Rheinische Post Krefeld Kempen
Brasilien brennt
Weite Teile des Regenwaldes in der Amazonasregion stehen in Flammen. Regierung und NGOs machen sich gegenseitig Vorwürfe. Die Fakten sprechen gegen Präsident Jair Bolsonaro.
BRASÍLIA Es sind Szenen wie aus einer biblischen Prophezeiung. Der Himmel über São Paulo verdunkelt sich, es fallen sogar einige grafitgraue Regentropfen zu Boden. Die dunklen Schwaden sollen aus den im ganzen Land tobenden Waldbränden stammen. Fernsehbilder zeigen, wie eine Feuerwalze durch die grüne Lunge des Planeten wandert. Es sind besorgniserregende Aufnahmen, die aus Brasilien um die Welt gehen. Waldbrände sind dort zwar nicht neu, aber dieses Ausmaß ist dann doch außergewöhnlich.
Der dunkle Himmel in der 22-Millionen-Metropole São Paulo verfehlt seineWirkung nicht. Die Menschen bekommen Angst. Und inmitten dieser gespenstischen Szenerie erhebt Brasiliens rechtspopulistischer Präsident schwere Vorwürfe gegen Nichtregierungsorganisationen (NGO), die er bislang nicht beweisen kann. Sie sollen hinter den Bränden stecken.„Wir nehmen den Nichtregierungsorganisationen ihre Zuschüsse, wir haben die Überweisungen der Regierungsstellen eingestellt. Jetzt fehlt ihnen das Geld.“Aus dem Grund kommt Bolsonaro zu dem Schluss, dass ausgerechnet Umweltschützer im ganzen Land die Brände gelegt haben könnten. „Es kann also sein, dass diese Organisationen gegen mich persönlich und die brasilianische Regierung vorgehen. Das ist der Krieg, in dem wir uns befinden.“
Die Fakten sprechen gegen diese Annahme. Insgesamt seien 72.843 Brände registriert worden, berichtet die seriöse Tageszeitung „Folha“aus São Paulo. In den meisten Fällen seien Flächen in Privatbesitz betroffen, aber auch in Naturschutzgebieten und einheimischen Ländereien brenne es immer wieder. Flächen im Privatbesitz gehören in vom überwiegend vom Feuer betroffenen Westen des Landes meistes Großgrundbesitzern und der Agrarindustrie. Der Bundesstaat Mato Grosso im Süden des Amazonasgebiets gilt als Kornkammer Brasiliens. Hier haben die großen Agrarbarone das Sagen. Sie könnten von den Bränden profitieren, kommen sie doch auf diese Art und Weise zu zusätzlichem Land.
Brasiliens Regierung wirkt unvorbereitet und auch nicht wirklich entschlossen, gegen die Feuer anzugehen. Zwar verspricht Umweltminister Ricardo Salles: „Wir geben unser Bestes“, doch bislang konnten die seit Tagen wütenden Brände nicht wirksam bekämpft werden. Zudem widerspricht Salles indirekt den Vorwürfen Bolsonaros in Richtung der Nichtregierungsorganisationen:„Es kommt im Moment häufiger zu Bränden, weil es zuletzt sehr trocken war.“
Brasilien will Teile des Amazonasregenwaldes trotz internationaler Proteste zum Rohstoffabbau und für die Agrarindustrie freigeben. Betroffen wären Naturschutzgebiete und Reservate der Ureinwohner. Im Juli war die illegale Abholzung des Amazonas-Regenwaldes fast dreimal so hoch wie im Vorjahresmonat. Es steht zu befürchten, dass es unter Bolsonaro wieder so schlimm werden könnte wie unter Ex-Präsident Lula da Silva, der mit 27.000 Quadratkilometern abgeholzter Regenwaldfläche im Jahr 2004 den Negativrekord in diesem Jahrhundert hält. Als Konsequenz haben Deutschland und Norwegen Mittel für den Schutz des Regenwaldes eingefroren.
Neben der Umweltkatastrophe haben die Brände aber auch gravierende Folgen für die dort lebende indigene Bevölkerung. Nach Angaben des Brasilianischen Instituts für Satellitenforschung INPE sind 36 einheimische Schutzgebiete von den Bränden betroffen.„Hunderte indigene Gemeinschaften müssen gerade mitansehen, wie ihr Lebensraum verbrennt“, erklärt Regina Sonk, Referentin bei der Gesellschaft für bedrohteVölker (GfbV).„Wie es für sie weitergeht, ist völlig unklar. Neben der Umweltkatastrophe ist das humanitäre Desaster programmiert.“
Inzwischen sind die Brände auch in den Köpfen der Menschen angekommen. In den sozialen Netzwerken drücken Prominente ihre Sorge über die Feuersbrunst aus. Unter dem Hashtag „PrayforAmazonas“finden sich zahlreiche Solidaritätsbekundungen, aber auch scharfe Kritik an Präsident Bolsonaro. Und es wird die Frage heiß diskutiert, warum die Menschheit offenbar bereit ist, Millionen für die abgebrannte Kathedrale von Notre Dame in Paris zu spenden, nicht aber für den Regenwald.
Auch im Nachbarland Bolivien brennt es lichterloh. Präsident Evo Morales hatte erst vor wenigen Wochen per Dekret grünes Licht für Abholzungen in zwei Amazonasprovinzen gegeben. Profitieren sollen davonViehzüchter, die Fleisch nach China exportieren wollen. Die Tagezeitung „El Deber“berichtet: Bolivien hat in fünf Tagen so viel Wald verloren wie im ganzen Jahr zuvor. Umweltschützer hatten den Kurs von Morales in den vergangenen Monaten scharf kritisiert, doch sie finden in der vor allem auf Brasilien konzentrierten internationalen Berichterstattung kaum Gehör.