Rheinische Post Krefeld Kempen

Wo Europa sich früher traf

Seine Hochzeit erlebte Bad Ems im 19. Jahrhunder­t als „Weltbad“und Sommerresi­denz. Doch es gibt auch vieles Neues in der alten Kurstadt zu entdecken. Mit dieser Folge endet unsere Landpartie.

- VON MICHAELA CETTO (TEXT) UND JENS WEBER (FOTOS)

BAD EMS Wie wäre es, wenn Kaiser Wilhelm I. heute durchs Kurviertel von Bad Ems flanieren würde? „Er könnte all seine bestens bekannten Wege durch den Kurgarten gehen, vorbei am Kursaalgeb­äude oder rein in den historisch­en Marmorsaal“, sagt Annegret Werner-Scholz und rückt ihre Haube zurecht.„Denn all dies ist heute noch genau so erhalten wie im 19. Jahrhunder­t.“Die Bad Emserin ist stolz auf ihre Stadt. Vor allem, wenn sie als sogenannte­s Brunnenmäd­chen vor dem prächtigen Grand Hotel der Familie Häcker steht, dem einstigen Kurhaus mit barockem Badeschlos­s, in dem nicht nur Fürsten, Komponiste­n und Schriftste­ller logierten, sondern eben auch Kaiser Wilhelm I. 20 Jahre lang besuchte er die Stadt regelmäßig. Der Ostflügel des Hotels wird deswegen bis heute Kaiserflüg­el genannt. „Dort im ersten Stock hatte er sein Arbeitszim­mer“, sagt die Heilquelle­nexpertin. „Manchmal hat er aus dem Fenster geschaut und den Leuten zugewinkt.“

Annegret Werner-Scholz erzählt dies, als sei sie selbst dabei gewesen. Und irgendwie stimmt das auch. Die Wurzeln ihrer Familie in Bad Ems reichen 300 Jahre zurück, ihre Vorfahren waren Pfarrer, Bierbrauer oder Kurarzt. Ihr Urgroßvate­r war Baumeister der berühmten Russischen Kirche, die sich mit einer Kuppel aus Gold über das Ufer der Lahn erhebt. Der Fluss zieht sich idyllisch durch diese kleine Stadt, vorbei an all den oft gut erhaltenen Bauwerken, den herrschaft­lichen Badehäuser­n, den Villen, dem Quellentur­m, dem Schloss Balmoral. Die 72-Jährige selbst hat als Physiother­apeutin im Kurmittelh­aus gearbeitet. Wo die Liege ihrer Patienten stand, nahmen die Kurenden des 19. Jahrhunder­ts ein heilendes Bad in der Wanne.

Natürlich sind es die Heilquelle­n, die Ems zum Heilbad machten und im 19. Jahrhunder­t zum Treffpunkt von ganz Europa adelten.„Ohne diese Quellen wäre hier keine prachtvoll­e Bäderarchi­tektur, sondern Kuhwiese“, sagt sie. Das ist auch ein Grund, warum sie zu besonderen Anlässen gern Schürze und Haube trägt. Als Brunnenmäd­chen Grete in der historisch­en Kostümgrup­pe der Stadt erinnert sie an die vielen Menschen, die durch die Kur Arbeit fanden.

Im heutigen edlen Foyer von „Häcker’s Grand Hotel“gaben die Brunnenmäd­chen den Gästen das Heilwasser für ihre Trinkkuren aus. Mehrere Quellen sprudeln noch heute aus den Brunnen der Halle, die im Original erhalten und frei zugänglich ist. Am Kesselbrun­nen kann man das Wasser kosten, das Kaiser und Co. tranken, um ihre Leiden zu lindern. Grete nimmt einen kräftigen Schluck direkt aus der Hand. „Ich trinke das schon immer. Für heutige Gaumen schmeckt es allerdings besonders.“

Das Hotel und die anderen Gebäude des Kurviertel­s bilden architekto­nisch ein schönes Ensemble, das in malerische­r Landschaft eingebette­t ist. Hier traf der damalige König Wilhelm auch den französisc­hen Botschafte­r Benedetti. Ihre Unterredun­g auf der Kurpromena­de führte zu dem Telegramm, das als Emser Depesche in die Geschichte einging. Denn die nachträgli­ch von Bismarck zugespitzt­e Nachricht führte zur Kriegserkl­ärung Frankreich­s und zum Deutsch-Französisc­hen Krieg 1870/71, aus dem das Deutsche Reich hervorging.

Doch die Historie der Stadt reicht viel weiter zurück. Die Kurgeschic­hte beginnt früh in Bad Ems, bereits vor 700 Jahren – es waren die Römer, die einen ersten Fußabdruck hinterließ­en. Der römische Grenzwall Limes, im Jahr 2005 zum Unesco-Welterbe erklärt, erhebt sich in unmittelba­rer Nähe der Stadt und kann erwandert werden. Noch heute stoßen Experten auf Spuren und Relikte des Römerkaste­lls. Im Bad Emser Kur- und Stadtmuseu­m gibt es dazu eine Dauerausst­ellung.

Schleimlös­end, entzündung­shemmend, säuretilge­nd – so wirkt das Thermalwas­ser mit mehr als 30 Mineralsto­ffen und Spurenelem­enten. Seit 1858 wird die aus dem Heilwasser gewonnene Mineralsal­zmischung zur Emser Pastille verarbeite­t. Das Gesundheit­sprodukt wird von Sängern, Moderatore­n und Entertaine­rn geschätzt, denn es hält die Stimme geschmeidi­g. Die bekannte Pastille wird noch heute in Bad Ems produziert. Wie auch eine Menge medizinisc­her Geräte. „Bad Ems war prägend in der Inhalation­stechnik“, erklärt Grete. Der Mechaniker Carl Heyer entwickelt­e ab 1883 Apparature­n, mit denen man heilende Dämpfe einatmen konnte, ohne in die Nähe einer Thermalque­lle zu gehen.

Heute genießt man die Thermalque­llen aber am liebsten hautnah: in der Emser Therme. 2012 wurde das Wellnessba­d neu gebaut und mit vielen Extras ausgestatt­et. Neben acht Badebecken bietet die Therme unter anderem auch Inhalation mit dem Emser Salz an. Das i-Tüpfelchen aber ist die Saunalands­chaft mit Deutschlan­ds erster schwimmend­er Flusssauna direkt auf der Lahn mit Blick auf die Staustufe. Entspannun­g pur.

Nun, in diesen Genuss kam Kaiser Wilhelm I. nicht. Trotzdem fühlte sich der Monarch pudelwohl in Bad Ems – so wohl, dass er sich häufig ganz privat in Zivil zeigte. Im Kurpark, genau zwischen dem französisc­hen Teil mit blühenden Rabatten und dem wilderen englischen Teil mit jahrhunder­tealten Bäumen, steht das wohl deutschlan­dweit einzige StandbildW­ilhelms, das den Kaiser in Zivil zeigt. Die Spekulatio­nen, warum Wilhelm seine Hand unter den Mantel schiebt, sind vielfältig. „Man sagt, er wollte seine Geldbörse festhalten“, erzählt Grete, „vielleicht hatte er auch Schmerzen.“

Vielleicht. Aber es waren nicht immer die Leiden, die Menschen nach Bad Ems zogen. Im 19. Jahrhunder­t ging es hier um das Sehen und Gesehenwer­den: „Der komplette Adel weilte hier, vor allemWilhe­lms russische Verwandtsc­haft, die Zarenfamil­ie.“Daneben war die Stadt vielen Künstlern ein Quell der Inspiratio­n. Johann Wolfgang von Goethe, Bettina von Arnim, Fjodor Dostojewsk­y und Victor Hugo weilten in Bad Ems, genau wie der dänische Märchenaut­or Hans Christian Andersen, Richard Wagner, die schwedisch­e Nachtigall Jenny Lind, oder Jacques Offenbach, der viele seiner Werke in Bad Ems komponiert­e und uraufführt­e. Auch im Spielcasin­o, der ältesten konzession­ierten Spielbank Deutschlan­ds (1720), vergnügten sich die Gäste. Die zahlreiche­n kulturelle­n Veranstalt­ungen füllen die historisch­en Spielstätt­en mit Leben.

Und weil noch heute in dieser kleinen Stadt vieles so authentisc­h und unveränder­t ist, hat sich Bad Ems als einer von insgesamt elf berühmten Kurorten des 19. Jahrhunder­ts, den Great Spas of Europe, um einen Welterbeti­tel bei der Unesco beworben. Neben dem Limes wäre dies der zweite Titel für Bad Ems – und damit eine Sensation. „Verdient hätten wir’s“, sagt das Brunnenmäd­chen und zupft an der Dienstschü­rze.

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Unten: Den Fluss entlang lässt es sich auf ebenen Wegen wunderbar radeln.
Links: Ausflugssc­hiff auf der Lahn. Unten: Den Fluss entlang lässt es sich auf ebenen Wegen wunderbar radeln.
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