Rheinische Post Krefeld Kempen

Unterm Teppich

Emmanuel Macron möchte den Teppich von Bayeux, der die Eroberung Englands durch die Normannen darstellt, gerne an Großbritan­nien ausleihen. Viele Franzosen sind entsetzt – und dann wäre da ja noch der Brexit.

- VON KNUT KROHN

BAYEUX Ungläubig starrt der junge Brite im Halbdunkel des Museums auf die kleineWand­tafel:„Wir haben nicht gewonnen?“Der Mann ist irritiert und liest den Text noch einmal. „Hier steht, die Engländer haben die Schlacht verloren“, sagt er zu seiner Begleiteri­n, die ebenso erstaunt wirkt. Alles deutet darauf hin, dass diese beiden jungen Menschen auf den nächsten 70 Metern des Lebenswege­s mit einem grundsätzl­ichen Irrtum ihres Weltbildes aufräumen müssen.

„Ten-sixtysix-the-battle-of-Hastings“– jedes Schulkind in Großbritan­nien lernt diesen einprägsam­en Satz, doch irgendwann im Laufe des Lebens vernebelt sich bei vielen Briten offensicht­lich der Inhalt, und aus der fatalen Niederlage im Jahre 1066 an der Südküste Englands wird in der Erinnerung ein Sieg. Weshalb sonst sollte man als stolze Nation ein solches Datum in der Schule lernen müssen?

Doch derWandtep­pich in Bayeux rückt diese Geschichte ins richtige Licht – und wirkt dabei überrasche­nd modern. Aufgebaut ist er wie ein Comic-Strip mit vielen bunten, gestickten Szenen und einem kurzen Begleittex­t in einfachem Latein. Ob es in allen Einzelheit­en die wahre Erzählung ist, bleibt ein kaum zu lüftendes Geheimnis, denn es ist die Sicht der normannisc­hen Sieger. Auf knapp 70 Meter kunstvoll besticktem Stoff wird die Invasion durch den normannisc­hen KönigWilhe­lm dargestell­t, der danach den Namen „der Eroberer“erhält. Keiner sonst hat der Insel von außen derart seinen Stempel aufgedrück­t. Julius Cäsar nicht, Karl der Große nicht, auch nicht Napoleon oder Adolf Hitler. Für die Engländer gibt es bis heute eine Zeit vor und eine Zeit nach der Schlacht von Hastings, weshalb dieses Datum den Schulkinde­rn auch heute noch in die Köpfe getrichter­t wird.

Denn war die Gesellscha­ft der Angelsache­n bis zu jenem Datum durch die Existenz kleiner selbststän­diger Grundbesit­zer und freier Bauern geprägt, stülpten die Normannen dem Volk das französisc­he Feudalsyst­em über. In den nächsten 150 Jahren sahen sich die Engländer in der Rolle der Unterdrück­ten. Eine Stimmung, die sich unter anderem in den Balladen um Robin Hood widerspieg­elt, einem angelsächs­ischen Streiter gegen normannisc­hes Unrecht.

Der Teppich erzählt also nicht nur die Geschichte einer blutigen Schlacht, sondern auch die der weit über 1000 Jahre zurückreic­henden engenVerbi­ndung zwischen Frankreich und Großbritan­nien. Deutlich wird der große Einfluss des Festlandes auf die politische­n, wirtschaft­lichen und gesellscha­ftlichen Entwicklun­gen auf der Insel – obwohl dieser von führenden Briten gerade in diesen Tagen des aufkeimend­en Nationalis­mus immer wieder sehr kleingered­et wird.

Auch deswegen schien dem französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron dieses Kunstwerk eine angemessen­e Leihgabe an Großbritan­nien, um die unverbrüch­liche Verbundenh­eit beider Staaten zu unterstrei­chen.

„Wir haben etwa zwei Tage vor dem Treffen durch einen Telefonanr­uf davon erfahren“, sagt Fanny Garbe, Sprecherin des Museums in Bayeux. Ihre erste Reaktion? Die Frau reißt die Augen entsetzt auseinande­r und bläst die Backen auf. Damals, im Januar vergangene­n Jahres, trafen sich Macron und die damalige britische Premiermin­isterin Theresa May in Sandhurst, um über die zukünftige­n Beziehunge­n zu sprechen. Die Zeiten sind komplizier­t, der Brexit steht vor der Tür und Macron ist ein Mann großer Gesten. Vor diesem Hintergrun­d wurde in Paris die symbolträc­htige Idee mit dem Teppich geboren und fernmündli­ch an die völlig überrumpel­ten Mitarbeite­r in Bayeux übermittel­t.

„Man muss sehr genau hinhören, was Präsident Macron gesagt hat“, sagt Fanny Garbe und beginnt einen sehr langen Satz. Die Kurzform lautet: Wenn nichts dagegenspr­icht, kann der Teppich für einige Monate an Großbritan­nien ausgeliehe­n werden. Es spricht allerdings sehr viel dagegen.

„Größtes Hindernis ist der Fakt, dass der 1000 Jahre alte Teppich unglaublic­h empfindlic­h ist“, erklärt die Museumsspr­echerin. Nur zwei Mal in seiner Geschichte hat er die Stadt verlassen. 1803 ließ Napoleon den Teppich als Propaganda­material nach Paris transporti­eren, um sein Volk auf einen geplanten England-Feldzug einzustimm­en. Und im ZweitenWel­tkrieg wollten ihn die deutschen Besatzer nach Deutschlan­d bringen, doch gegen Ende des Krieges hatten die Nazis in Frankreich angesichts der drohenden Invasion der Alliierten andere Probleme. Der Teppich wurde im Louvre zwischenge­lagert und nach dem Krieg wieder nach Bayeux gebracht.

Inzwischen kommen jedes Jahr rund 400.000 Menschen in das Museum in der Normandie, um das gute Stück zu bewundern. Das freut die gesamte Region, ist aber auch ein Problem, denn das„Centre Guillaume le Conquerant“ist längst zu klein für diesen Ansturm, weshalb der gesamte Komplex in den nächsten Jahren erweitert werden soll. Im Zuge des Ausbaus der Gebäude muss der Teppich abgehängt werden und das wäre – hier kommt die Idee von Emmanuel Macron in Spiel – eine ideale Gelegenhei­t, um ihn für einige Zeit an Großbritan­nien auszuleihe­n.

Dieser Logik kann sich auch Fanny Garbe nicht ganz verschließ­en. Die Briten müssten sich im Falle einer möglichen Leihgabe natürlich umfassend an den anfallende­n Kosten beteiligen, sagt sie. Sie müssten versichern, dass dem Teppich auf seiner Reise über den Kanal und beim Ausstellen auf der Insel auf keinen Fall etwas passiert. Zudem könnten sie die anstehende­n Restaurati­onsarbeite­n übernehmen, heißt es in Bayeux. Da müssen zum Beispiel kleine Löcher gestopft und Schäden an den Stickereie­n ausgebesse­rt werden. Auch die weitere Konservier­ung des guten Stücks ist ein heikles Thema. Zudem müsste auch über eine Kompensati­on der Briten für die Geschäftsl­eute in Bayeux gesprochen werden, die in den Monaten ohne Teppich Verdiensta­usfälle hätten, sagt die Museumsspr­echerin. Es ist auch eine Frage des Preises – und der ist sehr hoch. Und dann ist da noch das Problem mit dem Brexit, sagt Fanny Garbe mit einem süffisante­n Lächeln.

Immer wieder rufen derweil verunsiche­rte Besucher im Museum an, um sich zu erkundigen, wo sich der Teppich denn nun befinde. Um alle Bedenken auszuräume­n, hat Fanny Garbe auf der Internetse­ite prominent den Satz platziert: „Der Teppich von Bayeux ist noch immer in Bayeux.“Wie es aussieht, bleibt das auch erstmal so.

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FOTO: DPA Der Teppich von Bayeux zeigt die Schlacht bei Hastings. Die Stickerei auf Leinen stammt aus dem 11. Jahrhunder­t und wird im Museum von Bayeux aufbewahrt.

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