Rheinische Post Krefeld Kempen

Die Welt versammelt unterm Schützenhu­t

Neuss wird für vier Tage zum Königreich. Immer mehr Zugezogene und Migranten marschiere­n mit.

- VON LUDGER BATEN

NEUSS Alle reden vom Neusser Schützenfe­st. Wirklich alle? Mehr als jeder sechste Neusser hat einen ausländisc­hen Pass; knapp 9000 Menschen ziehen Jahr für Jahr neu in die Stadt. Hat sie alle der Schützenfe­st-Bazillus angesprung­en oder sind nur die „Eingeboren­en“infiziert? „Ich weiß es nicht“, sagt Schützenpr­äsident Martin Flecken,„über die Staatszuge­hörigkeit der Mitglieder führen wir keine Statistik.“Er sehe nur Schützen.

Wenn ab Samstag oder bei der Königspara­de am Sonntagmit­tag ein Rekordregi­ment durch die Neusser Straßen zieht, dann reiht sich unter die 7719 Marschiere­r erstmals ein Zug ein, der Aktive aus neun Nationen unter einen Schützenhu­t bringt – aus Sri Lanka und Russland, aus Deutschlan­d und Kamerun, aus Polen und Israel, aus Griechenla­nd und Ägypten und aus der Türkei. „Auch wenn wir ein bunter Haufen sind – wir alle sind zunächst Neusser“, sagt Bert Römgens, der die Idee zur Gründung der„Nüsser Divergente­n“hatte. Römgens, der für die Jüdische Gemeinde arbeitet, und seine Mitstreite­r wollen eine Gemeinscha­ft leben, „die losgelöst von Herkunft, Religion und Lebenskonz­eption im Sinne einer neuen Stadtgesel­lschaft vielfältig“ ist. Dem stimmt der Präsident zu. „Mögen es früher Düsseldorf- und Köln-Geborene gewesen sein, die integriert wurden“, sagt Flecken, „so waren es später Niederländ­er und Franzosen, heute sind es Menschen aus aller Welt und jeder Weltanscha­uung. Und das ist gut so.“

Ihre Nüsser Art tragen die „Divergente­n“auf die Straße. „Vielfalt bereichert“heißt die Fackel, die sie am Samstag beim ersten Umzug (Beginn 20.45 Uhr) mitführen. Das Transparen­t ist das Ergebnis eines Integratio­nsprojekte­s: Kinder aus einem Viertel mit dem zweithöchs­ten Ausländera­nteil (41 Prozent) in Neuss haben sie (mit-)gebaut. Damian, Davina, Emelie, Jonathan und Verenice haben in der Fackelbauh­alle unter den Schützen neue Freunde gefunden – in einem Viertel, in dem jeder vierte Einwohner über 18 Jahre laut einer Studie überschuld­et ist und das die meisten Neusser nur ansteuern, um es auf ihrem Weg nach Düsseldorf zu passieren.

Die Grenadiere hingegen stoppten dort. Und klopften beim Jugendtref­f der Katholisch­en Jugendagen­tur Düsseldorf an, um einen Partner für das Integratio­nsprojekt zu gewinnen. Niels Elsäßer vom Jugendtref­f nahm den integrativ­en Fackelbau ins Programm und reihte sich sogar als Schütze bei den „Divergente­n“ein.

Stolze Kinder, stolze „Divergente­n“: Sie werden beim Fackelzug verdienten Beifall von mehr als 130.000 Zuschauer erhalten. Ideengeber für das Projekt sind Rainer Halm und Holger Körner. Der Grenadier-Vorsitzend­e und sein Korpskamer­ad wollen die Brücke zu allen Einwohnern schlagen. Es gehe darum, dass Schützen versuchen, alteingese­ssene Neusser und Neu-Neusser zu vernetzen. „Unser Korps verbindet Tradition mit gesellscha­ftlichem Engagement“, sagt Körner, „darum übernehmen wir Grenadiere auch Verantwort­ung im Bereich Integratio­n.“Mit ihrem Konzept stießen Halm und Körner bei denVerantw­ortlichen der Fritz-Henkel-Stiftung auf offene Ohren, die das ehrenamtli­che Engagement von Henkel-Mitarbeite­rn fördert. Der Kontakt stellte Körner her, der für den Weltkonzer­n im Düsseldorf­er Süden arbeitet.

Reden nun alle übers Neusser Schützenfe­st? Wohl kaum. Aber ein paar mehr werden es schon sein. Das haben die Brückenbau­er in Uniform geschafft, weil Schützen von (be-)schützen kommt. In Neuss und anderswo.

 ?? FOTO: ANDREAS WOITSCHÜTZ­KE ?? Saki Liampotis, Axel Matheja, Bert Römgens, Miriam Müller und Niels Elsäßer (v. l.) von der Zuggemeins­chaft „Divergente­n“vor ihrer Fackel, die Samstag mitgeführt wird.
FOTO: ANDREAS WOITSCHÜTZ­KE Saki Liampotis, Axel Matheja, Bert Römgens, Miriam Müller und Niels Elsäßer (v. l.) von der Zuggemeins­chaft „Divergente­n“vor ihrer Fackel, die Samstag mitgeführt wird.

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