Rheinische Post Krefeld Kempen
Wo Europa sich früher traf
Seine Hochzeit erlebte Bad Ems im 19. Jahrhundert als „Weltbad“und Sommerresidenz. Doch es gibt auch vieles Neues in der alten Kurstadt zu entdecken. Mit dieser Folge endet unsere Landpartie.
BAD EMS Wie wäre es, wenn Kaiser Wilhelm I. heute durchs Kurviertel von Bad Ems flanieren würde? „Er könnte all seine bestens bekannten Wege durch den Kurgarten gehen, vorbei am Kursaalgebäude oder rein in den historischen Marmorsaal“, sagt Annegret Werner-Scholz und rückt ihre Haube zurecht.„Denn all dies ist heute noch genau so erhalten wie im 19. Jahrhundert.“Die Bad Emserin ist stolz auf ihre Stadt. Vor allem, wenn sie als sogenanntes Brunnenmädchen vor dem prächtigen Grand Hotel der Familie Häcker steht, dem einstigen Kurhaus mit barockem Badeschloss, in dem nicht nur Fürsten, Komponisten und Schriftsteller logierten, sondern eben auch Kaiser Wilhelm I. 20 Jahre lang besuchte er die Stadt regelmäßig. Der Ostflügel des Hotels wird deswegen bis heute Kaiserflügel genannt. „Dort im ersten Stock hatte er sein Arbeitszimmer“, sagt die Heilquellenexpertin. „Manchmal hat er aus dem Fenster geschaut und den Leuten zugewinkt.“
Annegret Werner-Scholz erzählt dies, als sei sie selbst dabei gewesen. Und irgendwie stimmt das auch. Die Wurzeln ihrer Familie in Bad Ems reichen 300 Jahre zurück, ihre Vorfahren waren Pfarrer, Bierbrauer oder Kurarzt. Ihr Urgroßvater war Baumeister der berühmten Russischen Kirche, die sich mit einer Kuppel aus Gold über das Ufer der Lahn erhebt. Der Fluss zieht sich idyllisch durch diese kleine Stadt, vorbei an all den oft gut erhaltenen Bauwerken, den herrschaftlichen Badehäusern, den Villen, dem Quellenturm, dem Schloss Balmoral. Die 72-Jährige selbst hat als Physiotherapeutin im Kurmittelhaus gearbeitet. Wo die Liege ihrer Patienten stand, nahmen die Kurenden des 19. Jahrhunderts ein heilendes Bad in der Wanne.
Natürlich sind es die Heilquellen, die Ems zum Heilbad machten und im 19. Jahrhundert zum Treffpunkt von ganz Europa adelten.„Ohne diese Quellen wäre hier keine prachtvolle Bäderarchitektur, sondern Kuhwiese“, sagt sie. Das ist auch ein Grund, warum sie zu besonderen Anlässen gern Schürze und Haube trägt. Als Brunnenmädchen Grete in der historischen Kostümgruppe der Stadt erinnert sie an die vielen Menschen, die durch die Kur Arbeit fanden.
Im heutigen edlen Foyer von „Häcker’s Grand Hotel“gaben die Brunnenmädchen den Gästen das Heilwasser für ihre Trinkkuren aus. Mehrere Quellen sprudeln noch heute aus den Brunnen der Halle, die im Original erhalten und frei zugänglich ist. Am Kesselbrunnen kann man das Wasser kosten, das Kaiser und Co. tranken, um ihre Leiden zu lindern. Grete nimmt einen kräftigen Schluck direkt aus der Hand. „Ich trinke das schon immer. Für heutige Gaumen schmeckt es allerdings besonders.“
Das Hotel und die anderen Gebäude des Kurviertels bilden architektonisch ein schönes Ensemble, das in malerischer Landschaft eingebettet ist. Hier traf der damalige König Wilhelm auch den französischen Botschafter Benedetti. Ihre Unterredung auf der Kurpromenade führte zu dem Telegramm, das als Emser Depesche in die Geschichte einging. Denn die nachträglich von Bismarck zugespitzte Nachricht führte zur Kriegserklärung Frankreichs und zum Deutsch-Französischen Krieg 1870/71, aus dem das Deutsche Reich hervorging.
Doch die Historie der Stadt reicht viel weiter zurück. Die Kurgeschichte beginnt früh in Bad Ems, bereits vor 700 Jahren – es waren die Römer, die einen ersten Fußabdruck hinterließen. Der römische Grenzwall Limes, im Jahr 2005 zum Unesco-Welterbe erklärt, erhebt sich in unmittelbarer Nähe der Stadt und kann erwandert werden. Noch heute stoßen Experten auf Spuren und Relikte des Römerkastells. Im Bad Emser Kur- und Stadtmuseum gibt es dazu eine Dauerausstellung.
Schleimlösend, entzündungshemmend, säuretilgend – so wirkt das Thermalwasser mit mehr als 30 Mineralstoffen und Spurenelementen. Seit 1858 wird die aus dem Heilwasser gewonnene Mineralsalzmischung zur Emser Pastille verarbeitet. Das Gesundheitsprodukt wird von Sängern, Moderatoren und Entertainern geschätzt, denn es hält die Stimme geschmeidig. Die bekannte Pastille wird noch heute in Bad Ems produziert. Wie auch eine Menge medizinischer Geräte. „Bad Ems war prägend in der Inhalationstechnik“, erklärt Grete. Der Mechaniker Carl Heyer entwickelte ab 1883 Apparaturen, mit denen man heilende Dämpfe einatmen konnte, ohne in die Nähe einer Thermalquelle zu gehen.
Heute genießt man die Thermalquellen aber am liebsten hautnah: in der Emser Therme. 2012 wurde das Wellnessbad neu gebaut und mit vielen Extras ausgestattet. Neben acht Badebecken bietet die Therme unter anderem auch Inhalation mit dem Emser Salz an. Das i-Tüpfelchen aber ist die Saunalandschaft mit Deutschlands erster schwimmender Flusssauna direkt auf der Lahn mit Blick auf die Staustufe. Entspannung pur.
Nun, in diesen Genuss kam Kaiser Wilhelm I. nicht. Trotzdem fühlte sich der Monarch pudelwohl in Bad Ems – so wohl, dass er sich häufig ganz privat in Zivil zeigte. Im Kurpark, genau zwischen dem französischen Teil mit blühenden Rabatten und dem wilderen englischen Teil mit jahrhundertealten Bäumen, steht das wohl deutschlandweit einzige StandbildWilhelms, das den Kaiser in Zivil zeigt. Die Spekulationen, warum Wilhelm seine Hand unter den Mantel schiebt, sind vielfältig. „Man sagt, er wollte seine Geldbörse festhalten“, erzählt Grete, „vielleicht hatte er auch Schmerzen.“
Vielleicht. Aber es waren nicht immer die Leiden, die Menschen nach Bad Ems zogen. Im 19. Jahrhundert ging es hier um das Sehen und Gesehenwerden: „Der komplette Adel weilte hier, vor allemWilhelms russische Verwandtschaft, die Zarenfamilie.“Daneben war die Stadt vielen Künstlern ein Quell der Inspiration. Johann Wolfgang von Goethe, Bettina von Arnim, Fjodor Dostojewsky und Victor Hugo weilten in Bad Ems, genau wie der dänische Märchenautor Hans Christian Andersen, Richard Wagner, die schwedische Nachtigall Jenny Lind, oder Jacques Offenbach, der viele seiner Werke in Bad Ems komponierte und uraufführte. Auch im Spielcasino, der ältesten konzessionierten Spielbank Deutschlands (1720), vergnügten sich die Gäste. Die zahlreichen kulturellen Veranstaltungen füllen die historischen Spielstätten mit Leben.
Und weil noch heute in dieser kleinen Stadt vieles so authentisch und unverändert ist, hat sich Bad Ems als einer von insgesamt elf berühmten Kurorten des 19. Jahrhunderts, den Great Spas of Europe, um einen Welterbetitel bei der Unesco beworben. Neben dem Limes wäre dies der zweite Titel für Bad Ems – und damit eine Sensation. „Verdient hätten wir’s“, sagt das Brunnenmädchen und zupft an der Dienstschürze.