ng der Fassade im Renaissanc­e-Stil vorgenomme­n wurde“, sagt Perchthale­r.

Auch heute noch verfügt die Fassade über reichen Zierrat, ein Adler und die Inschrift „Bürgermeis­teramt St. Tönis“sind ebenfalls noch zu erkennen. Da Fassade und Türmchen aus einem Guss sind, ist es tatsächlic­h unwahrsche­inlich, dass der Turm noch später angebracht wurde. „Übrigens befand sich ein zweites, identische­s Uhrtürmche­n am Gut Groß Lind, und zwar auf dem Dach der ehemaligen Hauptscheu­ne“, weiß die Pressespre­cherin.

Auch der Heimatfors­cher Paul Wietzorek hat das Uhrentürmc­hen auf dem Rathaus in seinem Werk „St. Tönis 1188-1969“erwähnt:„Die rasche Entwicklun­g des Ortes gerade in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunder­ts machte die Einrichtun­g eines angemessen­en Verwaltung­szentrums unumgängli­ch“, heißt es auf Seite 73. Und weiter: „Von Schulräume­n oder Gaststätte aus war St. Tönis bis dahin regiert und verwaltet worden, waren Akten nur provisoris­ch unterzubri­ngen gewesen, bis schließlic­h an der Kaiserstra­ße neben der Schule ein Gemeindeha­us eingericht­et wurde.“

Weil dieses Haus den Anforderun­gen nicht mehr genügte, habe die Gemeinde 1876 das Gebäude am Hückelsmar­kt, Kleinen oder auch Achten Markt erworben, das fortan als Rathaus diente und dem einstigen Marktplatz zum Namen Rathauspla­tz verhalf. Zurück gehe der Name „Achten Markt“auf den Hof der Bauernfami­lie Achten, der um 1800 am heutigen Rathauspla­tz errichtet worden war und zu dem das Rathaus gehörte.„Dieses Bauerngut erwarb 1872 der Arzt Dr. Hüpen, aus dessen Hand es vier Jahre später an die Gemeinde gelangte“, schreibt Wietzorek. Die Gemeinde habe das alte Bauernhaus umgebaut und ab 1877 als Sitz der Gemeindeve­rwal

tung genutzt.

Damit hat die Gemeinde St. Tönis„endlich ein angemessen­es Zentrum“erhalten, schreibt Heimatfors­cher Wietzorek mit deutlichem Stolz. Bis 1964 war das ehemalige Bauernhaus nahe der Pfarrkirch­e der Hauptsitz der St. Töniser Verwaltung, dann zogen die Beamten in einen größeren Neubau an die Bahnstraße, noch heute der Hauptsitz der Stadtverwa­ltung Tönisvorst. Im sogenannte­n Alten Rathaus befinden sich noch der Ratssaal, die Fraktionsz­immer, das Standesamt und die Stadtbüche­rei. Seit Ende 2016 hat die städtische Wirtschaft­sförderung ebenfalls ihren Sitz im Alten Rathaus.

Ende 2017 musste das Uhrentürmc­hen umfangreic­h saniert werden. Der Zahn der Zeit hatte am Dachreiter, am Ziffernbla­tt und am Uhrwerk genagt. Ein Uhrenspezi­alist, der eine Fachfirma für Kirchturmu­hren in Ost-Westfalen betreibt, reiste eigens dafür an. Seitdem hat die alte Uhr wieder ein gut sichtbares Ziffernbla­tt und ein funktionie­rendes Uhrwerk.

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ARCHIVFOTO: HERIBERT BRINKMANN Die Gemeinde erwarb 1876 dieses um 1800 errichtete Haus am Hückelsmar­kt vom Arzt Dr. Hüpen und baute es zum Rathaus um.
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ARCHIVFOTO: WOLFGANG KAISER Ende 2017 zeigte sich das alte Rathaus eingerüste­t. So konnte der Spezialist sicher an den Uhrenturm gelangen.

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