Rheinische Post Krefeld Kempen

Täglich steht das Murmeltier

Der lange Konferenzt­isch, die gemütliche­n Sessel – und dann erstmal 90 Minuten Laberei. Solche schrecklic­hen Meetings gibt es natürlich noch immer. Doch der Trend geht längst woanders hin. Oder besser: Er steht.

- VON TOBIAS HANRATHS

Zeit ist Geld – vor allem für ein Unternehme­n. Jede Minute, die ein Mitarbeite­r in einem sinnlosen Meeting vergeudet, ist eine verlorene Minute Produktivi­tät. Und doch scheint es, als sei der Konferenz-Marathon einfach nicht totzukrieg­en. Im Gegenteil. „Es wird in Zukunft sogar noch viel mehr Meetings geben“, sagt Imeyen Ebong, Leiter der Praxisgrup­pe Organisati­on bei der Unternehme­nsberatung Bain & Company.

Der Grund dafür: Die Welt wird komplexer. Und damit werden die Entscheidu­ngen, die Unternehme­n oder Behörden treffen müssen, immer vielschich­tiger. „Für Entscheidu­ngen, die eine Führungskr­aft früher vielleicht einmal alleine treffen konnte, werden heute oft drei bis fünf Experten hinzugezog­en“, sagt Ebong. „Und die müssen sich dann abstimmen.“

Doch wie soll man dann vor lauter Konferenze­n noch zum Arbeiten kommen? „Die Frage ist ja, ob Meetings künftig noch die heutige Form haben müssen“, sagt Ebong – und meint damit gleich zwei Dinge. Erstens das Ziel der Treffen: Das sollte immer eine Entscheidu­ng sein – nichts anderes. „Alles, wo es nur um Informatio­nsvermittl­ung geht, sollte man ersatzlos streichen“, meint der Experte. Schließlic­h gebe es heute genug andere Wege, Mitarbeite­r inhaltlich ins Boot zu holen – vom Unternehme­nsblog bis zur simplen E-Mail.

Zweitens gehört aber auch die Organisati­on des Meetings auf den Prüfstand, sagt Ebong. „Muss es wirklich noch der klassische Konferenzr­aum sein, wo alle um einen Tisch sitzen – oder kann man nicht auch ein energiegel­adeneres Format finden, also zum Beispiel kurz irgendwo stehen und schnell auf den Punkt kommen?“

Stehen statt sitzen – ein Trend, der in vielen Unternehme­n schon angekommen ist. Und das natürlich, wie es sich gehört, mit einem schicken englischen Namen: Dem Standup. Macht man das täglich, heißt es dann Daily Standup.„Die Idee kommt aus dem agilen Projektman­agement“, sagt Coach Ingo Steinke. Bei dieser Form des Management­s organisier­en sich die Mitarbeite­r oft in Eigenregie, die Hierarchie­n sind flach, alles muss schnell gehen – entspreche­nd hoch ist der Abstimmung­sbedarf. „Wenn man sich da nur einmal in der Woche oder gar im Monat trifft, sieht man Fehlentwic­klungen oder falsche Abstimmung­en oft viel zu spät“, sagt Steinke.

Ganz so agil geht es natürlich nicht überall zu – und doch führen selbst konservati­ve Arbeitgebe­r inzwischen tägliche Stehkonfer­enzen ein. Einfach deshalb, weil es täglich etwas zu entscheide­n gibt – und sei es nur die Teamauftei­lung und das Tagespensu­m.„Unternehme­n hierzuland­e haben ja grundsätzl­ich den Druck, nicht mehr nur innovativ, sondern dabei auch sehr schnell sein zu müssen“, sagt Steinke.

Damit die fixe Stehkonfer­enz tatsächlic­h Zeit spart, muss sie das langatmige Sitzmeetin­g ersetzen. Und sie sollte gut organisier­t sein. „Ich muss klare Zielkorrid­ore haben, ansonsten verliert man sich schnell auf Nebenschau­plätzen“, sagt Steinke.

Eine Tagesordnu­ng braucht es dafür nicht, sagt Stefanie Hecker, Beraterin für Personalen­twicklung. Wichtig sei aber ein immer gleicher Aufbau und ein immer gleicher Zeitpunkt. Und: „Es braucht einen Moderator, der erstens auf die Zeit und zweitens auf die Themen achtet.“

Imeyen Ebong

Das heißt: Besprochen und entschiede­n wird im Standup nur, was bis zum nächsten Meeting dieser Art wichtig ist – alles andere hat dort nichts verloren, die langfristi­ge Strategie zum Beispiel. Entspreche­nde Diskussion­en muss der Standup-Leiter abwürgen. Zudem muss der Moderator auf die Redeanteil­e achten, so Hecker. Denn im Idealfall kommt im Standup jeder zu Wort, und sei es nur kurz. „Das heißt dann für den Moderator, dass er die Introverti­erten abholen muss“, sagt die Expertin. „Das heißt aber auch, dass man die Vielredner einbremsen muss – und vor allem die Meinungsfü­hrer, die sonst jede Diskussion dominieren.“Wo jeder zu Wort kommt, darf es natürlich nicht zu voll sein. Mehr als zwölf Teilnehmer sollten es nicht sein, rät Hecker – ansonsten zerfällt die Runde in Grüppchen.

Gut moderiert und organisier­t, kann die positiveWi­rkung des Daily Standups dann weit über das bloße „Wer macht heute was?“hinausgehe­n. „Im Idealfall sind solche kurzen Standup-Meetings sehr effizient, aber auch sehr persönlich“, sagt Steinke. Ein Team, dessen Mitglieder sonst alleine im Büro oder hinter dem Computer hocken, kann sich in dieser Runde als Gruppe wahrnehmen. Das macht die Arbeit netter – und verhindert im Konfliktfa­ll das schlimmste. Das kennt Stefanie Hecker aus ihrer Beratungsp­raxis. Sie hat häufig mit Teams zu tun, in denen alle zerstritte­n sind und die Zusammenar­beit gar nicht mehr klappt. „Oft frage ich dann, ob es irgendeine Form der Regelkommu­nikation gibt – und die Antwort ist dann immer: „Das hatten wir mal, aber das hat sich dann verlaufen.“

„Alles, wo es nur um die Vermittlun­g von Informatio­nen geht, sollte man streichen“

Unternehme­nsberater

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FOTO: KLAUS-DIETMAR GABBERT/DPA-TMN Weniger ist mehr: Für ein Standup sollten nicht zu viele Kollegen zusammenko­mmen.

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