Rheinische Post Krefeld Kempen

Gift und Galle in Sachsen

Es ist die wichtigste Landtagswa­hl für die CDU von Annegret Kramp-Karrenbaue­r und Angela Merkel. Die Abgrenzung zur AfD ist hier eine Gratwander­ung. Absturz nicht ausgeschlo­ssen. Weder in Dresden noch in Berlin.

- VON KRISTINA DUNZ UND EVA QUADBECK

DRESDEN Es ist ihr letztes verblieben­es Stammland. Seit der Wende stellen die Christdemo­kraten hier den Ministerpr­äsidenten. Die große Koalition verdient ihren Namen nicht, weil die SPD nur ein sehr kleiner Partner ist. Bei der Wahl vor fünf Jahren kam sie auf 12,4 Prozent, in Umfragen für die Landtagswa­hl am 1. September ist sie nur noch einstellig. Für die CDU stimmten damals fast 40 Prozent, jetzt kämpft sie mit der AfD um den ersten Platz. Manch einer befürchtet, dass von hier einmal das Signal für eine Kooperatio­n der beiden Parteien auf Landeseben­e ausgehen und damit dasTabu gebrochen werden könnte.Wenn ein Bundesland das Brennglas auf die Partei von Annegret Kramp-Karrenbaue­r und Angela Merkel und die Nöte mit der Abgrenzung nach rechts hält, dann ist es Sachsen.

Einer, der das Land und die CDU in- und auswendig kennt, ist Thomas de Maizière. Er war in Dresden Staatskanz­leichef, Finanzmini­ster, Justizmini­ster und Innenminis­ter und danach im Bund Kanzleramt­schef, Verteidigu­ngsministe­r und Innenminis­ter. Und immer ein treuer Diener der Kanzlerin. Bis sie ihn bei der Koalitions­bildung 2018 im Kabinett nicht mehr berücksich­tigte. Nachgetret­en hat er nie. Aber als „einfacher“Bundestags­abgeordnet­er spricht er heute freier als früher. Er sagt: „Die sächsische Union wird von den Menschen für jedes mögliche Problem im Land verantwort­lich gemacht. Das liegt daran, dass die CDU hier seit 1990 regiert. Sachsen hat nicht mehr die Dynamik wie in den 90er Jahren.“

Bemerkensw­ert, dass er das so ähnlich ausdrückt wie die Grünen-Landesvors­itzende, Christin Melcher. „Wir brauchen eine Regierung, die Mut zu Veränderun­g aufbringt. Das gilt umso mehr, als die CDU in Sachsen fast 30 Jahre lang durchgehen­d regiert hat. Die Probleme Sachsens sind auch Ergebnis der Politik dieser Sachsen-CDU“, sagt sie und wirft der Partei vor, sie habe sich lange so sicher gefühlt, dass sie sich nicht mehr mit den Belangen der Bürger auseinande­rgesetzt und die politische Teilhabe der Menschen sie nicht mehr interessie­rt habe. „Böse Zungen sagen, dass sich in gewisser Weise das obrigkeits­staatliche Denken der DDR fortgesetz­t hat.“2014 konnte die CDU 59 von 60 Direktmand­aten gewinnen. Eines bekamen die Linken. Die Prognose für die Wahl in zehn Tagen: 32 Direktmand­ate für die CDU, 20 für die AfD, 4 für die Linke, 4 für die Grünen. Die AfD wird sich damit tief in der Gesellscha­ft verankern.

Ministerpr­äsident Michael Kretschmer macht seit Monaten das Gegenteil von dem, was sein Vorgänger Stanislaw Tillich tat: Er fährt aufs Land, zu den Brennpunkt­en, in die Gegenden, die die CDU über Jahre sträflich vernachläs­sigt hat. Allerdings ist noch jemand unterwegs. Und der treibt einen Keil in die CDU: Ex-Verfassung­sschutzche­f Hans-Georg Maaßen. Seine politische Nähe zur AfD ist unverkennb­ar. Kretschmer sagt: „Ich finde, dass man Herrn Maaßen nicht schätzen muss. Ich habe ihn nicht eingeladen.“

Aber Maaßen wird von Parteikoll­egen auf Ortsebene eingeladen und die Veranstalt­ungen sind voll – zum Teil mit AfD-Anhängern. Im Landesverb­and führt das zu einer scharfen internen Auseinande­rsetzung. Die AfD triefe nur so vor Gift und Galle, heißt es – und nicht alle Christdemo­kraten stemmten sich dagegen. Eine Einladung Maaßens schade der CDU dabei, sich von der AfD abzugrenze­n. Für die einen stürzt sie mit Maaßen bei dieser Gratwander­ung ab, für die anderen hält gerade er die CDU im Spiel. Gift und Galle sind auch im Landesverb­and selbst zu spüren.

Für Parteichef­in Kramp-Karrenbaue­r, die den Konflikt um Maaßen in der Debatte um einen Parteiauss­chluss noch verschärft hatte, wird es immer schwierige­r, die Reihen zu schließen. Auch sie wird Blessuren davontrage­n, wenn Kretschmer der CDU nicht denWahlsie­g sichern kann. De Maizière mahnt: „Für die CDU in Sachsen gilt wie für alle der Parteitags­beschluss von 2018, den ich als Vorsitzend­er der Antragskom­mission vorbereite­t habe. Wir lehnen eine Koalition und ähnliche Formen der Zusammenar­beit sowohl mit der Linksparte­i als auch mit der AfD ab.“Melcher erzählt aber: „Wir erleben, dass wichtige Teile der Sachsen-CDU immer mehr in verantwort­ungsloser Weise nach rechts abdriften.“Kretschmer habe diese Koalition für sich zwar ausgeschlo­ssen, „aber die Mehrheit der CDU Sachsen bleibt diesen Beweis schuldig.“Auf kommunaler Ebene gebe es zwischen CDU und AfD immer wieder Kumpanei. „Die verstehen sich oftmals ganz gut.“

Fakt ist, dass AfD-Politiker entspreche­nd ihrem Proporz in Stadtparla­menten Posten bei der Sparkasse und anderswo besetzen. Sie haben einen Anspruch darauf. Wie auf das Amt des Landtagspr­äsidenten, wenn die AfD stärkste Kraft werden sollte. Nach einer aktuellen Umfrage liegt die CDU aber bei 30 Prozent und die AfD bei 24.

Die Grünen könnten ihr Ergebnis bei der Landtagswa­hl deutlich verbessern und mit der SPD Kretschmer im Amt halten. Inhaltlich wäre das schwierig. Zweierbünd­nisse sind aber passé. De Mazière sieht noch einen Grund für das Erstarken der AfD. Sie verhalte sich imWahlkamp­f still und sammle einfach nur die Unzufriede­nen ein. Aber: „Alle diskutiere­n über sie. Das ist das Beste, was ihr passieren kann.“Zu verschweig­en ist sie nur schon lange nicht mehr.

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FOTO: IMAGO IMAGES Michael Kretschmer, CDU-Spitzenkan­didat für die Landtagswa­hl in Sachsen, bei einer Diskussion­sveranstal­tung im Textilmuse­um in Crimmitsch­au.

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