Rheinische Post Krefeld Kempen
Ein Land versinkt in Altkleidern
Alte Kleider aussortieren und dabei etwas Gutes tun – aus diesen Gründen gehen die meisten zum Altkleider-Container. Doch in NRW quellen sie über. Ein Grund dafür ist Kriminalität – aber längst nicht der einzige.
DÜSSELDORF Ein Haufen bunter Kleider liegt zerknüllt im nassen Gras. Ein zweiter liegt im Dreck direkt am Altkleider-Container. Ein pinkes T-Shirt hängt schlaff am Griff, und eine Decke ragt halb aus der Klappe heraus. Wer in Düsseldorf an Altkleider-Containern vorbei geht, hat gute Chancen, so ein Chaos zu sehen. Seit Monaten quellen an vielen Orten in der Stadt die Container über. Anrufe bei den Abfallbetrieben in anderen Städten ergeben Ähnliches: In Duisburg musste die Anzahl der Container seit 2015 von 245 auf 427 erhöht werden. In Köln führen die wachsenden Altkleidermengen seit etwa einem Jahr regelmäßig zu Diskussionen, sagt die AWB. Inzwischen hat man untersucht, an welchen Standorten die Container besonders genutzt werden und die Abfuhren dort erhöht. Auch in Wuppertal landen immer mehr Kleider in der Sammlung. Die Nachfragen ergeben ein eindeutiges Bild: NRW versinkt in Altkleidern. Wie kann das sein?
„Allein in diesem Jahr wurden bei den Altkleider-Containern mehr als 100 erfolgreiche Aufbrüche festgestellt“, sagt Ralf Böhme, Sprecher der Awista. Die Gesellschaft für Abfallwirtschaft hat mit 600 Stück die mit Abstand meisten Container in der Stadt.
Übersehen lässt sich das Chaos rund um die Container nicht. „Es macht mich wirklich wütend, da will man mit seinen Kleidern etwas Gutes tun, und am Ende landet alles im Dreck“, sagt ein Anwohner. „Wozu macht man sich dann die Mühe, alles zu waschen und extra dorthin zu bringen?“
Kriminalität ist jedoch längst nicht das einzige Problem und vor allem nicht der Hauptgrund für die Vermüllung der Containerflächen. „Seit dem Frühjahr 2018 sind die Mengen an Altkleidern bundesweit explodiert“, sagt Thomas Ahlmann vom Dachverband Fairwertung, einem Zusammenschluss von über 130 gemeinnützigen Altkleider-Sammelorganisationen. Früher habe es gereicht, einen Container einmal pro Woche zu leeren. Inzwischen seien zwei Leerungen pro Woche oft zu wenig. Die sogenannte „Fast Fashion“, schnelle Mode, geht zu Lasten des Systems. Das billige Polyesterkleidchen für 5,99 Euro ist von zu schlechter Qualität für Second Hand und hat null Saugkraft. Es kann also nicht mal zum Putzlumpen umgemodelt werden.
Früher brachte eine Modemarke pro Jahreszeit eine Kollektion heraus. Heute ist die Taktung deutlich kürzer. Kleidung ist zum Wegwerf-Artikel geworden. Am Ende landet alles im Altkleidersack. Awista und das Deutsche Rote Kreuz (DRK) in Düsseldorf scheinen sich auf das Phänomen noch nicht eingestellt zu haben. „Grundsätzlich werden die DRK-Container je nach Aufkommen ein- bis zweimal in der Woche geleert. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass dieses Intervall ausreicht, damit die Container nicht überladen werden“, sagt eine Sprecherin. Der Einschätzung von Experten entspricht das nicht.
Laut eines Greenpeace-Berichts hat sich der Textilmüll seit 1960 weltweit um 811 Prozent auf 16 Millionen Tonnen erhöht. Mehr denn je stellt sich die Frage, wohin mit den ganzen Klamotten? Pro Jahr fallen in Deutschland eine Millionen Altkleider an, Tendenz steigend. Weniger als zehn Prozent gehen an soziale Zwecke. Der Rest wird vom Sortierer getrennt. Denn ob Awista, DRK oder ein kommerzieller Sammler die Kleider abholt, der Großteil wird an Verwerter verkauft. Das bedeutet, nicht die Kleider selbst sind die Spende, sondern ihrWert imWeiterverkauf. Mit den Einnahmen werden etwa soziale Projekte finanziert.
Gut erhaltene Stücke machten bisher etwa die Hälfte aller gesammelter Kleider aus.„Rund 50 Prozent der Altkleider ist allerdings schon jetzt auch von den Profi-Verwertern nicht zu gebrauchen“, sagt Ahlmann. Bestanden Jeans früher zu 100 Prozent aus Baumwolle, enthalten sie inzwischen zehn Prozent Elastan. Kaum
ein T-Shirt ist noch frei von Polyester, also von Plastikanteilen. „Das macht das Downcycling etwa zum Putzlappen oder zu Dämmmaterial schwer.“Stark verdreckte Einzelteile machen zudem häufig ganze Säcke unbrauchbar. Letztlich landen die gut erhaltenen Stücke in Afrika oder Osteuropa. Bislang genug, um das Recyclingsystem zu finanzieren. Doch der Anteil guter Ware sinkt, und „die Nachfrage dort ist extrem schwankend“, sagt Thomas Fischer vom Fachverband für Textilrecycling.
„Altkleider ist eines der letzten kostenlosen Entsorgungssysteme. Aber auch Kleider haben einen Wert“, sagt Fischer. Mehr in Forschung und Entwicklung für wiederverwendbare Textilien investieren, fordert Fairwertung. Und:„Dass die Kosten beim Kauf mitfinanziert werden wie beim gelben Punkt.“