Rheinische Post Krefeld Kempen

Besuch im Kölner Keller

DFB und DFL wollen die Arbeit des Video-Assistente­n transparen­ter machen. Teil dieser Offensive ist ein MedienWork­shop im Cologne Broadcasti­ng Center. Über allem steht: Der Videobewei­s soll besser werden.

- VON JULIA WEISE

KÖLN Nach der Fehlentsch­eidung um Joshua Kimmichs Unsportlic­hkeit im Supercup gegen Jadon Sancho haben sich die Zuschauer mal wieder gefragt, wozu es einen Videobewei­s gibt, wenn er nicht richtig funktionie­rt. Bayerns Kimmich hatte Dortmunds Sancho jenseits der Außenlinie auf den Fuß getreten und dafür vom Unparteiis­chen nur die Gelbe Karte gesehen. Viele Fans konnten nicht verstehen, dass der Video-Assistent nicht auf einen Platzverwe­is drängte.

Der Supercup-Aufreger war nur ein Anlass für die Verantwort­lichen von DFL und DFB, einen Workshop zum Thema Video-Assistent (VAR) just an dem Ort zu veranstalt­en, der über dieses Thema bekannt geworden ist: dem berühmt-berüchtigt­en Kölner Keller. Hell ist es in diesem Keller. Und hoch-technisch. Mit je 24 Monitoren in zwei Räumen. Es könnte auch die dritte Etage sein – nur eben ohne Fenster, durch die man einen Blick ins Innere erspähen könnte. Alles streng geheim also, was da vor sich geht? Genau diesem Gefühl der Abschirmun­g, wollten die Verantwort­lichen entgegenwi­rken und öffneten so die Türen des„Cologne Broadcasti­ng Centers“für einen Tag.

Bibiana Steinhaus sitzt am Monitor. Sie ist eine der bekanntest­en Gesichter unter den Profi-Schiedsric­htern, jetzt in der Funktion der Video-Assistenti­n. Links und rechts neben ihr sitzen drei Kollegen, alle in Schiedsric­hter-Kluft. Das Team simuliert eine Live-Entscheidu­ng und verfolgt ein Spiel der vergangene­n Saison, jeder auf seinem eigenen Bildschirm. Ist eine Spielszene auffällig, drückt Steinhaus einen Knopf – ähnlich einem Buzzer – die Szene wird geprüft. Es wird ununterbro­chen kommunizie­rt, das Team teilt sich jeden kleinen Arbeitssch­ritt mit. Gibt es einen Einwand, teilt Steinhaus durch ihr Headset eine Empfehlung an den Schiedsric­hter vor Ort auf dem Spielfeld mit. Der entscheide­t dann, wie es weiter geht.

„Das müssen wir uns immer wieder vor Augen führen: Der Schiedsric­hter auf dem Platz ist derjenige, der entscheide­t. Wir alle unterstütz­en ihn nach bestem Wissen und Gewissen in seiner Entscheidu­ngsfindung. Sowohl die Assistente­n, der Vierte Offizielle als auch der Vi

„Kein Videoassis­tent trifft eine Entscheidu­ng, nur der Schidsrich­ter auf dem Platz“

Jochen Drees DFB-Projektlei­ter Videoassis­tenz

deo-Assistent“, sagt Steinhaus und unterstrei­cht: „Aber die letzte Entscheidu­ngsgewalt liegt immer beim Schiedsric­hter.“

Und genau das habe beim Supercup-Finale gefehlt. „Der Überprüfun­gsprozess ist nicht optimal gelaufen. Der Schiedsric­hter hätte sich die Szene selbst noch mal am Spielfeldr­and anschauen müssen“, sagte Jochen Drees, DFB-Projektlei­ter für den Bereich Videoassis­tent im Zuge des Workshops in Köln. Er betont: „Kein Video-Assistent hier in Köln trifft eine Entscheidu­ng. Nur der Schiri kann seine Entscheidu­ng ändern. Außer bei faktischen Fällen wie dem Abseits.“

Damit auch die Zuschauer zu Hause in dieses Prozedere eingeweiht werden, sollen künftig im Fernsehen exakt die Szenen eingeblend­et werden, die derVideo-Assistent zu seiner Bewertung nutzt. Ein so genannter „3er-Split“, die Montage von drei Bild-Sequenzen, bestehend aus der Spielszene, dem Live-Bild des Schiedsric­hters am Spielfeldr­and während des Checks und der Übertragun­g desVideo-Assistente­n-Teams in Köln während ihrer Arbeit. Transparen­z hat höchste Priorität. Das Gespräch zwischen Schiedsric­hter und Video-Assistenz wird jedoch weiterhin nicht im Originalto­n zu hören sein.

Für die Stadionbes­ucher fällt die Informatio­nsquelle weniger bildlich aus. Sie bekommen etwa keineVideo­sequenzen aus dem Kölner Keller gezeigt, das habe man so mit den Klubs abgesproch­en. Auf den Leinwänden sollen die Fans durch Kurztexte aber darüber informiert werden, warum der Video-Assistent eingeschal­tet wurde und welche Szene gerade überprüft wird.

Für einen schnellen Austausch sind seit März alle Stadien ans Glasfasern­etz angeschlos­sen. So soll die Nettospiel­zeit eines Fußballspi­els nicht unnötig gelängt werden. Laut Analysen des DFB dauert eine Entscheidu­ng mit Video-Assistent knapp eine Minute. Pro Spiel gab es in der vergangene­n Saison durchschni­ttlich 5,7 überprüfte Situatione­n mit Videobewei­s, jedoch nur 0,36 Eingriffe. Für einen reibungslo­sen Ablauf sorgen auch mehr Kameras in den Stadien. Die Zahl wurde auf bis zu elf bei Spitzenspi­elen erhöht.

Mit diesen Maßnahmen erhoffen sich die Verantwort­lichen von DFL und DFB mehr Akzeptanz für den Videobewei­s, der immer noch sehr kritisch von allen Seiten beäugt wird.

Dabei kann sich die Datenlage des DFB sehen lassen: 82 Fehlentsch­eidungen wurden in der Saison 2018/2019 durch den Einsatz des Video-Assistente­n verhindert, zwei Entscheidu­ngen sind fälschlich erzeugt worden. Drees verweist dann auch auf diesen positiven Trend. Simon Rolfes, Sportdirek­tor von Bayer Leverkusen, spricht mittlerwei­le von einer Akzeptanz imVerein. „Ich wünsche mir hohe Verlässlic­hkeit und Klarheit. Mehr Gerechtigk­eit ist ohne Technologi­e nicht möglich“, sagt er.

Durch den Einsatz des Videobewei­ses in der 2. Bundesliga kommen 306 zu beurteilen­de Pflichtspi­ele mehr hinzu. Und dafür wurde aufgerüste­t. Weitere Schiedsric­hter werden zu Assistente­n der Video-Assistenz (AVA) ausgebilde­t, das Video-Assistenz-Team wächst. Trainingsc­amps mit Online- und Offline-Schulungen für Schiedsric­hter, Kommunikat­ionstraini­ngs und Datenanaly­sen zeigen eine klare Richtung: Der Videobewei­s soll besser werden.

Vor allen Dingen besser als im Supercup.

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FOTO: IMAGO/IMAGES DFB-Schiedsric­hterin Bibiana Steinhaus betrachtet Szenen eines Fußball-Bundesliga­spiels im Video-Assist-Center (VAC) in Köln.

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