Rheinische Post Krefeld Kempen
Merkel für europäische Seenotrettung
Die Bundeskanzlerin will den ausgesetzten EU-Einsatz im Mittelmeer wiederaufnehmen. In der Unionsfraktion löst das Skepsis aus.
BERLIN Bundeskanzlerin Angela Merkel plädiert angesichts zahlreicher Todesopfer auf den Fluchtrouten übers Mittelmeer für die Wiederaufnahme der in der EU umstrittenen staatlichen Seenotrettung. „Sicherlich wäre es gut, wir hätten auch heute wieder eine Mission Sophia und staatliche Schiffe, die retten würden“, sagte Merkel am Donnerstagabend am Rande des Zapfenstreichs für Ex-Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen. Seenotrettung sei ebenso notwendig wie die Bekämpfung von Schleusern. Während das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen UNHCR Merkels Vorstoß begrüßte, äußerte sich der Innenexperte der Unionsfraktion, Armin Schuster (CDU), skeptisch.
Regierungssprecher Steffen Seibert betonte am Freitag, die Bundesregierung bedauere, dass es die europäische Mission„Sophia“nicht mehr gebe: „Wir haben mit Überzeugung an dieser Mission teilgenommen.“Es gebe aber in der Frage der Verteilung von geretteten Flüchtlingen in der EU derzeit keine Einigkeit. Es müsse jedoch zu einer besseren und solidarischeren Beteiligung der europäischen Partner kommen, sagte Seibert und betonte: „Wir würden ein neues Mandat, wenn es diese Einigung gäbe, begrüßen.“Er verwies darauf, dass sich Deutschland zuletzt in jedem Einzelfall an der Aufnahme von Geretteten beteiligt habe. Es könne aber nicht bei einer Verteilung von Fall zu Fall bleiben.
Mit „Sophia“hatten EU-Schiffe seit 2015 Zehntausende Migranten aus dem Mittelmeer gerettet, die vorrangig nach Italien gebracht wurden. Die EU-Staaten haben sich aber bis heute nicht auf eine Verteilung der Flüchtlinge geeinigt. Die Mission wurde ausgesetzt, was das UN-Flüchtlingshilfswerk als faktische Einstellung des Marine-Einsatzes bewertet. Der Sprecher des UNHCR in Deutschland, Chris Melzer, sagte unserer Redaktion: „Wir fordern schon lange mehr Seenotrettung, weil man Menschen einfach nicht ertrinken lässt.“Es gehe um eine vergleichsweise kleine Zahl an Menschen. „Das kann für die EU kein Problem sein.“Melzer betonte, es müssten nicht alle Migranten dauerhaft aufgenommen werden. „Aber man muss sie anhören.“
Merkels Kritiker halten organisierte Hilfe allerdings für eine indirekte Unterstützung der Schlepper. Migranten würden diesen viel Geld für eine lebensgefährliche Überfahrt in überfüllten Schlauchbooten zahlen, in der Hoffnung, von einem Rettungsschiff aufgenommen zu werden. Dieser „Pull-Faktor“wird aber etwa vom italienischen Institut für Internationale Politikstudien bestritten. Demnach riskieren Flüchtlinge ihr Leben, weil sie keine Alternative in ihren Heimatländern oder in den Lagern in Libyen sehen, aus denen sie aufbrechen.
Der Innenexperte der Unionsfraktion, Armin Schuster (CDU), reagierte jedoch kritisch auf Merkels Vorstoß. „Staatliche Rettungsaktionen animieren vielleicht noch mehr, in die Boote zu steigen“, sagte er unserer Redaktion. Für erfolgversprechender hielte er eine Vereinbarung nach dem Vorbild des EU-Türkei-Abkommens. Spanien, Griechenland, Italien, Malta, Frankreich und Deutschland müssten ein solches Abkommen mit Ländern südlich der Sahara wie Gambia, Elfenbeinküste, Nigeria und Senegal abschließen. Diese Staaten könnten wie die Türkei finanziell unterstützt werden und Visa-Erleichterungen für Fachkräfte bekommen, wenn sie illegale Migration bekämpften und nicht schutzbedürftige Flüchtlinge aus Europa zurücknähmen.