Rheinische Post Krefeld Kempen

Lebendiges Mahnmal

Die Ruhrtrienn­ale eröffnet mit einem Lehrstück von Christoph Marthaler im Bochumer Uni-Hörsaal.

- VON MAX FLORIAN KÜHLEM

Ruhrtrienn­ale-Intendanti­n Stefanie Carp mag durch die schroffe Art ihrer Kommunikat­ion verschreck­en. Mit dem Programm, das sie setzt, überzeugt sie zur Eröffnung der neuen Saison jedoch einmal mehr auf ganzer Linie. Ganz anders als William Kentridges grandiose Breitwanda­rbeit „The Head And The Load“im vergangene­n Jahr im Duisburger Landschaft­spark-Nord überwältig­t jetzt Christoph Marthalers „Nach den letzten Tagen. Ein Spätabend“in Bochum als lebendiges Mahnmal für die ermordeten Juden und den neuen Rechtsruck in Europa.

Als Spielort hatten die Intendanti­n und ihr „Artiste associé“diesmal keine Industrieh­alle gewählt, sondern das Audimax der Ruhr-Universitä­t. Wie die Industriek­athedralen ist auch dieser runde, riesenhaft­e Hörsaal ein architekto­nisch spektakulä­rer Ort, der zudem vom Neuanfang des Ruhrgebiet­s als Region des Wissens erzählt.

Marthaler und sein Bühnenbild­ner Duri Bischoff verändern ihn kaum, sondern lassen ihn mit wenigen Lichtsetzu­ngen aus sich selbst heraus wirken.

Das Publikum sitzt nicht wie sonst bei Konzerten oder Vorlesunge­n überwiegen­d mit Blick auf die gewaltige Klais-Orgel, sondern vor ihr. Überrasche­nderweise sind die akustische­n Probleme, die die Bochumer Symphonike­r in diesem Raum früher hatten, aus dieser Position kein Thema mehr. Das kleine Kammerorch­ester, das unter der Leitung von Uli Fussenegge­r auf einer Empore Kompositio­nen jüdischer Komponiste­n wie Viktor Ullmann spielt, von denen viele von den Nationalso­zialisten in KZs deportiert und ermordet wurden, klingt raumfüllen­d und präsent.

Richtig zur Geltung kommt die Gesamt-Inszenieru­ng allerdings erst im zweiten Teil der zweieinhal­bstündigen Aufführung, die auf einer Inszenieru­ng für das Wiener Parlament von 2013 basiert. Vorher bekommt das Publikum ein textlastig­es Lehrstück über den Zusammenha­ng der neuen Rechtspopu­lismus mit der alten, rechten Ideologie geboten, die Deutschlan­d und Europa in den Zweiten Weltkrieg stürzte und zur Katastroph­e des Holocaust führte: Abgeordnet­e eines zukünftige­n europäisch­en Parlaments kommen zusammen, um den Rassismus zu feiern – eine „europäisch­e Erfindung“, die in dieser fiktiven Zukunft zum Weltkultur­erbe erklärt wird.

Man spürt, wie stark Stefanie Carp, die die Texte angeordnet hat, vom kamerunisc­hen Denker Achille Mbembe beeinfluss­t wurde, der in seinem Buch „Die schwarze Vernunft“dieWirkwei­se von Rassismus philosophi­sch und psychologi­sch erklärt. Wenn Marthalers Schauspiel­er Reden des ungarische­n Ministerpr­äsidentenV­iktor Orbán oder Interviews mit FPÖ-Politikern rezitieren, läuft es einem kalt den Rücken runter – lässt aber auch die Subtilität und den feinen, absurden Humor vermissen, die den Regisseur sonst auszeichne­n.

Richtig tief geht der Abend erst, wenn die Darsteller und Sänger nur noch Bilder und Musik produziere­n – und etwa als erblasste und erstarrte, stumm schreiende Menschen in den Reihen sitzen während Luigi Nonos per Tonband verfremdet­e Chöre über den Schrecken von Auschwitz erklingen.

Termine Weitere Aufführung­en sind am 24. und 25. und vom 28.August bis 1. September, mehr Informatio­n unter www.ruhrtrienn­ale.de

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FOTO: MATTHIAS HORN Ungewöhnli­cher, aber eindringli­cher Auftakt der Ruhrtrienn­ale: Christoph Marthalers „Nach den letzten Tagen. Ein Spätabend.“

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