Rheinische Post Krefeld Kempen
VW: Null Prozent CO2 sind das Ziel
Wie kein anderer Autohersteller treibt der Konzern den Umstieg auf die Elektromobilität voran. Bis 2050 soll das ganze Unternehmen klimaneutral sein, verspricht VW-Chef Diess. Dahinter steckt aber nicht nur ein neues Umweltbewusstsein.
Michael Jost ist auf die Zahl nicht stolz, aber er nennt sie trotzdem: ein Prozent. Es ist der Anteil von Volkswagen an den weltweiten CO2-Emissionen. Ein Prozent – und da sind die anderen Marken des VW-Konzerns wie Audi, Porsche, Seat oder Skoda noch gar nicht eingerechnet. „Bei den Marktanteilen wollen wir immer relevant sein, je mehr Prozent wir da erreichen, umso besser“, sagt der Strategiechef der MarkeVW: „Aber in dieser Statistik wollen wir nicht relevant sein. Bis 2050 machen wir deswegen aus diesem einen Prozent null Prozent.“
Es ist eine der erstaunlichsten Wandlungen, seit vor rund 2000 Jahren der Christenverfolger Saulus zum frommen Paulus wurde. Ausgerechnet der Diesel-Betrüger VW, der Millionen Kunden jahrelang viel zu schmutzige Autos ausgeliefert hat, macht nun auf Klimaretter. Und doch ist diese Geschichte mehr als ein Marketing-Gag – denn kein anderer Autohersteller in Deutschland vollzieht momentan eine so radikale Wende. Konzernchef Herbert Diess richtet den größten Autohersteller des Landes voll auf die Elektromobilität aus (und denkt dabei laut „Manager Magazin“sogar über einen Kauf von Anteilen am ElektropionierTesla nach, auch wenn der Konzern das dementiert).
Der Konzern geht eine riskante Wette ein. Denn bislang sind Kunden von den neuen Antrieben noch nicht elektrisiert. Die Fahrzeuge sind momentan noch teurer als vergleichbare Verbrenner, haben aber häufig eine geringere Reichweite, während die Ladeinfrastruktur noch längst nicht so gut ausgebaut ist, dass man ohne genaue Planung weitere Strecken fahren sollte. Und obwohl auch VW-Manager Michael Jost das alles weiß, sagt er: „Wir sind überzeugt, dass unser Konzept alternativlos ist.“
2020 kommt mit dem ID3 das erste reine Elektroauto von VW auf den Markt. Bei der Automesse IAA soll es offiziell vorgestellt werden. Und danach geht es mit Tempo weiter. Bis 2028 will der Konzern 70 Elektro-Modelle auf den Markt bringen und bis dahin 22 Millionen E-Autos verkaufen. Bis 2050 soll der ganze Konzern CO2-neutral sein – von den Fahrzeugen über die Produktion bis zur Verwaltung. Die Neuerfindung geht auch mit neuem Logo einher, das am Donnerstag vorgestellt wurde.
Die Pariser Klimaziele sind nun auch die Ziele in Wolfsburg, und doch sagt Michael Jost:„Ich bin nicht der Öko-Onkel.“Sein eigener ökologischer Fußabdruck sei nicht so gut, auch wenn er die Klimasünden für die ganze Familie ausgleiche.
Und dennoch ist er einer derjenigen, die den Wandel vorantreiben. Denn auch Jost weiß, dass der Konzern ein Getriebener ist. Die EU-Abgas-Grenzwerte werden immer strenger, dadurch drohen Strafzahlungen, die Abgasreinigung wird teurer. Gleichzeitig forciert der wichtigste Markt China die E-Mobilität. Wer nicht abgehängt werden will, muss handeln – und zwar schnell, denn die Zyklen in der Auto-Industrie sind andere als beim Bau eines Handys.„Das Jahr 2050 ist für die Menschen weit weg – auch für unsere Leute. Aber wenn man es zurückrechnet, merkt man: Unsere Entwickler arbeiten vermutlich an ihrer letzten Verbrenner-Plattform“, sagt Jost.
E-Mobilität funktioniere im Volumengeschäft nur, wenn man wirklich konsequent sei, sagt Jost:„Wenn man einen Teil der alten Struktur mitschleppt, bedeutet das zusätzliche Kosten. Aber die kann man sich im Volumengeschäft nicht leisten.“Außerdem hätten auch die Mitarbeiter eine neue Vision gebraucht: Wofür soll VW eigentlich stehen?
„Wir haben uns gefragt, wie wir die Mitarbeiter begeistern können“, sagt Jost: „Das funktioniert sicher nicht, indem wir sagen, dass wir Autos optimieren, um schärfere Klimagesetze zu erfüllen. Das bewegt doch niemanden, das sollte eine Selbstverständlichkeit sein.“Also habe es eine andere Vision gebraucht. „Die Frage ist jetzt: Trägt der Plan dazu bei, die Pariser Klimaziele zu erfüllen, oder kann das kurzfristig nur ein Gesetz?“
Das Team, mit dem Diess und Jost den Wandel ab 2015 bei VW vorantrieben, wusste, dass es ohne den Rückhalt der Belegschaft schwer werden würde. Im VW-Konzern regiert der Betriebsrat mit. Und so erinnert sich Jost noch gut an jene Sitzung
im Werk Emden, die er im Nachhinein einen„Schlüsselmoment“nennt. Damals saßen der komplette Vorstand und der komplette Betriebsrat zusammen. Es ging um die Frage, ob in Emden zukünftig nur noch Elektroautos statt des prestigeträchtigen Passats gebaut werden. „Ich habe den Betriebsratschef damals gefragt: Passat oder Elektro?“, erinnert sich Jost: „Und Manfred Wulff hat gesagt: Gib mir Elektro. Für uns hieß das: Die Belegschaft geht mit.“
Branchen-Experten loben den Kurs: „Die Strategie von Herbert Diess ist absolut richtig“, sagt Ferdinand Dudenhöffer von der Uni Duisburg-Essen: „Plug-in-Hybride sind teuer und kommen bei den Kunden nicht richtig an.“Und selbst ein Kritiker wie Jürgen Resch von der Deutschen Umwelthilfe sagt anerkennend: „Was Herr Diess macht, ist generell richtig. Die Elektromobilität ist die einzige Chance für die deutsche Automobilindustrie.“
Trotzdem, sagt Resch, dürfe man den Weg von VW nicht nur gutheißen. „Bis 2024 sollen erstmal noch mehr Verbrenner verkauft werden“, sagt er: „Die Strategie ist ja schließlich, schwere SUVs zu verkaufen, um mit deren Gewinnen die Elektroautos zu finanzieren.“Das räumt auch Michael Jost bei aller Elektro-Euphorie ein: „Wir werden auch in 2025 noch rund 75 Prozent Nicht-Elektroautos verkaufen.“