Rheinische Post Krefeld Kempen
Deutscher Transfermeister BVB
Seit zwei Transferperioden arbeitet Dortmund an einem titeltauglichen Kader. Das scheint sich nun auszuzahlen.
DORTMUND Wer es gut meint mit Borussia Dortmund, der könnte sagen, dass es in der Saison 2017/18 nicht ganz so lief, wie sich das der Verein so vorstellte. Wer es nicht so gut meint, der könnte sagen, dass die Saison 2017/18 eine Saison zum Vergessen war. Trainer Peter Bosz scheiterte mit seinem hemmungslosen Offensivfußball an einem dafür falsch zusammengesetzten Kader, sein Nachfolger Peter Stöger brachte den Titelkandidaten mit unansehnlichem Fußball so gerade eben auf Platz vier ins Ziel. Pierre-Emerick Aubameyang verschwand mitten in der Serie zu Arsenal London, Ousmane Dembélé streikte sich zum FC Barcelona, im DFB-Pokal war im Achtelfinale (1:2 gegen Bayern München) Schluss, in der Europa League nach dem Abstieg aus der Champions League im Achtelfinale gegen Red Bull Salzburg. Es gab viel zu tun im Sommer 2018 in der Firmenzentrale des BVB am Rheinlanddamm.
Und es wurde viel getan. Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke verabschiedete sich öffentlich vom Alleinvertretungsanspruch. Neben Sportdirektor Michael Zorc rückte der ehemalige Spieler Sebastian Kehl in die Rolle des Lizenzspieler-Chefs, und Matthias Sammer, weltberühmter Vorzeigegrantler und Chefanalyst des TV-Senders Eurosport, wurde externer Berater. So weit muss man zurückgehen, um zu verstehen, warum Borussia Dortmund im August 2019 endgültig ein Anwärter auf die deutsche Meisterschaft ist.
Das Quartett derVordenker schaute tief in den Kader des BVB, und es zog daraus die richtigen Schlüsse. Zunächst an der wichtigsten Stelle. Es holte einen Trainer, der nicht nur für den passenden fußballerischen Stil, sondern auch für die Fähigkeit steht, aus guten Spielern bessere Spieler und aus sehr guten Spielern außergewöhnliche Spieler zu machen. Lucien Favre hatte das bei seinen Bundesliga-Stationen in Berlin und Mönchengladbach dem deutschen Publikum eindrucksvoll vorgeführt. Und dass der gelegentlich grüblerische Schweizer niemandem aus der Führungscrew die öffentliche Wirksamkeit bestreiten würde, passte wohl auch.
Das spielerische Aufgebot wurde um die zentralen Mittelfeldspieler AxelWitsel und Thomas Delaney verstärkt. Für die Abwehr holten die Dortmunder die begabten Nachwuchskräfte Manuel Akanji und Achraf Hakimi und für den Angriff Paco Alcacer. Weil Marco Reus bei seinem neuen alten Trainer Favre aufblühte, der ihn schon in Mönchengladbach zur Extraklasse geführt hatte, und weil auf dem Flügel ein Jahrhunderttalent namens Jadon Sancho wirbelte, zog Dortmund in der Tabelle davon. Nur der Mangel an Selbstvertrauen und einem Schuss der notwendigen Großkotzigkeit verhinderte die Meisterschaft – neben dem erstaunlichen Zwischenspurt des ewigen Titelträgers Bayern München.
Auch aus diesem Rückschlag zogen die Bosse in Dortmund die richtigen Schlüsse. Mats Hummels kam als Profi mit dem eingebauten Überlegenheits-Gen aus München zurück, Nico Schulz bringt Tempo und fußballerische Klasse auf den linken defensiven Flügel, Thorgan Hazard und Julian Brandt erhöhen den Konkurrenzdruck in der Offensive. Ganz sicher ist Dortmund noch einmal deutlich stärker geworden. Und auch von vornehmer Zurückhaltung ist keine Rede mehr. Auf die Frage, warum der BVB in diesem Jahr mit dem Titel an der Reihe sein könnte, antwortete Kapitän Reus knapp: „Weil wir die beste Mannschaft haben.“
Dafür hat die kluge Transferpolitik der beiden zurückliegenden Spielzeiten gesorgt. Anders als die Bayern haben die Dortmunder frühzeitig eine Erneuerung des Aufgebots hinbekommen. Im Umbau sind sie dem großen Rivalen mindestens einen Schritt voraus. Das war bereits in der zurückliegenden Saison zu sehen.
Dadurch haben sie die Bayern regelrecht (an)getrieben. Die Münchner Anstrengungen auf dem Transfermarkt sind auch ein Ergebnis der Dortmunder Personalpolitik seit dem Sommer 2018. Und beide stehen für etwas ganz Neues nach Münchner Alleingängen bis vor einem Jahr. Der Dortmunder Kehl benennt es: „Wir haben eine total spannende Liga.“
Es fällt schwer, die Dortmunder darin als Außenseiter zu sehen. BVB-Geschäftsführer Watzke wagt sich dennoch an diese Aufgabe. Zumindest im bevorstehenden Duell mit den Münchnern will er geradezu mit Gewalt die Rolle des Kleinen behaupten. „Wir sind Herausforderer“, stellte er im Pay-TV-Sender Sky fest, „Bayern München ist wie ein 8000er. Wenn du vor so einem stehst, da hoch willst und glaubst, dass beim Aufstieg alles glatt geht, dann hast du nicht alle Frühwarnsysteme an.“Die vergangene Saison dient ihm als Beispiel.
Im Mai stand der BVB beim Aufstieg einen Schritt vor dem Gipfel. Es spricht nichts dafür, dass der Gipfelsturm diesmal nicht gelingen kann. Das wissen die Dortmunder Führungskräfte. Trotzdem stimmen sie natürlich nicht in den Chor derer ein, die beim 5:1 gegen Augsburg schon den Meister gesehen haben wollen. Augsburg sei wohl nicht der richtige Maßstab, sagte Kehl, „wir wissen, dass es schon in Köln am Freitag nicht einfach wird“. Das ist Branchensprech, Lektion 2: Pressekonferenz vor dem Auswärtsspiel.