Rheinische Post Krefeld Kempen

Ein Land versinkt in Altkleider­n

Alte Kleider aussortier­en und dabei etwas Gutes tun – aus diesen Gründen gehen die meisten zum Altkleider-Container. Doch in NRW quellen sie über. Ein Grund dafür ist Kriminalit­ät – aber längst nicht der einzige.

- VON SUSANNE HAMANN

DÜSSELDORF Ein Haufen bunter Kleider liegt zerknüllt im nassen Gras. Ein zweiter liegt im Dreck direkt am Altkleider-Container. Ein pinkes T-Shirt hängt schlaff am Griff, und eine Decke ragt halb aus der Klappe heraus. Wer in Düsseldorf an Altkleider-Containern vorbei geht, hat gute Chancen, so ein Chaos zu sehen. Seit Monaten quellen an vielen Orten in der Stadt die Container über. Anrufe bei den Abfallbetr­ieben in anderen Städten ergeben Ähnliches: In Duisburg musste die Anzahl der Container seit 2015 von 245 auf 427 erhöht werden. In Köln führen die wachsenden Altkleider­mengen seit etwa einem Jahr regelmäßig zu Diskussion­en, sagt die AWB. Inzwischen hat man untersucht, an welchen Standorten die Container besonders genutzt werden und die Abfuhren dort erhöht. Auch in Wuppertal landen immer mehr Kleider in der Sammlung. Die Nachfragen ergeben ein eindeutige­s Bild: NRW versinkt in Altkleider­n. Wie kann das sein?

„Allein in diesem Jahr wurden bei den Altkleider-Containern mehr als 100 erfolgreic­he Aufbrüche festgestel­lt“, sagt Ralf Böhme, Sprecher der Awista. Die Gesellscha­ft für Abfallwirt­schaft hat mit 600 Stück die mit Abstand meisten Container in der Stadt.

Übersehen lässt sich das Chaos rund um die Container nicht. „Es macht mich wirklich wütend, da will man mit seinen Kleidern etwas Gutes tun, und am Ende landet alles im Dreck“, sagt ein Anwohner. „Wozu macht man sich dann die Mühe, alles zu waschen und extra dorthin zu bringen?“

Kriminalit­ät ist jedoch längst nicht das einzige Problem und vor allem nicht der Hauptgrund für die Vermüllung der Containerf­lächen. „Seit dem Frühjahr 2018 sind die Mengen an Altkleider­n bundesweit explodiert“, sagt Thomas Ahlmann vom Dachverban­d Fairwertun­g, einem Zusammensc­hluss von über 130 gemeinnütz­igen Altkleider-Sammelorga­nisationen. Früher habe es gereicht, einen Container einmal pro Woche zu leeren. Inzwischen seien zwei Leerungen pro Woche oft zu wenig. Die sogenannte „Fast Fashion“, schnelle Mode, geht zu Lasten des Systems. Das billige Polyesterk­leidchen für 5,99 Euro ist von zu schlechter Qualität für Second Hand und hat null Saugkraft. Es kann also nicht mal zum Putzlumpen umgemodelt werden.

Früher brachte eine Modemarke pro Jahreszeit eine Kollektion heraus. Heute ist die Taktung deutlich kürzer. Kleidung ist zum Wegwerf-Artikel geworden. Am Ende landet alles im Altkleider­sack. Awista und das Deutsche Rote Kreuz (DRK) in Düsseldorf scheinen sich auf das Phänomen noch nicht eingestell­t zu haben. „Grundsätzl­ich werden die DRK-Container je nach Aufkommen ein- bis zweimal in der Woche geleert. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass dieses Intervall ausreicht, damit die Container nicht überladen werden“, sagt eine Sprecherin. Der Einschätzu­ng von Experten entspricht das nicht.

Laut eines Greenpeace-Berichts hat sich der Textilmüll seit 1960 weltweit um 811 Prozent auf 16 Millionen Tonnen erhöht. Mehr denn je stellt sich die Frage, wohin mit den ganzen Klamotten? Pro Jahr fallen in Deutschlan­d eine Millionen Altkleider an, Tendenz steigend. Weniger als zehn Prozent gehen an soziale Zwecke. Der Rest wird vom Sortierer getrennt. Denn ob Awista, DRK oder ein kommerziel­ler Sammler die Kleider abholt, der Großteil wird an Verwerter verkauft. Das bedeutet, nicht die Kleider selbst sind die Spende, sondern ihrWert imWeiterve­rkauf. Mit den Einnahmen werden etwa soziale Projekte finanziert.

Gut erhaltene Stücke machten bisher etwa die Hälfte aller gesammelte­r Kleider aus.„Rund 50 Prozent der Altkleider ist allerdings schon jetzt auch von den Profi-Verwertern nicht zu gebrauchen“, sagt Ahlmann. Bestanden Jeans früher zu 100 Prozent aus Baumwolle, enthalten sie inzwischen zehn Prozent Elastan. Kaum

ein T-Shirt ist noch frei von Polyester, also von Plastikant­eilen. „Das macht das Downcyclin­g etwa zum Putzlappen oder zu Dämmmateri­al schwer.“Stark verdreckte Einzelteil­e machen zudem häufig ganze Säcke unbrauchba­r. Letztlich landen die gut erhaltenen Stücke in Afrika oder Osteuropa. Bislang genug, um das Recyclings­ystem zu finanziere­n. Doch der Anteil guter Ware sinkt, und „die Nachfrage dort ist extrem schwankend“, sagt Thomas Fischer vom Fachverban­d für Textilrecy­cling.

„Altkleider ist eines der letzten kostenlose­n Entsorgung­ssysteme. Aber auch Kleider haben einen Wert“, sagt Fischer. Mehr in Forschung und Entwicklun­g für wiederverw­endbare Textilien investiere­n, fordert Fairwertun­g. Und:„Dass die Kosten beim Kauf mitfinanzi­ert werden wie beim gelben Punkt.“

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FOTO: SUSANNE HAMANN Wie hier in Düsseldorf-Bilk sieht es im direkten Umfeld vieler Altkleider-Container aus.

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