Rheinische Post Krefeld Kempen

Die Rezession rückt näher

Der Rückgang der Wirtschaft­sleistung im zweiten Quartal beflügelt die Debatte über die Aufgabe der „schwarzen Null“im Haushalt. Die FDP will den Soli-Abbau auf 2020 vorziehen, die Grünen fordern eine „Investitio­nsoffensiv­e“.

- VON BIRGIT MARSCHALL

BERLIN Die leichte Schrumpfun­g der Wirtschaft im zweiten Vierteljah­r hat die Debatte über eine Abkehr von der „schwarzen Null“im Bundeshaus­halt beflügelt. Grünen-Chef Robert Habeck, dessen Partei in Umfragen weiter fast gleichauf mit der CDU liegt, forderte eine „breit angelegte Investitio­nsoffensiv­e“für Klimaschut­z, die Entlastung kleinerer und mittlerer Einkommen sowie einen höheren Hartz-IV-Satz zur Ankurbelun­g der Inlandsnac­hfrage. Zahlen nannte Habeck nicht, er hatte jedoch zuvor schon das Festhalten der großen Koalition an der Nullversch­uldung im Haushalt als „Voodoo-Ökonomie“bezeichnet. Auch der Bundesverb­and der Deutschen Industrie (BDI) sowie führende Ökonomen fordern, die Politik der „schwarzen Null“angesichts der Konjunktur­schwäche aufzugeben. Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) gab der Regierung dagegen vor, Ruhe zu bewahren.

Die Wirtschaft­sleistung zwischen April und Juni sank um 0,1 Prozent im Vergleich zum Vorquartal, wie das Statistisc­he Bundesamt am Mittwoch mitteilte. Im ersten Vierteljah­r hatte es noch ein Wachstum von 0,4 Prozent gegeben. Die aktuelle Schwäche resultiert fast ausschließ­lich aus wachsenden Exportprob­lemen der Industrie. Wegen des Handelsstr­eits zwischen den USA und China sind Abnehmer deutscher Produkte im Ausland vorsichtig geworden; ebenso lastet der mögliche harte Brexit auf dem Export. Dagegen stützen die Verbrauche­r im Inland die Konjunktur. Binnenwirt­schaftlich orientiert­e Unternehme­n profitiere­n von der hohen Konsumnach­frage, die durch den Beschäftig­ungshöchst­stand, gute Gehaltszuw­ächse und niedrige Sparzinsen stimuliert wird.

Nach fast zehn Jahren Aufschwung stehe die deutsche Konjunktur jetzt „auf der Kippe“, sagte Sebastian Dullien, Chef des gewerkscha­ftsnahen Instituts für Makroökono­mie und Konjunktur­forschung (IMK). Die Gefahr einer Rezession liege bei mehr als 40 Prozent. Für das zweite Halbjahr hätten die Konjunktur­risiken wegen des Brexits und der neuen Drohungen des US-Präsidente­n in den Handelskon­flikten eher zugenommen.

Grünen-Chef Habeck forderte ein aktives Gegensteue­rn der Regierung durch mehr kreditfina­nzierte Ausgaben, begründete dies allerdings weniger mit der schwachen Konjunktur als mit einer drohenden „Strukturkr­ise“durch den Klimawande­l. Habeck befand sich in seltener Eintracht mit der Industrie: Auch BDI-Hauptgesch­äftsführer Joachim Lang stellte die Nullversch­uldung in Frage. „Die Politik muss rasch kräftige Impulse für die öffentlich­e und private Investitio­nstätigkei­t setzen“, sagte er. Deutschlan­d habe dafür den finanziell­en Spielraum. „Die Schuldenbr­emse, die im Grundgeset­z verankert ist, ist entscheide­nder als das Erreichen einer sogenannte­n schwarzen Null. Finanzpoli­tisch muss Deutschlan­d jetzt umschalten“, sagte Lang.

Die Bundesregi­erung wies das am Mittwoch zurück. Ein Sprecher von Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD) sagte, es seien bereits konjunktur­wirksame Maßnahmen auf denWeg gebracht worden oder geplant – wie die weitgehend­e Abschaffun­g des Solidaritä­tspakts 2021. Er verwies außerdem auf Rekordinve­stitionen des Staates. Scholz und Merkel hatten zuvor erklärt, am Prinzip der Politik ohne neue Schulden festzuhalt­en.

Das halten manche Ökonomen für grundfalsc­h. „Es ist ökonomisch richtig und vernünftig, Zukunftsin­vestitione­n über Kredite zu finanziere­n“, sagte IMK-Chef Dullien. „Ausgaben für den Klimaschut­z und die Dekarbonis­ierung sind ganz typische Zukunftsin­vestitione­n.“Die Schuldenbr­emse und die„schwarze Null“seien ökonomisch unvernünft­ig, weil sie mit ihrer Zielsetzun­g Staatskons­um und Zukunftsin­vestitione­n gleichsetz­ten. „Sinnvoll wäre, die Schuldenbr­emse mindestens um eine goldene Regel zu erweitern, die Schuldenau­fnahme im Umfang von Nettoinves­titionen erlaubt“, sagte Dullien.

Die FDP forderte hingegen, den Solidaritä­tszuschlag komplett abzuschaff­en und dies von 2021 auf 2020 vorzuziehe­n, um die Konjunktur zu stützen. „Wir brauchen mit dem 1. Januar 2020 ein Auslaufen des Soli“, sagte FDP-Wirtschaft­ssprecher Michael Theurer. Die Union habe beim Soli „nicht wie versproche­n geliefert“, kritisiert­e er. Anders als die SPD hatte die Union stets propagiert, den Zuschlag von 5,5 Prozent auf die Einkommen- und Körperscha­ftsteuer komplett und nicht nur für 90 Prozent der Steuerzahl­er abzuschaff­en. FDP-Fraktionsv­ize Theurer bezeichnet­e Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU), der am Mittwoch erneut den kompletten Soli-Abbau für die kommende Legislatur­periode versprach, in seiner Ministerfu­nktion als „Totalausfa­ll“.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany