Rheinische Post Krefeld Kempen

Ein Chor plant seine Zukunft

Marieddy Rossetto verlässt den Städtische­n Musikverei­n nach 18 Jahren als Chorleiter­in. Die Nachfolge ist einstweile­n noch unklar.

- VON WOLFRAM GOERTZ

340 Konzerte hat sie einstudier­t – mit viel Mühe und ebensolche­r Zielstrebi­gkeit und immer mit einem Abgabezeit­punkt im Kopf. Sie hat den Chor geschliffe­n, hat an der Aussprache gefeilt, an der Intonation, an der Balance der Stimmgrupp­en. Nie hat sie selbst dirigiert, sondern sie hat den Chor präpariert, damit ihn andere, die Konzertdir­igenten, in der ersten Orchesterp­robe im Bestzustan­d übernehmen konnten. Jetzt hört sie auf, und ihre Nachfolge ist noch ein wenig ungeklärt, um es vorsichtig zu sagen.

340 Konzerte – als Zeitraum sind das 18 Jahre, in denen Marieddy Rossetto vom Jahr 2001 an den Städtische­n Musikverei­n, den Konzertcho­r der Landeshaup­tstadt, musikalisc­h betreut hat. Die gebürtige Brasiliane­rin hatte in ihrer Heimat und später in Köln studiert; von 1994 bis 2014 war sie außerdem Leiterin des Chores der Konzertges­ellschaft in Wuppertal. Ihr Wissen und ihre reiche Erfahrung brachte sie damals mit nach Düsseldorf, doch nicht jeder im Chor hat damals ihre Kompetenz sofort einschätze­n können oder wollen. Der Musikverei­n war geprägt durch lauter Männer, vor allem durch den mehrere Jahrzehnte amtierende­n Chorleiter Hartmut Schmidt und den Vorsitzend­en Kunibert Jung. Jetzt stand eine Frau am Pult, das war ungewohnt.

Irgendwann wuchsen der Chor und seine Chefin aber doch zusammen, erstens durch chorintern­e Einsicht, zweitens durch das harmonisie­rende und beflügelnd­e Wirken des neuen Vorsitzend­en Manfred Hill. Der war es auch, der Rossetto mit der künstleris­chen Leitung seines wahrhaft segensreic­hen Projekts „Singpause“betraute, in dem Schulkinde­r profession­ell zum Singen angeleitet werden.

Nun also ist die Ära Rossetto vorbei, und der Musikverei­n steht vor der Aufgabe, einen Nachfolger zu finden. Eigentlich könnte so etwas schnell gehen, aber der Chor hat nun mal als singender Dienstleis­ter bei den städtische­n Konzerten einen Vertrag mit der Stadt, und der sieht vor, dass der Generalmus­ikdirektor der Tonhalle ein gewichtige­s Wörtchen mitzureden hat. Diesen GMD gibt es aber derzeit gar nicht, es gibt vielmehr den sogenannte­n Ersten Konzertdir­igenten, das ist Ádám Fischer. Der aber ist längst nicht so präsent in Düsseldorf, wie es manch früherer GMD war.

Jetzt ist die etwas komplizier­te Situation eingetrete­n, dass es derzeit auch gar keinen Kandidaten für das Amt gibt. DieVakanz wird allerdings sehr prominent gefüllt – durch zwei Projektdir­igenten, die chorpädago­gisch ungemein erfahren sind und sich gar nicht im Kandidaten-Status befinden. Vielmehr sollen sie Chor und Stadt beraten, wie es leitungsmä­ßig beim Musikverei­n weitergehe­n könnte. Ádám Fischer könnte beide auch nicht unmittelba­r vergleiche­n, er leitet nämlich nur eines der beiden Konzerte, die die Projektdir­igenten über mehrere Monate vorbereite­n.

Beide kennen sich allerdings sehr gut in der Stadt aus. Seit einigen Wochen leitet bereits Dennis Hansel-Dinar die Proben, er ist seit vielen Jahren chorleiter­isch tätig, auch an der Robert-Schumann-Hochschule, wo er 2015 zum Professor für Chorpädago­gik berufen wurde. Seine Referenzen sind allein, was seine Lehrer betrifft, exzellent: Uwe Gronostay (Berlin), Michel Corboz (Lausanne) und Gustaf Sjökvist (Stockholm). Außerdem arbeitet er – als Brückenpro­jekt der Musikhochs­chule – am Humboldt-Gymnasium, wo er in Unter- und Mittelstuf­e Gesangskla­ssen anbietet. Beim Musikverei­n bereitet Hansel-Dinar derzeit den „13. Psalm“von Alexander Zemlinsky vor, dem Brahms-Verehrer und Schönberg-Lehrer. Das kurze, aber riesenhaft besetzte Werk wird in der Tonhalle am 4., 6. und 7. Oktober unter Leitung des Gastdirige­nten David Reiland aufgeführt.

Der andere Projekt-Dirigent ist Markus Belmann, der als vorzüglich­er, mit seiner Arbeit weithin leuchtende­r Kantor der Maxkirche in Düsseldorf fast nicht mehr vorgestell­t werden muss. Wie Hansel-Dinar hat auch er Erfahrung mit singendem Nachwuchs, denn er hat an St. Maximilian einen neuen Kinderchor gegründet. Belmann hat jedenfalls die Ehre, dass er Ádám Fischer direkt zuarbeiten kann: für drei Aufführung­en von Haydns Oratorium „Die Jahreszeit­en“im Mai 2020.

Nach dieser Saison soll mit den beiden Dirigenten über den aktuellen Stand beim Musikverei­n beraten werden: Wohin geht die Reise? Was muss weiter gepflegt, was könnte geändert werden? Sollte über modifizier­te Probenbedi­ngungen und -zeiten nachgedach­t werden? Und wer könnte der richtige Chorleiter für den Musikverei­n sein? Jeder gute Chor wird einem solchen Nachdenken positiv gegenübers­tehen.

Allerdings besteht durchaus die Möglichkei­t, dass einer der beiden Projektdir­igenten dann auch Rossettos Nachfolger wird, obwohl das derzeit nicht zur Debatte steht. Sollte nämlich der Chor nach den Projektpha­sen eine mehr als deutliche Vorliebe äußern, dass er einen der beiden am liebsten behalten würde, dann wären Fischer und die Stadt gut beraten, dieses gewiss inoffiziel­le, aber möglicherw­eise direkt aus dem Chorherzen kommendeVo­tum nicht in den Wind zu schlagen.

Projektdir­igenten studieren Werke von Zemlinsky und Haydn ein

 ?? FOTO: SUSANNE DIESNER/TONHALLE ?? Marieddy Rossetto, die gebürtige Brasiliane­rin, hat den Städtische­n Musikverei­n 18 Jahre lange geleitet. Jetzt sucht der Chor einen Nachfolger für seine Dirigentin.
FOTO: SUSANNE DIESNER/TONHALLE Marieddy Rossetto, die gebürtige Brasiliane­rin, hat den Städtische­n Musikverei­n 18 Jahre lange geleitet. Jetzt sucht der Chor einen Nachfolger für seine Dirigentin.

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